Wenn Breivik unzurechnungsfähig ist, was waren dann die Nazis?

„Er lebt in seinem eigenen wahnhaften Universum und seine Gedanken und Handlungen werden von diesem Universum beherrscht“ so das Urteil des Staatsanwalts Svein Holden über Breivik. Dies gilt auch für Nazis und Neonazis. Breivik hat seine Tat mehrere Jahre vorbereitet. Es lag kein psychotischer Schub vor, noch hat er die Nerven verloren. Natürlich lebt er in einem wahnhaften Universum. Werden jetzt alle Neonazis für unzurechnungsfähig erklärt, wenn sie nach einem Übergriff gestellt und zur Rechenschaft gezogen werden sollen? Wir kennen die Strategie, dass Faschos sich vor Übergriffen auf Flüchtlingsheime betrinken, damit sie aufgrund des alkoholisierten Zustandes als nicht zurechnungsfähig gelten. Können sie sich das jetzt sparen? Wenn man das Urteil ernst nimmt, dann sollte jede rassistische Einstellung entsprechend interpretiert werden. Dann wäre auch zu hinterfragen, ob nicht gewisse Autoren, die ein Millionenpublikum für ihre rassistischen Ideen finden, in einer wahnhaften Welt befinden.

Breivik postete damals auf seiner Facebook-Seite, dass ihm Machiavellis „Il Principe“ gefällt. Der schwerst traumatisierte Machiavelli schrieb zur Zeit der Abfassung seines „Il Principe“, dass er am Abend, wenn die Alltagsgeschäfte getan waren, sich in seine eigene Welt begibt und Zwiesprache mit den antiken Größen halte. Er erfand die „Virtù“ als Tugend der staatstragenden, staatsschaffenden Tüchtigkeit, versinnbildlicht durch Herkules, der Fortuna am Schopfe packt und züchtigt. „Virtù“ ist die männliche Kraft, die den „Uomo Virtuoso“ antreibt, aber auch ein Volk kann voller „Virtù“ sein oder aber dekadent. Dieses wahnhafte Universum verabsolutiert den Staat, verdinglicht Menschen. Dies ist das wahnhafte Universum Breiviks. Es ist ein verdrehtes Wertesystem. Zum Morden jedoch gehört mehr. Dazu gehört die körperliche Einpassung in dieses System. Breivik hat sich bemüht, er machte sich zum Soldaten, schluckte vor der Tat entsprechende Psychopharmaka. Dies ist der Unterschied zu hunderttausenden von vor allem jungen mitteleuropäischen Männern, die ideologisch die Ideen Breiviks teilen: sie wollen ihre Privilegien sichern, haben aber im Unterschied zur ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts keine ausreichend schwarze Pädagogik durchlaufen, die sie auch körperlich in die Lage versetzen würde, ihren Wahn konsequent auszuleben.

1 Kommentar

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  1. Telipinu Hatti

    Breivik ist, als konsequenter Ideologe, genau so schuldfähig wie Adolf Eichmann oder Otto Ohlendorf. Deren Ideen waren ebenso „wahnhaft“. Beide haben auch nach dem Krieg noch zu ihrem irren Weltbild gestanden und waren noch stolz auf das, was sie getan hatten.

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