AfD: Mut zum Henkeln

Hans-Olaf Henkel hatte sich nun doch „durchgerungen“ der AfD beizutreten und wurde prompt während der Bundesdelegiertenversammlung in Aschaffenburg im Januar auf den zweiten Platz der AfD-Kandidat*innen zur Europa-Wahl im Mai aufgestellt. Henkel ist der geistige Vater der AfD. Die Vorläufer-Organisation der AfD, die Wahlalternative 2013 wurde wenige Tage nach Henkels Handelsblatt-Artikel „ESM: Aus, aus, das Spiel ist aus!“ gegründet und die Facebook-Seite verlinkte als erstes direkt auf diesen Artikel.

Man könnte über die AfD verschiedene Entstehungsgeschichten schreiben. Eine dieser Geschichten geht auf das Jahr 2003 zurück, der Gründung des Konvents für Deutschland (parallel entstand der BürgerKonvent e.V., etwas später der Zusammenhang von Ökonomie-Professoren um den Hamburger Appell, dann die rechtskonservative Zivile Koalition e.V.). Henkel hatte diesen Konvent gegründet, weil es eine Reform der politischen Entscheidungsstruktur geben müsse. Diese Forderung geht noch weiter zurück, auf das Jahr 1998, als die Bertelsmann-Stiftung den Sammelband „Demokratie neu denken. Verfassungspolitik und Regierungsfähigkeit in Deutschland“ herausgab und Klaus von Dohnanyis Beitrag zur „Reform der politischen Entscheidungsstruktur“ hervorhob. Henkel und Dohnanyi hatten zusammen mit dem „Es-muss-ein-Ruck-durch-Deutschland-gehen“-Ex-Bundespräsidenten Roman Herzog 2003 den Konvent für Deutschland gegründet.

Mut zum Handeln: Alle zwei Jahre mal ne heilige Kuh schlachten

Fünf Jahre später, 2008, gaben sie den Sammelband „Mut zum Handeln. Wie Deutschland wieder reformfähig wird“ heraus – ein Sammelband des Konvents für Deutschland. Neben Henkel, Dohnanyi und Herzog trat  Wolfgang Clement als Mitherausgeber auf. Clement hatte als SPD-„Superminister“ die Hartz-IV-Gesetzgebung durchgesetzt und musste eine Broschüre aus seinem Haus verantworten, wo im Zusammenhang mit Arbeitslosen von „Parasiten“ gesprochen wurde. Im Sammelband „Mut zum Handeln“ wird deutlich definiert, was unter „Reform“ (Herzog spricht auch gerne von „Korrektur“) verstanden wird: Radikale Privatisierungen. Und „Reform der Reformfähigkeit“ heißt entsprechend „Reform der politischen Entscheidungsstruktur“, damit der Sozialabbau effektiv umgesetzt werden kann. Unser demokratisches System muss also zunächst geändert werden, um in einem zweiten Schritt diese Privatisierungen, die radikale Senkung der Staatsquote, einführen zu können.

Mit dem Begriff der reformbedürftigen Reformfähigkeit sei »die Notwendigkeit« gemeint, »unsere Institutionen so zu gestalten, dass sie Reformentscheidungen erleichtern, anstastt sie zu behindern.« Es ginge darum, »dass klare Verantwortungszuweisung eines der grundlegenden Prinzipien für derartige ›Meta-Reformen‹« sein müssten. (Herzog, Seite 12) Es geht um die »Reform der Institutionen, um sie reformfähiger zu machen« (ebd.: 13) Der „Bürger“ müsse dazu gebracht werden, keine Hilfe mehr vom Staat zu erwarten, in den Worten Herzogs. der „Bürger“ müsse „mündig“ werden: »Wenn Reformvorhaben Erfolg haben sollen, brauchen wir Bürger, die sich nicht immer zuerst auf den Staat verlassen, bevor sie daran denken, ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen. […] Mündigkeit und Subsidarität sind Voraussetzung und Königsweg zum Abbau der Staatsüberforderung und Staatsüberlastung, die ein wesentliches Hindernis für die notwendige Handlungs- und Reformfähigkeit darstellen.« (ebd.)

Die Korrekturen, die vorgenommen werden müssten, bestünden in der Senkung der Staatsquote (Anteil des Staates am Bruttoinlandsprodukt), obschon Deutschland in Europa eher am unteren Rand der Staatsquoten läge. Das heißt, es müsste noch viele Privatisierungen vorgenommen werden. Herzog: »Man muss ja nicht alle heiligen Kühe gleichzeitig schlachten. Aber alle zwei Jahre mal eine, das wäre ja schon reizvoll.« (Herzog 2008b: 32)

Henkel hebt im selben Band hervor, »dass Deutschland ein entsprechendes Entscheidungssystem braucht, um wettbewerbsfähgi zu werden. Deshalb haben wir ja den Konvent für Deutschland gegründet. Der Konvent hat das vorrangige Ziel, in Deutschland ein politisches Entscheiungssystem herbeizuführen, das den Herausforderungen der modernen Technologie, der Globalisierung und des demografischen Wandels gerecht wird.« (Henkel Seite 236)

Für die Bildungspolitik heißt dies Einsparungen einerseits (Herzog denkt an die guten alten Zeiten zurück, als man noch Schulgeld bezahlen mussten) und Henkel betont die Relevanz von Elite-Schulen: »Sollen wir uns auf die Nöte der bildungsfernen Schichten konzentrieren oder sollen wir, wie die angelsächsischen Länder, mit Elite-Schulen und -Hochschulen den Rest mitziehen? Im Sport funktioniert das ja auch, und da akzeptieren wir es, dass Eliteförderung der Entwicklung des Breitensports dient.« (Henkel 2008: 237)

Freie Wähler, FDP, AfD

Henkel versuchte zunächst, die Freien Wähler für die „Reform der Entscheidungsstrukturen/ Reformfähigkeit“ zu gewinnen. Mit Erfolg. Er schrieb ihnen 2009 während des Gründungsparteitages, wo er als Redner auftrat, diese Reform ins Parteiprogramm. Henkel trat aber nie den Freien Wählern bei. Er versuchte parallel zu seinem Engagement bei den Freien Wählern mehrfach die FDP zu beeinflussen. Als beides nicht erfogversprechend erschien, teilte er 2011 während eines Kongresses der Zivilen Koalition, die ebenfalls mit der Formel „Reform der politischen Entscheidungsstruktur“ gestartet ist, seine Bereitsschaft mit, für eine neue Partei zur Verfügung zu stehen. Dieser reservierte Gestus ist typisch für Henkel: er habe lange überlegt, aber nun stehe er bereit.

Am 13.12.2013 erschien auf der Facebook-Seite vom Konvent für Deutschland-Mitglied Oswald Metzger ein Beitrag, der anscheinend von Hans-Olaf Henkel stammte:

„Lieber Herr Metzger, zu unserem kurzen Gespräch: ich bin gestern beigetreten. Versuche Platz 2,3 oder 4. Ist noch nicht öffentlich. Ket’s keep in touch! Ihr HOH“

Diese Meldung, die nach einer Stunde gelöscht wurde, wurde als Beitritt Henkels in die AfD gewertet. Henkel stritt ab, dass diese Mitteilung von ihm gewesen sei. Das sei ein Fake. Einige vermuteten, dass Henkel eigentlich eine private Nachricht schreiben wollte und stattdessen versehentlich einen Beitrag an Metzgers Profil geschrieben hatte.

Henkel ist jedenfalls im Dezember 2013 der AfD beigetreten und wurde für Platz 2 der Europawahl-Liste aufgestellt.

Die Slogans der AfD „Mut zur Wahrheit“ und „Mut zu Deutschland“ können als Variationen des Slogan „Mut zum Handeln“ (d.h. „Mut zum Demokratieabbau als Voraussetzung zum Sozialabbau“) betrachtet werden.

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