Mit jeder neuen Studie zur Wähler*innenschaft der AfD werden andere Milieus als Wähler*innen der AfD benannt. Mal sind es vor allem Arbeitslose, dann wieder vor allem die gut situierte Mittelschicht. Einig sind sich die Forscher*innen nur hinsichtlich des Geschlechts der Wähler*innen und der Region: Es sind vor allem Männer aus dem Osten, die die AfD wählen.
Mit der Bundestagswahl können wir nun genauer die Regionen anschauen, in denen die AfD vorwiegend gewählt wurde. Es bestätigt sich: Die meisten Wähler*innen hat die AfD im Osten, d.h. sehr genau in dem Gebiet der ehemaligen DDR.
Dies erklärt allerdings nicht den Flickenteppich in Westdeutschland, wo die AfD teilweise (z.B. Kreis Fulda, Niederbayern und nördliches Baden-Württemberg) an die Ergebnisse der AfD im Osten heranreichte.
Die These, dass vor allem Arbeitslosigkeit etwas mit der Motivation zu tun hat, die AfD zu wählen, kann mit dieser Karte auch überprüft werden. Legen wir eine Karte der regionalen Arbeitslosenstatik daneben, können wir abgleichen, ob ein Zusammenhang besteht:
Hier zeigt sich, dass eine durchgehende Korrelation nicht gegeben ist. Vor allem im Osten und in Süddeutschland weichen die beiden Karten voneinander ab. Betrachten wir allerdings Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, NRW, Nord-Hessen und das nördliche Rheinland-Pfalz, so zeigt sich eine erstaunliche Korrelation. Schaut man sich NRW an, so entsprach bei der Landtagswahl 2017 der prozentuelle regionale Anteil der AfD-Wähler*innenschaft ziemlich genau der regionalen Arbeitslosenquote. In meiner Heimatstadt Münster, der einzigen Stadt, wo die AfD unter 5% lag, erreichte die AfD in 16 der 273 Wahlkreisen über 10%. 12 dieser 16 Wahlkreise befanden sich in sogenannten “sozialen Brennpunkten”. Betont werden muss hier zweierlei: Erstens ist die Wahlbeteiligung in “sozialen Brennpunkten” sehr viel geringer als in privilegierten Stadtteilen. Wenn in einem privilegierten Stadtteil die Wahlbeteiligung mehr als doppelt so hoch ist wie in einem benachteiligten Stadtteil, dann kann dies in absoluten Zahlen heißen, dass fünf Prozent für die AfD im reichen Stadtteil mehr ins Gewicht fällt als zehn Prozent in einem armen Stadtteil. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass ein höherer Anteil von AfD-Wähler*innen in ärmeren Vierteln nicht automatisch heißt, dass es ärmere sind, die die AfD wählen. Es könnte auch heißen, dass der Mittelstand in ärmeren Vierteln überproportional oft die AfD wählt. Festzuhalten ist auf jeden Fall, dass die lokale/ regionale Arbeitslosenquote irgendetwas mit dem Wahlerfolg der AfD zu tun hat. Was genau, müsste geklärt werden.
Die Abweichungen von der Korrelation von regionaler Arbeitslosenstatistik und AfD-Wähler*innenschaft finden laut Karte in der Richtung statt, dass die AfD mehr Stimmen erhielt als sie nach der Korrelation haben dürfte. Meine These ist, dass die Korrelation von regionaler Arbeitslosenstatistik und AfD-Wähler*innenschaft überall gilt, aber durch zusätzliche Faktoren überlagert wird. D.h. es müssten zusätzliche Faktoren gefunden werden, die diese Überlagerungen erklären.
Für den Osten können wir die Überlagerung erklären mit einer bestimmten Mentalität bestimmter Bürger*innen der neuen fünf Bundesländer, die irgendetwas mit dem Prozess im Zuge der Zusammenführung von BRD und DDR zu tun hat. Worin genau diese Mentalität besteht, müsste untersucht werden.
Interessant ist darüberhinaus, wie die Überlagerungen im südlichen Westdeutschland zu erklären sind. Meine Vermutung ist, dass diese mit einer konservativen Grundhaltung zu tun hat, die sich aus einem christlichen Fundamentalismus speist. Schauen wir uns die Abweichungen noch einmal an, so finden sich genau in den Regionen, in denen die AfD viele Stimmen erhielt, die Regionen, die entweder sehr konservativ-katholisch oder konservativ-evangelikal geprägt sind:
Als konservativ-katholische Kreise sind hier zu nennen:
- Niederbayern (Deggendorf)
- Kreis Fulda
und als konservativ-evangelikale Regionen:
- nördliches Baden-Württemberg (Pforzheim)
- Vogtland / Erzgebirge (Annaberg)
- östliches Mittelhessen (Wetzlar)
Das Erzgebirge ist hier aufgelistet, weil das beste Ergebnis für die AfD mit über 35% dort mit einer doppelten Überlagerung erklärt werden könnte: Osten + evangelikaler Bible-Belt.
Als Ergebnis ließe sich die These festhalten:
Der Wahlerfolg hat etwas mit Männlichkeit zu tun; regionale Analysen zeigen zu dem einen Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit als Grundmuster und ideologische Einstellungen wie eine spezifische “Ost-Mentalität” eines Teils der fünf NBL und christlichen Fundamentalismus als positive Überlagerung dieses Grundmusters auf.
Spannend wird sein, ob der Austritt verschiedener relevanter Funktionär*innen des evangelischen Flügels der “Christen in der AfD” Auswirkungen in Sachsen, BW und Hessen hat.
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Hallo Herr Kemper,
In dem Rhein-Sieg-Kreis (600 000 Einw) und in der Stadt Siegburg (40.000 Einw) gibt es, statistisch klar erkennbar, zwei Trends: Armut und AfD ist sehr eng korreliert (je geringer das Durchschnittseinkommen in einer der 19 Kreisgemeinden, desto mehr AfD-Stimmen, aber auch desto mehr SPD), je höher das Einkommen desto mehr FDP und GRÜNE. – CDU und LINKE sind nicht eindeutig mit dem Einkommen korreliert. – Andererseits lassen sich stadtviertelspezifisch auch Viertel identifizieren, die früher starke CDU-Hochburgen waren, die aber auch mittlerweile recht hohe AfD-Anteile haben. Struktur: Siedlungen aus den 50er Jahren, alte Bewohner, recht konservativ. – Auf innerstädtischer Ebene konnte ich die Frage nach Einkommen und Wahlverhalten noch nicht klären, weil mir die Einkommensdaten bisher fehlen. Derzeit werte ich noch Arbeitslosigkeitsdaten und Schuldendaten zum Wahlverhalten kreisweit (Kommunen) aus. Dauert aber noch ein paar Tage.
Schöne Grüße aus Siegburg, wo Sie vor ca 1 Jahr zum Vortrag bei der Kurdischen Gemeinde waren.
Raymund Schoen