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Preußische Tugenden: Die AfD und ihre Scheinwelt

Momentan bin ich täglich in einer anderen Stadt, um über die AfD zu informieren. Allmählich reagiert die AfD gereizter. So heißt es in einer Pressemitteilung der AfD-Niedersachsen: „Ein in Kürze geplantes Treffen der Antifa in Lüneburg […] wird dabei von der Stadt Lüneburg durch Bereitstellung eines stadteigenen Saales unterstützt. ‚Es scheint keinem Staatsanwalt in den Sinn zu kommen‘, so der AfD-Landesvorsitzende Paul Hampel, ‚hinter solcher Fassade die Entwicklung politischen Bandentums zu erkennen, geschweige denn, daraus strafrechtliche Konsequenzen zu ziehen‘. “ In Frankfurt/ Oder kündigte die AfD gar eine Gegenkundgebung gegen die „Hetzveranstaltung“ an. Die AfD FfO hat dann tatsächlich in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe zu meiner Veranstaltung am Samstag Nachmittag einen Infostand angemeldet. Auf Anfrage teilte mir die Polizeiinspektion Fürstenwalde mit, dass dies der Anlass gewesen sei, mit mehreren Polizeibullies und Poliszist*innen in Kampfanzügen vor Ort gewesen zu sein.

Die AfD bewegt sich in einer Parallelwelt. Dies hat unter anderem mit ihrem antiquierten Wertesystem zu tun. Informationsveranstaltungen werden als „Hetzveranstaltungen“ wahrgenommen, in denen sich ein „politisches Bandentum“ entwickelt. Sie verstehen gar nicht, warum diese Informationsveranstaltungen nicht unterbunden werden. Entsprechend meinen sie auch das Recht zu haben, Journalist*innen zu reglementieren und aus öffentlichen Veranstaltungen herauswerfen zu dürfen (Landesparteitag Hessen, JA-Veranstaltung in Köln, Parteiveranstaltungen in Bremen und Bochum). Die kriminellen Akte der AfD, die gegen das Versammlungsgesetz §6 Absatz 2 verstoßen, resultieren aus einer spießigen Borniertheit. Sie wissen, was die Wahrheit ist und wenn kritisch über die AfD berichtet wird, dann ist dies „Hetze“ und muss verboten werden. Ihr Wertesystem orientiert sich an den Preußischen Tugenden: Arbeit, Gehorsam, Disziplin und Pünktlichkeit und weniger an den Tugenden der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Solidarität.

Mit den unhinterfragten Werten der preußischen Tugenden kann es dann auch schon mal zu krassen Realitätsverzerrungen kommen. In Frankfurt an der Oder sollte ich einen Vortrag über die AfD halten. Eingeladen wurde ich von einer Gruppe aus dem studentischen Milieu. Ich war sehr skeptisch, ob an dem ersten sonnigen Tag nach einer Reihe von Regentagen an einem Samstag Nachmittag (!) überhaupt Studierende zu einer trockenen Informationsveranstaltung kommen würden. Kurz vor Beginn der Veranstaltung kam ein älterer Herr. Er blickte in den noch leeren Veranstaltungsraum, kommentierte: „Ist ja keiner da.“ und teilte kurz darauf dem Infostand der AfD mit, dass bei der Veranstaltung zur AfD niemand sei außer der Referent und der Veranstalter. Die AfD-Brandenburg brachte auf ihrer Facebook-Seite daraufhin selbstzufrieden den Artikel „‚Antifa‘-Hetzveranstaltung ohne Zuhörer„. Kurz nachdem der ältere Herr überpünktlich die Veranstaltung verlassen hatte, kamen aus dem studierenden Spektrum nach und nach 30-40 Interessierte. Für den Zeitpunkt und das Wetter eine beachtliche Zahl. Es ist dem älteren Herren überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass andere Menschen vielleicht ein anderes Wertesystem haben und nicht auf die Minute genau vor Ort sind. Pünktlichkeit macht in bestimmten Dingen einen Sinn. In anderen Dingen ist sie sekundär. Das Problem beim Milieu der AfD ist, dass bei ihnen die preußischen Sekundärtugenden den primären Rang haben, Tugenden wie Freiheit, Gleichheit, Solidarität hingegen einen sekundären Rang. Dies führt zur Wahrnehmungsverzerrungen – vor allem dann, wenn man meint, andere an die unhinterfragten eigenen Werte messen zu müssen.

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