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„Je suis Landolf Ladig“?! Zu den NPD-Bekenntnissen der AfD

Mein Beitrag „Wieviel NPD höckt in der AfD?“ wirbelte in den letzten Tagen viel braunen Staub auf. Ich machte dort auf Ähnlichkeiten zwischen NPD-Texten und AfD-Reden von Björn Höcke aufmerksam.

Der arg bemühte Zufall – eine kurze Rekapitulation

In jenem Text stellte ich gleich eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten in den Gedankengängen, Argumentationsfiguren, Metaphern und Begrifflichkeiten in den Texten eines NPD-Autoren namens „Landolf Ladig“ und den Reden, Interviews und Pressemitteilungen von Björn Höcke, AfD-Chef in Thüringen, dar. Zusätzlich tauchten in diesen Texten politische Phrasen auf, die in diesen Kontexten Wortneuschöpfungen zu sein scheinen, wie z.B. „Organische Marktwirtschaft“ oder „Werte-, Sitten- und Normengefüge“. Wir haben es hier mit mehrfachen semantischen Überschneidungen und linguistischen Überzufälligkeiten zu tun. Der Zufall würde sich bedanken, wenn man ihm mit der These „Da haben sich halt zwei Menschen im Eichsfeld unabhängig voneinander die selben Wortneuschöpfungen ausgedacht und zwar gleich mehrfach“ die Verantwortung in die Schuhe schieben wollte. Zumal die erklärungsrelevanten Fälle sich nicht nur auf die Textproduktion allein beziehen. Der gebeutelte Zufall soll auch noch dafür herhalten, dass Björn Höcke mehrfach den Herausgeber der Texte von „Landolf Ladig“, Thorsten Heise, getroffen hat, dass ausgerechnet Höckes Wohnhaus in den Texten von „Ladig“ beschrieben wird und dass Björn Höcke alt-hochdeutsche germanische Vornamen wie „Landolf“ schätzt.

Opfer-Mythos des extrem rechten AfD-Flügels

Zuletzt reagierte Hans-Thomas Tillschneider, der Chef der Patriotischen Plattform in der AfD, mit dem freimütigen Bekenntnis „Je suis Landolf Ladig!“ (Ich bin Landolf Ladig!) auf meinen Text. Gleich zu Beginn werde ich dort als eine Art moderner „Judenschauer“ kategorisiert, also jemand, der meint, er könne Jüd*innen – oder „AfD-Nazis“, was wohl eine vergleichbare Gruppe sei – am Gang erkennen. Tillschneider wähnt sich als jemand vom rechten Rand der AfD ähnlich behandelt wie die Juden in Max Frischs „Andorra“. Diese Geschmacklosigkeit hat eine Tradition in der AfD. Schön öfter bezeichneten sich AfDler als Opfer, in dem sie ihre Situation mit der Selektion der Jüd*innen verglichen. Dieser vermeintlich schlaue Schachzug soll wahrscheinlich in dreifacher Hinsicht Wirksamkeit entfalten: Gleichsetzung ihrer Kritiker*innen mit Nazis, Selbststilisierung als Opfer und Relativierung der Shoa. Bislang ging diese Strategie jedoch nicht auf. Die Jüdische Allgemeine berichtete genau vor einem Jahr von diesen geschmacklosen Selbststilisierungen und forderte die AfD auf, sich zu entschuldigen. Den AfD-Flügel, dem Tillschneider und Höcke angehören, ficht dies nicht an, Höcke bezeichnete noch Anfang diesen Jahres den Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald als „Hysteriker“.

So-tun-als-ob-Auseinandersetzungen

Doch um diese Einleitung geht es mir gar nicht, sondern um die eigentliche Argumentation von Tillschneider, die ich sehr spannend finde. Zunächst unterstellt Tillschneider, ich hätte behauptet, Ladig sei Höcke. An dieser Unterstellung haben sich in den letzten Tagen hunderte von AfDler*innen abgearbeitet. Das ist deshalb interessant, weil ich verschiedene Möglichkeiten der Zusammenhänge in den Raum stellte, aber nirgendwo behauptete, „Ladig“ sei Höcke:

„Wie die Zusammenhänge zwischen der Person, die 2011 und 2012 NPD-Texte unter dem Namen „Landolf Ladig“ schrieb, und dem seit 2013 quasi aus dem Nichts auferstandenen AfD-Landespolitiker Björn Höcke zu erklären sind, kann am Besten Höcke selber erklären. Ob hier zuerst ein gemeinsamer Lesekreis war oder wie dies sonst zu erklären ist, darüber möchte ich in diesem Artikel nicht weiter spekulieren. Der NPD-Schreiber „Landolf Ladig“ jedenfalls wäre mit seinen Argumentationen ein charismatischer AfD-Landesfraktionschef geworden – das sollte zu denken geben.“ Wieviel NPD höckt in der AfD?

Ich habe also auf die Zusammenhänge hingewiesen. Lediglich eine – allerdings sehr plausible – Erklärungsmöglichkeit für die Zusammenhänge ist die Annahme, „Ladig“ sei Höcke. Andere Möglichkeiten schließe ich nicht aus, die wären aber auch problematisch. Tillschneider deutet zunächst ein paar Pseudo-Widerlegungen an, er greift zwei Wortpaare / Wörter heraus, die in beiden Texten vorkommen und konstatiert, diese Wörter gäbe es laut Internet-Suchmaschine in zigtausend anderen Texten auch. Ja. Das ist keine Widerlegung, sondern eine Frechheit, da er um die von mir deutlich gekennzeichneten Satzelemente, die nicht zigtausend Text-Treffer hatten, sondern nur zwei (bei Ladig und Höcke), einen Bogen machte. Es folgen dann fünf Absätze zum Schlagwort „Lügenpresse“, was mehr mit dem Mitteilungsbedürfnis von Tillschneider als mit meinem Artikel zu tun haben muss, denn das Schlagwort „Lügenpresse“ kommt in meinem Text gar nicht vor. Um den akademischen Schein dennoch zu wahren, musste Tillschneider im Artikel so etwas wie „ich und meine Studenten“ einbauen. Damit füllt Tillschneider dann ausführlich einen weiteren längeren Absatz. Inhalt: Wenn zwei das Gleiche sagen, könnten sie es von einem Dritten übernommen haben. Eine banale Feststellung, die man auch in einem Satz statt in einem Absatz ausdrücken könnte. Denn dann wäre in dem Absatz noch Platz gewesen, auf die Konsequenzen aus diesem Erklärungsansatz einzugehen, worauf Tillschneider allerdings verzichtet.

Angenommen, Höcke und „Ladig“ hätten von einer dritten Person abgeschrieben …

Tillschneider reicht diese eine Erklärungsmöglichkeit. Anderen Erklärungsmöglichkeiten geht er erst gar nicht nach. Auch scheint es für Tillschneider kein Problem zu sein, wenn Höckes Texte bzw. Reden inhaltlich und stilistisch NPD-Texten gleichen. Und die spannende Frage, wer denn der ominiöse Dritte sein könnte, auf dessen Urtext sich Höcke und NPD begeistert bezogen haben könnten, wird von Tillschneider erst gar nicht gestellt. Ich hatte offen gelassen, ob „Ladig“ und Höcke von einer dritten Person abschrieben, ob Höcke die Texte von „Ladig“ auswendig lernte oder ob Höcke unter dem Pseudonym „Ladig“ schrieb. In gewisser Weise ist dies zunächst nämlich egal, weil sich für Höcke immer das selbe Problem ergibt: eine inhaltliche Nähe zur NPD. Um diesses Problem zu verdeutlichen, zitiere ich eine Presseerklärung vom April 2013 von der NPD. Die AfD war gerade gegründet, hatte noch ihren Gründungsparteitag vor sich, und wurde in der Außendarstellung von den eurokritischen Professoren vertreten.

Die „Eisbrecher- und Türöffnerfunktion“ der AfD für die NPD

Bereits damals, als die AfD noch keinen nationalkonservativen Flügel oder gar einen Flügel rechts von den Nationalkonservativen besaß, teilte die NPD mit:

„Die NPD verfolgt die wohlwollende Berichterstattung über die „Alternative für Deutschland“ deshalb ebenfalls wohlwollend. Die Kritik am Umverteilungs- und Fremdbestimmungsregime der EU wird durch Lucke und Co. aus der politischen Quarantäne-Ecke geholt und auf dem Marktplatz der Massenmedien diskutiert.Damit kommt dieser Protest-Formation – natürlich ungewollt – eine Eisbrecher- und Türöffner-Funktion für die viel weitergehende EU-Kritik der NPD zu. […]

Hier kommt nun aus NPD-Sicht der Initiative „Alternative für Deutschland“ eine lobenswerte Eisbrecher- und Türöffner-Funktion zu. Sie verfügt – nicht zuletzt durch ihre angesehene Professoren-Riege – über den Medienzugang, den die NPD noch nicht hat.“

Und weiter hieß es:

„Als systemtragende Ein-Themen-Partei wird die „Alternative für Deutschland“ aber nur begrenzt punkten können. Vor allem wird die inhaltlich ansonsten lauwarme Organisation für viele rechtsgerichtete Wähler wegen ihrer windelweichen ausländerpolitischen Aussagen unwählbar sein.“

Das dürfte sich jetzt mit Höcke und seiner „Erfurter Resolution“ geändert haben. Die AfD ist mit Björn Höcke nicht mehr nur Eisbrecherin und Türöffenerin für die deutschtümelnde Eurokritik, sondern zudem für die bevölkerungspolitischen Kernthemen der NPD. Mit Höcke werden auch die bevölkerungspolitischen NPD-Diskurse „auf dem Marktplatz der Massenmedien diskutiert“. Höckes Mission ist die Diskursverschiebung nach Rechts – natürlich freut das die NPD, auch wenn sie kurzfristig durch die Konkurrentin AfD an Stimmen verliert.

NPD in Höckes Gemeinde potentiell bei 17 Prozent

Schauen wir uns die Wahlergebnisse an: Die NPD steigerte sich bei den Kommunalwahlen zwischen 2009 und Mai 2014 in der Region Eichsfeld von 3,3 auf 4,1 Prozent (Zuwachs: 25%). In Bornhagen, der Eichsfelder Heimatgemeinde von Björn Höcke, steigerte sie sich von 11,3 auf 17 Prozent (Zuwachs: 50%). Also die Zuwachsraten für die NPD waren in Bornhagen doppelt so hoch wie im Umkreis. Die AfD ist bei der Kommunalwahl im Eichsfeld nicht angetreten, hatte aber einen Wahlkampf für die parallel stattfindende EU-Wahl geführt. Während der Bundestagswahl im September 2013 lag die AfD in Bornhagen bereits bei 24,3%, bei der Landtagswahl 2014 bei 36,5%. Diese Wahlergebnisse deuten an, dass die obige Einschätzung der NPD aufgeht: Das Wählerpotential der NPD wird durch die Eisbrecher- und Türöffnerfunktion der AfD anscheinend größer. Solange die Afd antritt, macht sich das latente Erstarken der NPD nicht bemerkbar, es manifestiert sich erst, wenn die AfD nicht (mehr) zu Wahlen antritt.

Bonjour NPD, je suis NSU-Untersuchungsausschuss!

Vor diesem Hintergrund macht die Aussage „Je suis Landolf Ladig!“ von Hans-Thomas Tillschneider Sinn. Wenn der ultranationalistische Rand der AfD Metaphern, Argumentationsmuster, Begrifflichkeiten, Gedankengänge und Ideologieelemente der NPD teilt, dann verortet sich dieser Flügel der AfD ab einem bestimmten Punkt idealtypisch eher bei einer NPD-nahen als bei einer CDU-nahen Ideologie, also eher faschistisch als konservativ. „Je suis Landolf Ladig!“ transportiert im Stil von „Je suis Charlie Hebdo!“ einen parteiübergreifender Soldiarisierungssaufruf. In diesem Sinne könnten wir tatsächlich Abstand von der Frage nehmen, ob Höcke real oder im Sinne des „Je suis Landolf Ladig!“ Landolf Ladig ist, da es um die Äußerungen von NPD-nahen Positionen geht und nicht um die Frage einer direkten Parteiarbeit für die NPD. Auf anderer Ebene bleibt allerdings die Frage nach wie vor virulent, ob Höcke realiter als „Landolf Ladig“ geschrieben hat. Zum einen würde er dann nämlich laut Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD aus der Partei geworfen werden. Zum anderen wäre er aufgrund dieses Unvereinbarkeitsbeschlusses potentiell erpressbar, wenn er für die NPD Artikel geschrieben haben sollte. Da Björn Höcke aktuell Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss ist, ergibt sich somit eine gewisse Dringlichkeit in der Erklärungsrelevanz der vielen ungeklärten Zufälle in der Causa Höcke-Ladig.

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