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Desistierender Journalismus und faschistische Entwicklung

Das Erstarken der AfD und vor allem das Erstarken der faschistischen Strömung um Björn Höcke kann weitgehend auf einen Journalismus zurückgeführt werden, der seinen eigenen Ansprüchen nicht mehr genügt. Von konservativen Journalisten wurde vor knapp 25 Jahren die Newspeak-Vokabal PC zur Abwehr einer kritisch-emanzipatorischen Sprache importiert und sehr schnell und sehr breit in den allgemeinen Wortschatz eingeführt. Nicht nur die damals noch randständige Junge Freiheit, sondern auch ihr etablierterer Gegenpol, die taz, und alle möglichen Zeitungen dazwischen sorgten für die Verbreitung des Begriffspaares „Politische Korrektheit“, die es fortan ermöglichte, von Argumenten abzusehen, indem formal eine „Correctness“ unterstellt wurde. Mit dem konservativen Kampfbegriff „Politische Korrektheit“ wurde die Sprache um ein Element erweitert, welches mit Ankündigung die Kommunikation entpolitisierte. Denn bemängelt wird von den Benutzer*innen dieses Kampfbegriffs ja nicht die „Korrektheit“, im Gegenteil, gerade die Konservativen fordern ja mehr Korrektheiten entlang von Leitbildern, sondern kritisiert wird das Politische im Rahmen emanzipatorischer Wortergreifungen. Die Anti-PC-Strategie dient dem Desistieren, dem Absehen von Argumenten.

Mit Anti-PC als strategischer Vorbereitung konnte 2010 die Schraube der Anti-Emanzipation erheblich weitergedreht werden. Mit einer noch nie zuvor da gewesenen Medienkampagne wurde ein Buch im Bertelsmann-Verlag auf dem Markt geschmissen, dass unabhängig von Inhalten, alleine nur aufgrund der konzertierten Medienkampagne ein Bestseller werden musste. Inhaltlich hätte das Buch „Deuschland schafft sich ab“ eigentlich in einen rechtsextremen Kleinverlag gehört, wie „Die IQ-Falle“ von Volkmar Weiss, aus dessen Buch Thilo Sarrazin ja tatsächlich plagiierte. Eher noch hätte „Die IQ-Falle“ ein Bestseller werden können als sein Teilplagiat „Deutschland schafft sich ab“, weil der Rassist Weiss sich in seiner Materie der Rassenbiologie auskennt, während Sarrazin nur drittklassig abkupfern konnte. Dass dennoch „Deutschland schafft sich ab“ zu einem Mega-Bestseller wurde, lag an dem Willen der Verantwortlichen von Bertelsmann, BILD, SPIEGEL usw. dieses Buch zu einem Bestseller machen zu wollen. Dass es sich um ein Machwerk der Rassenhygiene handelt, hätte man wissen müssen. Im Vordergrund stand jedoch nicht der Inhalt – von diesem wurde abgesehen -, im Vordergrund stand die Aussage „Das wird man ja noch wohl sagen dürfen“. Der Journalismus-Professor Michael Haller sah die Medien auch in der sogenannten Sarrazin-Debatte in der Verantwortung: „Die Mainstrem-Medien setzen sich auf ein populäres Thema wie ein Heuschrecken-Schwarm und fressen das Thema kahl. Dann fliegen sie weiter zu einem neuen angesagten Thema. Diesen Medien geht es nicht um Aufklärung, sondern um das Spektakel. („Die Schuld der Medien am Spektakel um Sarrazin“, Interview in da.standard vom 30.07.2012)

Mit der Sarrazin-Debatte wurde ein Klima geschaffen, in welchem eine anti-emanzipatorische, rassistische, klassistische, sexistische Partei entstehen konnte. Damals wurde bereits gefragt, wo die „Sarrazin-Partei“ bliebe. Und kaum gab es die ersten Regungen für diese neue Partei, waren die Medien bereit, weitgehend unkritisch, also desistierend, in großen Lettern über sie zu schreiben. Die WELT hatte ausgerechnet Günther Lachmann zum Chef-Reporter der AfD gemacht. Und Lachmann war es auch, der die Vorgänger-Organisation der AfD, einen kleinen Verein mit dem Namen „Wahlalternative 2013“ mit einem Schlag bekannt machte. Zu diesem Zeitpunkt verfügte die „Wahlalternative“ gerade mal über eine kleine Facebook-Seite. Mit dem WELT-Artikel Lachmanns jedoch war sie in allen Medien Thema und noch vor dem Gründungsparteitag waren die Spitzenpolitiker der AfD in vier großen Talkshows zu sehen. Lachmann blieb der Journalist mit den besten Insider-Informationen, er berichtete häufiger als irgendein anderer Journalist über die AfD und die WELT bot ihm die entsprechende Verbreitungsplattform – zumindest solange bis die AfD von sich aus öffentlich machte, dass Lachmann sich ihnen andienen wollte. Erst dann entließ Stefan Aust seinen AfD-Top-Journalisten mit dem Hinweis auf „unseriösem Journalismus“. Wie weit rechts Lachmann tatsächlich stand, hätte mühelos an seinem Blog „Geolitico“ abgelesen werden können. Heute ist Lachmann angestellt in der Thüringer Landesfraktion der AfD und arbeitet als Medienberater für Björn Höcke.

Wären die Medien kritischer gewesen in den letzten Monaten, und mit „kritischer“ meine ich insistierender, wäre Höcke schon längst Geschichte. In seiner Auseinandersetzung um seine mehr als rechte politische Vergangenheit mit dem ehemaligen AfD-Vorstand um Bernd Lucke, hakten die Medien nicht nach. Lachmann sprang Höcke damals schon zur Seite und griff den AfD-Vorstand an: Es sei unglaublich, so Lachmann, dass der Bundesvorstand auf Grundlage eines „linken Blogs“ von einem Landeschef verlange, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben und ihn zu drängen, einen Prozess gegen den „linken Blogger“ zu führen. Lachmann kann man kein „Versagen“ vorwerfen, er war schon immer Partei. Aber nicht so sehr die Parteilichkeit ist das Problem (diese wurde es für die WELT-Gruppe, die viel zu spät zu erkennen schien, wen sie da zum Chef-Journalisten in Sachen AfD gemacht hatte), sondern die desistierende Haltung. Für einen Redakteur der Thüringer Allgemeinen war entsprechend der Fall Höcke geklärt, als der mehrfach vorbestrafte Neonazi Thorsten Heise süffisant mitteilte, Höcke verberge sich nicht hinter dem Pseudonym eines Autoren seiner Magazine. Der Neonazi sagt, Höcke sei kein Neonazi – Fall geklärt. Ein derartiger Auswuchs von Anti-Journalismus (eigene Recherchen fanden nicht statt, eine hartnäckige Konfrontation mit den Fakten erst recht nicht) ist eher typisch als die Ausnahme. Selbst in einem der besseren Interviews in der Sarrazin-Debatte verzichtete seinerzeit Schirrmacher in der FAZ auf ein Nachbohren. Schirrmacher hatte Sarrazin gefragt, was er mit dem Rassisten Volkmar Weiss zu tun habe. Sarrazin behauptete, er habe sich auf Weiss nur als DDR-Experten bezogen, was nachweislich falsch ist, um nicht zu sagen, dreist gelogen. Doch ein weiteres Inistieren, Nachbohren, Überführen fehlte: dass Sarrazin die Unwahrheit gesagt hatte, warum er die Unwahreit sagte, ob er noch an anderen Stellen die Unwahrheit sagte usw. Und wie gesagt, das war damals eines der besseren Interviews, immerhin konfrontierte Schirrmacher Sarrazin mit Weiss, die meisten Journalisten wussten wahrscheinlich gar nicht was Eugenik/Rassenhygiene, geschweige denn, wer Weiss ist.

Björn Höcke ist einer der führenden AfD-Politiker. Und die AfD zieht seit dem Rechtsruck nach dem Essener Parteitag in jedes Parlament mit einem satten zweistelligen Ergebnis ein, sieht sich selbst inzwischen europaweit als „Klammer“ aller rechten Parteien und setzt sich in Deutschland an die Spitze einer gefährlichen nationalistischen Bewegung, die kontinuierlich stärker wird. Es wäre die Aufgabe des Journalismus zu insistieren. Und diese Aufgabe hat sie aus zweierlei Gründen. Zum einen, weil es um die Sache selber geht. Der Journalismus sollte ein Korrektiv zu den Halbwahrheiten und Schweigekartellen der Parteipolitik sein. Der Journalismus muss nerven, immer wieder und wieder die selben Fragen stellen, bis die Hintergründe endlich aufgedeckt sind. Er muss beharren, darf sich nicht auf irgendwelches Geschwätz einlassen. Wenn Höcke selbstherrlich mit der Einstellung von Lachmann als Medienberater verkündet, die „Zeit der Rechtfertigung“ sei beendet“, dann soll er eben in seiner selbstgewählten Verbannung vegetieren. Es gibt andere AfD-Politiker*innen und diese müssten dann mit Höcke konfrontiert werden, wieder und wieder, insistierend: Wie sah das letzte Amtsenthebungsverfahren gegen Höcke aus? Gibt es Protokolle? War das Schiedsgericht objektiv? Wird es ein neues Amtsenthebungsverfahren geben? Wie bewerten Sie die Anschuldigungen? Warum bewerten Sie sie so? Was sagen sie zu den Indizien, dass Höcke sehr wahrscheinlich unter Pseudonym NS-verherrlichende Texte geschrieben hat? Kennen Sie die Indizien? Tolerieren Sie einen Nazi als führenden AfD-Funktionär?

Zum anderen ist dieser insistierende Journalismus auch als Vorbild wichtig. Es geht um das Beharren auf den Austausch von Argumenten. Es geht um die Wertschätzung von Argumenten. Schaut man sich sogenannte „Diskussionen“ im Internet an, dann handelt es sich meistens um ein Zuklatschen mit Meinungen, egal was der*die andere sagt. Für eine argumentative Auseinandersetzung ist jedoch das Beharren auf Fragen, Antworten und Argumenten wichtig. Journalist*innen müssen solange auf die Beantwortung einer unangenehmen Frage beharren, bis sie beantwortet ist. Und diese Fragen müssen relevant sein, denn erst die Relevanz rechtfertigt das Insistieren. Relevante Fragen zuerst, gibt es hier keine erschöpfenden Antworten, muss insistiert werden, statt zu irrelevanten Fragen überzugehen. Wurde schon zuvor einem Kollegen oder einer Kollegin die Antwort auf eine relevante Frage verweigert, wird diese selbstverständlich wieder aufgegriffen. Der Journalismus hat hinsichtlich des detektivischen Insistierens auf gute Argumentation einen Vorbildcharakter für die Medienkompetenz der Bevölkerung, bzw. er sollte ihn haben. Aktuell scheint es eher, als nehme sich der Journalismus ein Vorbild am desistierenden Charakter der Kommentarspalten.

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