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Zur Agent*in (1): Ein Online-Lexikon ist ein Online-Lexikon

Mit diesem Artikel beginne ich eine Serie von Hinweisen und Akten zum Recherchepool Agent*in – Information on Anti-Gender-Networks. Dieses antifeminismus-kritische Online-Lexikon ist vor einer Woche veröffentlicht worden und scheint ein Stich ins Wespennest gewesen zu sein.

Die Antifeminist*innen fühlen sich getroffen, nicht nur eine aufgeregte Streitmacht von bislang ca. dreißig konservativen Blogs und Foren kritisierten das Wiki, sondern auch Journalisten. Soziologisch interessant ist, dass die Blogs, die zuerst reagierten, aus dem maskulistisch-antifeministischen Lager kamen. Vorneweg, wie zu erwarten war, berichtete der antifeminisistische Maskulist Arne Hoffmann in seinem Blog Genderama. Es folgten eine Reihe weiterer maskulinistischer Blogs und erst allmählich wurden auch deutlich rechtsextreme bzw. islamfeindliche Foren wie PI-News aufmerksam.

Bei den Magazinen / Zeitungen verhielt sich die Bewegung anders. Hier schob sich die Welle von der Jungen Freiheit und Tichys Einblick über die WELT allmählich in den Tagesspiegel vor.

Was viele der Kritiker*innen nicht verstehen oder nicht verstehen wollen: Agent*in ist ein gerade erst veröffentlichtes Wiki. Und „Wiki“ kommt aus dem Hawaiianischen und bedeutet „schnell“ (wikiwiki = schnellschnell). Ein Wiki ist ein Work-in-Progress, eine sich ständig wandelnde Online-Plattform. Da wir in einer Welt leben, die sich schnell ändert, ist ein Wiki ein angemessenes Medium, um über diese Welt zu berichten. Daher konnte das dynamische Wikipedia als Online-Enzyklopädie den behäbigen Brockhaus verdrängen.

Nun handelt es sich aber auch beim Antifeminismus um nichts Statisches. Gerade mit dem Aufkommen des Maskulismus haben wir es neuerdings mit einem Antifeminismus zu tun, der sich im Internet vernetzt und mit ständig neuen Blogs auftritt. Der Maskulismus ist – zumindest im deutschsprachigen Raum – ein Internetphänomen. Mit dem Internetforum „Wieviel Gleichberechtigung verträgt das Land“ (WGvdL) entwickelte sich in Deutschland eine Reihe von untereinander vernetzten antifeministischen Blogs. Von hier aus wurden die Kommentarspalten der Internetauftritte größerer Magazine mit Hatespeech zugespammt. Und schließlich wurde aus dem WGvdL-Spektrum noch das antifeministische Wiki WikiMANNia entwickelt, eine Art illegales Lexikon, welches mit einem Anonymisierungsdienst zusammenarbeit, um ungestraft hetzen zu können. Mit nach eigenen Angaben inzwischen 3900 Artikeln bietet dieses Wiki der rechten Antifeminismus-Szene eine gewisse Nachhaltigkeit.

Parallel zu dieser antifeministisch-maskulistischen Blog- und Foren-Szene wurden systematisch Internetpräsenzen aufgebaut, die eine große antifeministische Bewegung simulieren sollen. Hier ist vor allem das Ehepaar Beatrix und Sven von Storch zu nennen mit ihrem Kampagnen-Netzwerk von Internetauftritten wie Zivile Koalition, zu dem unter anderem die Initiativen Freie WeltCivil PetitionAbgeordnetenCheck, EU-Check, Familien-Schutz, Entscheidung fürs Leben, Einer von uns gehören. Auch die Internetseite Demo für alle, mit der in Stuttgart die antifeministischen Demonstrationen organisiert wurden, ist zunächst von den Storchs ins Leben gerufen worden. Und Beatrix von Storch, stellvertretende AfD-Vorsitzende, behauptete ganz offen, dass sie die Demo für alle in Stuttgart organisiere, dass alles über ihren Schreibtisch laufe. Heute will sie anscheinend nichts mehr davon wissen, das entsprechende Video mit ihrer Aussage wurde nachträglich manipuliert. Mit diesen Internetauftritten werden vor allem Petitionen gestartet und Politiker*innen unter Druck gesetzt. Beatrix von Storch ist stolz auf die nach eigenen Angaben inzwischen zwei Millionen E-Mails, die von ihren Internetseiten ausgehend an Abgeordnete verschickt wurden. Das heißt, wir haben es hier mit einem Geflecht von Internetauftritten zu tun, welches nicht nur kaum zu überschauen ist, sondern sich ständig wandelt und im Nachhinein sogar manipuliert wird. Und solche Netzwerke wie die Zivile Koalition gibt es nicht nur in Deutschland, in Spanien haben wir es mit CitizenGo mit einem ähnlichen europaweit vernetztem Internetauftritt zu tun. Um dies zu dokumentiere, muss man ebenso dynamisch (wikiwiki, schnellschnell) sein und hierfür eignet sich ein Wiki.

Schließlich gesellte sich zu diesem Internet-Antifeminismus vor vier Jahren noch die Partei Alternative für Deutschland, die als erste Facebook-Partei in die Geschichte eingehen wird. Die AfD organisierte sich in den Anfangsjahren hauptsächlich über Facebook. Bereits im Frühjahr 2013 fand sich auf der offiziellen Facebook-Seite der AfD die Forderung „Gender-Wahn stoppen“. Seither unterstützt die AfD mit ihrem Parteiapparat die antifeministische Szene, die sich ebenfalls hauptsächlich über das Internet organisiert.

Ich habe über die maskulistische Szene zwei Bücher herausgebracht. Und auch zum familistischen Antifeminismus sind von mir zwei Expertisen erschienen. Empfehlenswert ist neben vielen anderen aktuellen Publikationen auch der Sammelband von Sabine Hark und Paula-Irene Villa „Anti-Genderismus“. Doch all diese Papiertexte zum aktuellen Antifeminismus haben einen gewaltigen Nachteil: Kurz nach Erscheinen sind sie bereits an einige Stellen überholt, da die antifeministische Szene sich als Netzphänomen enorm schnell ändert. Das soll nicht heißen, dass Papiertexte überholt sind, im Gegenteil. Sie liefern wichtige Hintergrundinformationen und sind daher unerlässlich. Aktuelle Informationen auf der Höhe der Zeit kann allerdings besser durch ein Wiki gewährleistet werden. Daher haben wir uns entschieden, das Wiki Agent*in zu gründen.

Dieses Wiki will über den dynamischen Antifeminismus informieren und passt sich diesem an, in dem es selbst dynamisch, ein ständiger Work-in-Progress ist. Mit den etwas über vierhundert Seiten, mit denen es an den Start gegangen ist, wurde keine abgeschlossene Enzyklopädie vorgelegt. Es ist tatsächlich erst ein Anfang. Die sehr dünnen Seiten werden aufgefüllt und zu den vierhundert Artikeln werden noch viel mehr hinzu kommen. Und die Seiteninhalte werden sich wandeln. Das Wiki Agent*in ist progressiv in Form und Inhalt. Dass dies für totalitär gehalten wird, hat damit zu tun, dass für Konservative wie Hendrik M. Broder alles Progressive den Verdacht des Totalitären hat.

 

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