Klassendebatte in Schweden

Schweden – das ist ein Synonym für den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat. Dennoch ist auch Schweden ein kapitalistisches Land und somit eine Klassengesellschaft.

Am Montag war Gabriel Kuhn auf der Durchreise in Münster und berichtete über aktuelle Klassendebatten in Schweden. In einem fünfjährigen Projekt stellten linke AktivistInnen mit einer Herkunft aus der Arbeiterklasse ein Buch zusammen, in dem sie über ihre Klassenkonflikte innerhalb des linksalternativen Milieus berichten. Das Buch mit dem Titel En knuten näve i fickan (Eine geballte Faust in der Tasche) erschien 2008 im linken schwedischen Yelah-Verlag und wurde von Fredric Carlsson-Andersson und Atilla Piskin herausgegeben.

Gabriel Kuhn hat fünf der fünfzehn autobiographischen Erfahrungsberichte ins Deutsche übersetzt und mit Rezensionen und einem Interview mit Carlsson-Andersson/Piskin versehen. Den Vortrag hielt Gabriel Kuhn bewusst sehr kurz, da er in Hamburg ein großen Diskussions- und Mitteilungsbedürfnis über die Klassenfragen im linken Alltag mitbekam.

Mumin-Tasse
Obwohl ich mich nun bewusst seit ca. fünfzehn Jahren mit Fragen der Klassenherkunft befasse und diese Problematik in den unterschiedlichsten linken Zusammenhängen thematisiere, berührten mich dennoch die autobiographischen Schilderungen. Die AutorInnen des Buches sind keine Bildungsaufsteiger in dem Sinn, dass sie die Klasse gewechselt haben. Sie verblieben in der Arbeiterklasse, obschon sie sich in dem von der Mittelklasse dominierten links-alternativen Milieu bewegten und von außen betrachtet dazu gehörten. Doch in allen Texten – zumindest den übersetzten – sprechen die AutorInnen davon, dass sie sich unter den “Mumin-Linken” nicht wohl fühlten. Es werde viel von Klassenkampf gesprochen, aber die Klassenbilder seien mit Klischees behaftet. Die Interessen und Probleme der Arbeiterkinder hätten keinen Raum. Aus den Texten spricht Trauer und Spott, und auch Hass.
Niemand kann etwas für seine Herkunft. Und es geht in dem Band nicht um Verurteilung. Thema ist vielmehr, dass endlich einmal zugehört wird. Es gibt Unterschiede und diese müssen zur Kenntnis genommen werden. Die beiden Herausgeber schreiben in der Einleitung:
“Natürlich kann jemand aus der ArbeiterInnenklasse kommen un die Regeln der linken Mittelklasse lernen. Aber allzu oft geschieht dies nicht. Und selbst, wenn du das schaffst und zu einem Teil der Mumin-Linken wirst – so richtig wirst du dich trotzdem nie zugehörig fühlen. eine der AutorInnen dieser Textsammlung erzählte in einem Interview mit der Zeitung Arbetaren [ArbeiterIn], dass sie schnell verstand, wie unpopulär es in jungen linken Kreisen war, einen Metzger zum Vater zu haben. Sie sagte deshalb bald, dass ihr Vater mit Tieren arbeite.
[…]
Linke Lieder über die ArbeiterInnenklasse sind lange in der Popwelt der Kunstschulen geschrieben worden – von den ‘RotweinrevolutionärInnen’, wie Erik Zsiga sie nennt. Die Resultate waren nicht unbedingt schlecht. Aber von nun an wollen wir dabei sein.”
Die sich nach dem Vortrag in Münster anschließende Diskussion war sehr spannend, wie immer, wenn Menschen von ihren eigenen Leben erzählen. Ich war vor allem überrascht, dass dieses Buch in Schweden sehr bekannt geworden ist und für viele Debatten sorgt. Die Auseinandersetzungen sind alt und werden immer wieder neu geführt. So ließ sich bereits das feministische Kollektiv “Furies” Anfang der 1970er Jahre in New York nicht mehr die Dominanz der linken Männer aus der Mittelschicht gefallen. Und Gabriele Theling schrieb in den 1980ern eine Diplomarbeit, die deckungsgleich mit den Beschreibungen aus New York zehn Jahre zuvor und Stockholm zwanzig Jahre später ist. 

In Deutschland blieben entsprechende Debatten bislang aus. Die Neuen Sozialen Bewegungen kennen keine Klassen, die MarxistInnen kennen keine soziale Herkunft und die wenigen studierenden Arbeiterkinder kennen keine politischen Äußerungen. Aber bekanntlich bleibt ja nichts so wie es ist. 

 

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