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Bernd Lucke stellt beitragsfreie Sozialleistungen in Frage

In dem Beitrag „Wer zu uns kommt, muss redlich sein“ für das Handelsblatt vom 10.01.2014 stellt Bernd Lucke beitragsfreie Leistungen wie AlG II in Frage. Grundlage ist sein Bedürfnis, Rumän*innen und Bulgar*innen, die bislang keine Steuern gezahlt haben, Sozialleistungen zu verweigern:
„Die Grundsicherung wird in Deutschland aus Steuermitteln finanziert. Warum sollte der Anspruch auf beitragsfreie Sozialleistungen nicht davon abhängig gemacht werden, dass man zuvor für einen bestimmten Zeitraum auch Steuern bezahlt hat

Wohlgemerkt: Leistungsgesetze gelten für Deutsche und für Ausländer gleichermaßen. Artikel 3 des Grundgesetzes verbietet es, Menschen nach ihrer Herkunft zu diskriminieren. Dieses Prinzip darf nicht angetastet werden. Nun gibt es aber auch Deutsche, die der Grundsicherung bedürfen, obwohl sie noch nie Steuern gezahlt haben. Manche sind jung und haben noch nie gearbeitet, andere haben ihr Leben lang geschafft, aber so wenig verdient, dass sie steuerfrei blieben.

Wenn man also den Anspruch auf beitragsfreie Sozialleistungen davon abhängig machen will, dass zuvor Finanzierungsbeiträge für den Sozialstaat geleistet wurden, dann so: Entweder der Empfänger oder seine Eltern müssen in Deutschland Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge abgeführt haben.“

Selbst wenn man den Text nicht auf Antiziganismus untersucht, finden sich diskriminierende Infragestellungen des Grundgesetzes. Kinder aus finanzschwachen Familien werden bekanntlich im deutschen Bildungssystem diskriminiert, erhalten trotz gleicher Leistungen seltener Gymnasialempfehlungen. Die Wahrscheinlichkeit für Kinder aus finanzschwachen Familien, auf Sozialleistungen angewiesen zu sein, ist also größer als bei Kindern aus finanzstarken Familien. Sie sollen nun nach der Idee von Bernd Lucke doppelt bestraft werden, da ihnen die Sozialleistungen nicht gewährt werden sollen, die Kinder aus finanzstarken Familien weiterhin erhalten sollen.

Dieser Vorschlag verstößt eklatant gegen den von ihm selber aufgelisteten Artikel 3 des Grundgesetzes.

Bereits 2005 hatte Lucke als einer der Initiatoren des Hamburger Appells gefordert, Sozialleistungen durch Aufstockungen zu ersetzen, wer also nicht arbeitet, sollte auch keine Sozialleistungen erhalten.

Antiziganismus und Klassismus gehen hier Hand in Hand. Für Lucke sind finanzschwache Menschen „Bodensatz“. Lucke verortet die Kriminalität bei den Armen, „jeder weiß, dass Armut auch Kriminalität bringt“, schreibt er. Als Volkswirtschaftler sollte er wissen, dass die Hartz-IV-Betrügereien nur einen Bruchteil der Kosten erzeugen, die Steuerhinterziehungen mit sich bringen. „Wer zu uns kommt, muss redlich sein“? Ja, es wäre schön, wenn Deutschland mehr Redlichkeit von Außen erhält, Texte wie der von Lucke zeigen, dass Deutschland nach wie vor der Zivilisierung bedarf, was die Menschenrechte betrifft. Nach unten treten, nach oben buckeln, dass sind die Kennzeichen der Untertanen-Mentalität, mit der nationalliberalen Ideologie wieder gegen die „Entartungen“ der Demokratie vorgehen möchte.

Nachtrag 11.01.2014: Soeben habe ich gelesen, dass Lucke das Coming-Out des ehemaligen Bundesnationalspielers Hitzlsperger „bemängelt“: „Ich hätte es gut gefunden, wenn Herr Hitzlsperger sein Bekenntnis zu seiner Homosexualität verbunden hätte mit einem Bekenntnis dazu, dass Ehe und Familie für unsere Gesellschaft konstitutiv sind“, sagte Lucke am Samstag auf dem hessischen Landesparteitag in Gießen laut einem Bericht der Rheinischen Post. Diese Aussage ist genauso diskriminierend wie sein Antiziganismus und Klassismus. Der Zusammenhang ist durch einen „Familialismus“ gegeben. Und dieser Familialismus ist wiederum mit der Nation verbunden, Familie als Kern der Nation.

Nachtrag 12.01.2014: In seiner Rede auf dem Hessischen Parteitag der AfD setzt Lucke die politische Denkweise fort, die mit den problematischen Vokabeln „Bodensatz“ und „Entartung der Demokratie“ begann. So heißt es in seiner Rede, „dass es Verfallserscheinungen in Teilen unserer Gesellschaft gibt bezüglich dieser wesentlichen Keimzelle unserer Gesellschaft: Ehe und Familie.“ „Verfallserscheinung“ ist ein synonymer Begriff für „Entartung“ und „Dekadenz“. Insbesondere dann, wenn von Ehe und Familie als „Keimzelle“ gesprochen wird. Es geht nicht darum, Begriffe zu vermeiden, die auch die Nazis benutzten. Es geht darum, nicht wie Nazis zu denken. Diese Begrifflichkeiten und diese Denkweise ist nicht spezifisch nationalsozialistisch, denn dazu würden noch weitere menschenverachtende Setzungen gehören, wie der „Rassegedanken“ und der „eliminatorische Antisemitismus“.

Dennoch: Die Begrifflichkeiten („Entartung“, „Verfallserscheinung“, Familie als „Keimzelle“) mit denen Lucke uns die Welt erklärt, stammen aus der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Es gab nicht nur Nazis, die diese Schlagworte gerne benutzten, sondern auch kolonialistisch-klerikal-faschistische Literatur, die von „Entartung“ und „Verfallserscheinungen in Teilen der Gesellschaft“ sprach; die die Ehe und Familie als gesunde „Keimzelle der Gesellschaft“ bedroht sah und damit die Kinder, die „wir“ als Nation „brauchen“. Diese Dekadenz-Literatur enthielt zudem Warnungen davor, dass in Deutschland die falschen die Kinder kriegen, da sich Intelligenz und Tüchtigkeit vererbe. Verknüpft sich Luckes „Entartungs-/Verfalls-/Bodensatz“-Denkweise mit Sarrazins „Erbintelligenz“-Theorie, was in den Köpfen einiger AfDler*innen sicherlich bereits passiert ist, dann wäre das noch lange keine neue nazistische Alfred-Rosenberg-Ideologie, aber nicht mehr weit entfernt von „christlichen“ Ideologien wie die von Paul Rohrbach („Aufstieg und Untermensch“, „Der Tag des Untermenschen“, „Deutschland. Tod oder Leben?“).

Transkription eines Teils der Rede von Bernd Lucke nach einem Mitschnitt der FAZ:

„Und dann waren die Zeitungen und Internetforen voll von Kommentaren, die den Mut von Herrn Hitzlsperger lobten, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen. Und das, meine Damen und Herren, finde ich, ist ein falsches Verständnis von Mut zur Wahrheit. Denn ich erkenne inzwischen zwölf Jahre, nachdem Herr Wowereit mit seinem berühmten Satz „Ich bin schwul und das ist gut so!“ und etliche Jahre, nachdem bekannt geworden ist, dass der Bundesaußenminister homosexuell ist, ich erkenne eigentlich gar keinen besonderen Mut mehr darin, sich zu seiner sexuellen Orientierung zu bekennen.

Ich hätte es gut gefunden, wenn Herr Hitzlsperger beispielsweise verbunden hätte mit dem Bekenntnis zu seiner Homosexualität ein Bekenntnis dazu, dass Ehe und Familie für unsere Gesellschaft konstitutiv ist und dass es Verfallserscheinungen in Teilen unserer Gesellschaft gibt bezüglich dieser wesentlichen Keimzelle unserer Gesellschaft: Ehe und Familie. Und dann stehen alleinerziehende Mütter mit Kindern da und sind in unserer Gesellschaft überfordert und können sich um die Kinder, die wir so dringend brauchen, nicht in dem Maße kümmern, wie es notwendig ist.

Und meine Damen und Herren, ihr Beispiel zeigt mir erstens, dass ich dem zustimme, und zeigt mir zweitens, dass wir keine populistische Partei sind, denn diese Position ist in Deutschlan nicht populär.

Ich möchte noch ein ganz kurzes Wort zu Hitzlsperger sagen. Dass der so viel Aufmerksamkeit gefunden hat, hängt mit damit zusammen, dass unsere Medien immer sehr viel Interesse daran haben, Gesichter zu zeigen, Schicksale zu zeigen, die sich mit Gesichtern verknüpfen. Deshalb findet ein einzelne Person, die jetzt über ihre eigene sexuelle Orientierung Auskunft ertielt, plötzlich sehr sehr viel Aufmerksamkeit in den Medien. Also Herr Hitzlsperger mag ja sehr vorbildliche Aktivitäten haben, aber ich glaube, dieser Begriff „Gesichter zeigen“ ist ein wichtiger Begriff, weil unsere Gesellschaft gerade fokussiert ist auf eine gewisse Prominenz von Personen, und darüber überproportional stark berichtet und eine Neigung dazu hat, andere, die gesichtslos sind, zu vergessen. Und ich glaube, wir als Alternative für Deutschland sollten gerade dieses Bestreben haben, die Gesichtslosen unserer Gesellschaft, denen ein Gesicht zu verleihen: den Kindern, den Müttern, den Steuerzahlern.“

Inhaltlich ist dieser transkribierte Text weitgehend deckungsgleich mit einem Text des Rechtsaußen Wolfgang Hübner, dessen Artikel „Die Geburt einer Bürgerpartei des 21. Jahrhunderts“ am 1.04.2013 auf er offiziellen Facebook-Seite der AfD gepostet wurde und wo es unter anderem heißt:

Kein vernünftiger, aufgeklärter Mensch will Homosexualität diskriminieren. Aber sind die Anliegen der homosexuellen Minderheit, deren Lobby bestens vernetzt ist, wirklich von solcher Wichtigkeit für die Gesamtgesellschaft, wie das in den Medien sich widerspiegelt? Ist es nicht für Millionen weit wichtiger, wie sehr die Inflation die Kaufkraft ihrer Renten wegfrisst oder die niedrigen Zinsen den Wert ihrer Lebensversicherungen mindert?
Eine Bürgerpartei wie die AfD soll und muss Platz für viele Menschen haben, die irgendwelchen Minderheiten angehören. Aber sie darf sich nicht zum Sprachrohr von Minderheiten machen lassen. Im konkreten Fall bedeutet das: Familien mit Kindern sind, wie überall auf der Welt, die Zukunft und die Basis der Gesellschaft.

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