Warum die Occupy-Bewegung Wikis benutzen sollte

· Allgemein, Artikel (Netzpolitik)

Heute hatte ich auf der Asamblea in Münster das Occupy-Portal vorgestellt. Es gab eine  kritische Nachfrage, warum denn noch einmal die Website von Occupy Münster gespiegelt werden müsse und ob es nicht sinnvoller wäre, die bestehenden Medien wie die Website und das Pad zu nutzen. Zudem sei ein Wiki nicht benutzerfreundlich, man müsse sich umständlich einarbeiten.

Zum letzten Punkt sage ich später etwas. Zunächst möchte ich auf das erste Argument eingehen, dass nämlich noch eine Seite überflüssig wäre. So weit ich es überblicke, nutzt die Occupy-Bewegung vier verschiedene Medien- und Kommunikationsmittel im Internet:

  • gemeinsame Blogs (die gleichzeitig als zentrale Homepage dienen)
  • Pads (als schnelle Möglichkeit, gemeinsam Texte zu formulieren)
  • Videos als Motivations- und Dokumentationsmittel – vor allem durch die weite Verbreitung von Kameras, die die Erfolge der Bewegung ebenso greifbar machten, wie die schändlichen Übergriffe der Polizei
  • Soziale Netzwerke, insbesondere Facebook, es scheinen aber auch große Symphatien für das dezentrale Netzwerk Diaspora zu bestehen

The Beginning of the Beginning – Gemeinsam Wissen erarbeiten

Eine Losung der Occupy-Bewegung lautet The Beginning of the Beginning (der Anfang des Anfangs), eine andere We are unstoppable – another world is possible (wir sind nicht zu stoppen – eine andere Welt ist möglich). Beide Sätze widersprechen sich leicht. Denn “Eine andere Welt ist mögich” ist keine originäre Losung aus der Occupy-Bewegung, sondern sie gehört zu den Sozialen Foren, einer weltweiten Bewegung, die sich kurz nach der Jahrtausendwende etablierte. Beide Sätze ergänzen sich aber auch, denn wenn davon gesprochen wird, dass eine andere Welt möglich ist, dann kann diese Bewegung nur der Anfang eines Beginns sein, der allerdings unaufhaltsam auf eine andere, eine bessere Welt zusteuert. Wohin diese Reise geht, wo sie herkommt, welche Kräfte sie behindern und welche sie nach vorne bringen könnte, wo Nebelbänke sind, die verwirren und spalten können, und mit welchen Methoden Klarheit über den Kurs zu finden ist, das setzt eine größere Erarbeitung von Wissenskoordinierung voraus als die in den Pads geführten Diskussionen zur Erstellung von Flugblatttexten.

Mit Hilfe der oben aufgezählten Internetmedien der Occupy-Bewegung ist der Anfang des Beginns gelungen. Um mit Ernst Bloch zu sprechen, befinden wir uns in der Phase der Ergriffenheit. Dass das so nicht weiter gehen kann, dass etwas anderes möglich ist, dass so viele so beständig auf die Straße gehen und den öffentlichen Raum besetzen, dass ist der politische Moment des Ergreifens – man ist und wird ergriffen von der kollektiven Bereitschaft so vieler, die ungerechte Vermögensverteilung nicht mehr hinzunehmen. Dieses Ergriffensein ist außerordentlich wichtig. Den Traum von einer besseren Welt haben viele, und wenn dann mitten im Alltagstrott, scheinbar aus dem Nichts, plötzlich Menschen aufstehen und sich daraus eine weltweite Bewegung für soziale Gerechtigkeit entwickelt, dann werden wir ergriffen von einem Wärmestrom und wir werden selber zum Strom der Solidartität, einer größeren Sache, die wir eigentlich nur aus den Traumfabriken kennen. Natürlich ist das gefährlich. Der Nationalsozialismus hat deutlich gemacht, dass ein Wärmestrom auch braun und übel riechend sein kann, Reichsparteitage benutzten so die Möglichkeit zum falschen Ergriffensein als Zementierung der Machtergreifung. Wenn jetzt in der Occupy-Bewegung das Geld und die Banken und das eine Prozent als Ursache allen Übels gesehen werden würde, und weder die Mehrwertproduktion, der Fetischcharakter der Ware oder die gruppenspezifischen Privilegierungen, Diskriminierungen und Marginalisierungen, dann könnte der Wärmestrom der Ergriffenheit in falsche Kanäle fließen.

Deshalb muss – ich bin noch immer bei Ernst Bloch – zum Ergriff der Begriff kommen. Das Böse das stattfindet und das Gute, das zunächst als konkrete Utopie erscheint, muss auf den Begriff gebracht werden. Zum Wärmestrom der Ergriffenheit muss also der Kältestrom als klares Begreifen kommen. Und dazu gehört, dass man sich mit dem Wissen der Menschheit auseinandersetzt, kollektiv, solidarisch streitend.

Vom neutralen zum sozialen Standpunkt – von der Abbildung zur Fortbildung des Wissens

Mit Wikipedia liegt erstmals das Wissen der Menschheit in einer Weise vor, welches potentiell jeder Mensch lesen und verändern kann. Vor dem Hintergrund, dass jede_r Person, insofern sie einen Computer, Netzzugang hat und Lesen und Schreiben kann, an der Vermehrung und Verbesserung dieses Wissens beitragen kann, ist ein Fortschritt gegenüber den unerschwinglichen und von Expert_innen geschriebenen Lexika und Enzyklopädien in Buchform. Aber Wikipedia ist auch ein Rückschritt gegenüber den Enzykloädist_innen. Diese hatten nämlich durchaus den Anspruch, das Wissen der Welt im Sinne des Prozesses der Aufklärung gegen Monarchie und religiöse Verblendung zu positionieren.

Wikipedia konnte seine Größe nur unter den Prämissen der Harmlosigkeit erreichen, nämlich neutral zu sein und das Wissen der Welt nur abbilden, aber keinesfalls fortbilden (Verbot der Theorieetablierung und Theorieproduktion) zu wollen. Wikipedia hat damit einen Fundus an Wissen bereitgestellt, der jetzt problemlos von anderen Wikis okkupiert werden kann. Denn Wikipedia ist nicht das Wiki, sondern nur ein Wiki. Es gab bereits vor Wikipedia Wikis und dass die Online-Enzyklopädie mit dem ursprünglichen Namen Nupedia sich zu Wikipedia wandelte, war eher ein Zufall, das Wiki in der Nupedia-Enzyklopädie wurde ursprünglich nur so eingesetzt, wie jetzt die Pads. Mit Wikipedia ist die Macht der Wissensportale auf Wiki-Basis keineswegs ausgeschöpft, it’s just the beginning of the beginning. Wir können Wikis oder Assoziationen von Wikis als Wissensplattformen nutzen, um das Wissen der Welt von einem sozialen Standpunkt fortzubilden, statt von einem neutralen Standpunkt abzubilden. Ganz praktisch: Wenn in einem Occupy-Camp ein Vortrag zu den Kondratjew-Zyklen gehalten wird, dann kann im Vorfeld der entsprechende Beitrag aus Wikipedia in das Wiki des Occupy-Camps kopiert werden. Bereits im Vorfeld könnte der Referent bestimmte Passagen, die seines Erachtens nicht passen, verändern. Auf der Diskussionsseite können konkret zum Text Verständnisfragen gestellt werden. Nach dem Vortrag und den Diskussionen kann der Text fortentwickelt werden oder es wird ein weiterer Vortrag vereinbart, diesmal zu Leo Nefiodow und zur Technologieprognose. Kritiker_innen der Theorie der langen Wellen können ebenfalls Texte ins Wiki stellen. Bei einem ganz anderen Vortrag, wo es um die psycholoneurale Zerstörung von Menschen im Neoliberaismus geht, fallen den Zuhörer_innen Gemeinsamkeiten oder Widersprüche zum vorherigen Beitrag auf und entsprechend werden die Texte vielleicht noch über zwei, drei Texte dazwischen in einen Zusammenhang gebracht, verlinkt und kategorisiert, so dass nach und nach eine transparente, gemeinsam erarbeitete Wissensgrundlage vorliegt, die dann auch von anderen Occupy-standorten und auch in anderen Zusammenhängen genutzt werden kann. Hätte die Sozial-Foren-Bewegung vor 8 Jahren bereits Wikis in dieser Form genutzt, müsste sich die Occupy-Bewegung nicht alles gänzlich neu entwicklen.

Was ich spannend fände, wäre eine Assoziation vieler Wikis. Es ist sehr einfach, Texte zwischen Wikis hin- und herzuschieben.

Wie können Wikis genutzt werden?

Ich gehe jetzt auf das zweite Argument ein, dass Wikis in ihrer Benutzbarkeit unpraktisch sind. Der Eindruck mag enstehen, weil Wikis auf einer Besonderheit basieren, die sie sehr lesefreundlich macht: auf Interwiki-Links.

Normalerweise reicht es aus, wie bspw. in Pads, einfach die Adresse einer Seite anzugeben, das Programm erkennt an der Struktur, dass es sich um eine Internetadresse handelt, kennzeichnet dies farblich und macht daraus einen Link. Bei Wikis ist dies auch möglich: http://www.occupy-muenster.de/ . Lesefreundlicher wird es, wenn man die Adresse im Sprungziel verbirgt: mit [http://www.occupy-muenster.de/ Occupy Münster] erscheint dann Occupy Münster. Was den Siegeszug Wikipedias ermöglichte waren aber Links auf Titel im eigenen Wiki, also die sogenannten Interwiki-Links. Mit zwei eckigen Klammern kann auf Texte im Wiki verwiesen werden: [[Occupy Münster]] führt zu Occupy Münster. Diese eckigen Klammern kann man um alle Begriffe machen, Occupy Bielefeld erscheint dann aber als rot, weil es noch keinen entsprechenden Artikel gibt. Innerhalb der Seiten lassen sich dann noch Überschriften setzen durch Gleichheitszeichen: ==Wie können Wikis genutzt werden==. Mit diesem Grundwissen lassen sich Wikis schreiben, in die Feinheiten kann man sich nach und nach einarbeiten, dazu gibt es jede Menge Literatur. Wikipedia beruht auf dem Open Source Programm Mediawiki, welches ständig weiterentwickelt und verbessert wird.

Eine weitere Besonderheit bei Wikis sind die Diskussionsseiten. Zu jeder Textseite gibt es eine Diskussionsseite, die sich oben mit einem Klick auf den Reiter öffnen lässt. Neue thematische Diskussionsabschnitte beginnt man wieder mit den zwei Gleichheitszeichen links und rechts von der Überschrift des Themas. Man unterschreibt seinen Beitrag mit — ~~~~. Dadurch wird der Nickname verlinkt und die Uhrzeit gepostet. Jede_r, der bei Wikis mitschreibt, erhält automatisch eine Namensseite unter dem Titel seines Nicknames, bei mir also [[Benutzer:Andreas Kemper]] und eine Diskussionsseite. Hierdurch ist es möglich, sehr schnell miteinander Kontakt aufzunehmen. Man kann allerdings auch völlig ohne Anmeldung in Wikis Artikel schreiben. Allerdings ist es paradoxerweise geschützter, wenn man sich anmeldet, als wenn man ohne Anmeldung schreibt. Und man ist besser erreichbar.

Neue Artikel legt man an, indem man im Suchfeld den Titel angibt und auf “Seite” klickt. Entweder es gibt den Artikel schon oder es gibt ihn nicht. Wenn es ihn nicht gibt, erhält man die Möglichkeit, einen neuen anzulegen. Achtet aber bitte auf das Urheberrecht, wenn ihr Texte hierher kopiert.

Soviel ersteinmal. Für Fragen und Kritik stehe ich gerne zur Verfügung. Wie Wikipedia funktioniert, wisst Ihr jetzt grob. Also legt los, meldet euch an, klickt oben auf den Diskussionsreiter und sagt mir Eure Meinung.

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