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Sarrazin: Es geht wieder los … Gegen Sekundärtugendterror

Der Bertelsmann-Konzern wird Sarrazins neues Buch Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland in einer Erstauflage von 100.000 heraushauen begleitet von Werbungen in FAZ, Welt, ZEIT, ZEIT-Online … Gespannt sein dürfen wir auf Vorabdrucke, die 2010 das Vorgängerbuch Deutschland schafft sich ab zum Bestseller machten, bevor es erschienen ist.

Der Medienwissenschaftler Michael Haller hatte die Medien zur Sarrazin-Debatte kritisiert. Diese hätten nicht rechtzeitig die fundierte Kritik an Sarrazin aufgenommen, sondern nur oberflächlich diese Debatte begleitet. Er hatte daher mit dem Journalisten Martin Niggeschmidt einen Sammelband zum Mythos des Niedergangs der Intelligenz erstellt, der die Gefährlichkeit von Sarrazins Thesen aufzeigt, in dem er auf die Wurzeln der Traditionslinie dieser Thesen hinweist. Doch die Medien-Karawane war längst weitergezogen.

Nun kehrt die Karawane anscheinend zurück. Es ist wichtig, dass sofort fundierte Kritik erfolgt, und dass diese sich nicht auf den richtigen Hinweis wie z.B. von Jan Fleischhauer beschränkt, dass eine Startauflage von 100.000 für ein Buch nicht schlecht sei, in dem die These vertreten werde, dass man in Deutschland seine Meinung nicht frei äußern dürfe. Ich habe mir gedacht, wenn ich ein Buch zu einer Partei schreiben kann, die (damals) noch nicht existiert(e), dann kann ich auch ein Buch zu einem Buch schreiben, welches noch nicht auf dem Markt ist.

Körper- und Volkskörperkorrekturen

Mir fiel in den Recherchen zu Thilo Sarrazin auf, dass er den Arbeitszwang für Arbeitslose fordert – nicht damit diese produktiv sein sollten, sondern damit sie in der Weise diszipliniert werden, dass sie sich ständig den Korrekturen der sogenannten Sekundärtugenden „Gehorsam, Fleiß, Pünktlichkeit, Sauberkeit“ zu unterziehen hätten, damit sie jederzeit den Anforderungen des Niedriglohnsektors genügen können. Michel Foucault nennt dies „Disziplinierung“. In seinem Buch „Überwachen und Strafen“ hat er dezidiert die Entstehungsgeschichte des Strafsystem nachgezeichnet, welches heute in der Verfolgungsbetreuung der Hartz-IV-Agenturen mündete und sich Workfare schimpft. Vor einhundert Jahren nannte man die Institutionen, in denen Landstreicher, Prostituierte, „Schwererziehbare“, Alleinerziehende, „Arbeitsscheue“ und andere „Corringenden“ und „Corringendinnen“ Zucht und Ordnung beigebracht wurde, „Korrektionsanstalten“. Dies ist die eine Traditionslinie, in der Sarrazin sich befindet: disziplinierende Körperkorrektur.

Die Kriminalanthropologie vor einhundert Jahren entdeckte allerdings Grenzen der Erziehbarkeit. Ähnlich wie Sarrazin heute, stellten sie fest, dass auch die beste Schule „Dumme“ nicht „klug“ machen, „Arbeitsscheue“ nicht „ertüchtigen“ könne. Michel Foucault konnte zeigen, wie die bürgerliche Gesellschaft ihre Sexualität erfand und dabei die individuelle Sexualität mit Fragen bevölkerungsqualitativer Fruchtbarkeit koppelte. Zunächst wurden die „Perversionen“ „entdeckt“. (Anm.: Es ist kein Zufall, dass Matthias Matussek den Anti-PC-Diskurs vor zwanzig Jahren nach Deutschland importierte – so kann er heute den „Perversen“ stolz sagen, dass er homophob sei). Dann die Bedeutung der Fruchtbarkeit für den „Volkskörper“ und die Drohung der „Dekadenz“. Die Eugenik, in Deutschland die Rassenhygiene, wurde entwickelt. Diese „Biomacht“ der Volkskörperkorrekturen ergänzte die Disziplinarmacht der Körperkorrekturen in den Straf- und Korrektionsanstalten. Dies ist die zweite Traditionslinie, in der Sarrazin sich befindet: biopolitische Bevölkerungskorretur.

Der Anti-PC-Korrektionalismus: biopolitischer Sekundärtugendterror

Sarrazin ist Korrektionalist. In seiner Abwehr von „Politischen Korrekturen“ geht es darum, dass national-bürgerliche Heteronormativität von „links“ politisiert wird, was man gar nicht gerne sieht. Das heißt, Anti-PC kritisiert in erster Linie das Politische, nicht das Korrigierende. Der Trick dabei: nicht das politische Moment wird betont, sondern das korrektive Moment. Damit wird die eigene Spießbürgerlichkeit den politischen Gegnern in die Schuhe geschoben. Doch dabei bleibt es nicht. Wenn der Tugendterror beklagt wird, so wird eine bestimmte Tugend, die auf Gleichheit, Emanzipation und Menschenrechte zielt, markiert und denunziert. Die eigene Tugend, die propagiert wird, die sogenannte „Sekundärtugend“ mit den Werten Fleiß, Gehorsam, Pünktlichkeit, Disziplin, bleibt unsichtbar. Tatsächlich ist aber die Forderung von Sarrazin nach einer stärkeren Dizsiplinierung von Arbeitslosen auf ein Einpauken dieser „Tugenden“ gerichtet, man könnte auch sagen, die Herstellung eines ständigen Terrors zur Einkörperung dieser „Tugenden“, ein Sekundärtugendterror. Mit der Vokabel „Tugendterror“ wird also vom eigenen „Sekundärtugendterror“ abgelenkt. Aber auch dabei bleibt es nicht bestehen. Es geht um die Redkodierung des Politischen. Nicht mehr das Glück und die Gerechtigkeit in Alltagsfragen oder die Würde des Menschen soll im Mittelpunkt der Politik stehen, sondern die Dignität von Nation, Staat, Volk und Religion. Gegen das „menschelnde“, „gefühlige“ „Gutmenschentum“ solidarischer Politik wird die Freund/Feind-Metaphorik Carl Schmitts gesetzt. Darum geht es in „Der neue Tugendterror“ und nicht einfach nur um die Absurdität, mit einer 100.000nder Auflage zu beklagen, man käme nicht zu Wort.

Wer mehr lesen möchte: Das Buch „Sarrazin Correctness“ erscheint pünktlich zur Buchmesse in Leipzig. Ich werde dort am 13.3. lesen.

Nachtrag 18.02.2013: Na prima: ARD und ZDF hypen das neue Buch von Sarrazin: „Anlässlich der Bucherscheinung am 24.Februar ist Thilo Sarrazin am 25.Februar 2014 um 22:45 Uhr zu Gast bei Sandra Maischberger in der ARD und wird am 02.März 2014 um 10:15 Uhr bei Peter Hahne im ZDF erwartet. Am 23.02.2014 können Sie außerdem im BILD ein spannendes Interview nachlesen und am 24.02.2014 in der neuen FOKUS –Ausgabe einen ersten Blick auf ein Kapitel aus dem Buch werfen. Wir dürfen gespannt sein. Link

Nachtrag 18.02.2013: Sandra Maischberger teilte mir per Twitter mit, dass Sarrazin NICHT bei ihr zu Gast ist. Der Bertelsmann Buch Club entschuldigte sich per Tweet bei und Sandra Maischberger für die Verbreitung dieser Falschmeldung.

Nachtrag 19.02.2013: In der aktuellen Mitteilung bei  steht nun nicht mehr den Hinweis auf Maischberger, aber auch nichts mehr von einem Vorabdruck beim Focus. Eine Nachfrage bei den zuständigen Menschen bei Focus ergab, dass es „voraussichtlich“ (man drückt sich gerne vage aus) keinen Vorabdruck geben wird. Stattdessen findet sich bei der Bertelsmann-Werbung nun die Angabe, dass ab dem 19.02. in der BILD ein Vorabdruck erscheinen wird. Ich habe gerade 70 Cent für die BILD von heute ausgegeben und fand dort keinen Vorabdruck, auch keinen Hinweis darauf. Nichts. Woher kommen diese ganzen Falschmeldungen? Und sollte sich selbst die BILD zu schade sein für Sarrazin? Wird das Buch von Sarrazin ein Mega-Flop?

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