Vom Faschismus sollte man nicht leichtfertig sprechen. Dennoch sollten faschistoide Tendenzen auch nicht ignoriert werden. Faschistoide Tendenzen sehe ich dort, wo sich Diskriminierungen gegen Minderheiten mit Entdemokratisierung, Einschränkung der Pressefreiheit und enthemmter Gewalt verbinden, also mit dem Abbau von Grundrechten.
Die AfD zeigt kurz vor der Europa-Wahl, dass ihnen die Gewalt des staatlichen Gewaltmonopols nicht ausreicht.
JA: Selbstjustiz und Arbeitslager
So postet die Junge Alternative Plakate auf ihrer Facebook-Seite, die als Aufruf zur Selbstjusitz zu verstehen sind. Ein Foto zeigt eine schießende Frau mit den Aussagen: “Kriminalität härter angehen” und “Wenn der Staat seine Aufgabe nicht mehr wahrnimmt, werden es ANDERE tun”. Vor dem Hintergrund des Ende April in den USA durch Selbstjustiz erschossenen Hamburgers Austauschschülers zeugt dieses Plakat von einer faschistoiden Geschmacklosigkeit. Das andere Plakat zu dem Thema scheint bewusst doppeldeutig formuliert zu sein: “Weil der Staat Kriminalität nicht mehr in den Griff bekommt… Selbstjustiz ist die neue Polizei” Zuvor hatte die JA mit einem Facebook-Plakat bereits indirekt Arbeitslager gefordert: “Schluss mit Kuscheljustiz! Kriminalität härter angehen. Harte Arbeit wartet.” Einher gehen diese Forderungen nach “mehr Härte” mit einer Verharmlosung des Nationalsozialismus, wenn z.B. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz mit Adolf Hitler verglichen wird.
Diese Forderungen nach “mehr Härte” vermischt sich mit dem Opferstatus der AfD, die sich vom Rechtsstaat verlassen fühlen. Bereits die Gründung des rechtskonservativen Kampagnennetzwerkes “Zivile Koalition e.V.” um Beatrix von Storch basierte auf der Argumentation, es gäbe keinen Rechtsstaat (weil die Nachfahren der ehemals adligen Großgrundbesitzer nicht “ihre” durch die DDR enteigneten Ländereien zurückbekommen haben). Und auch Bernd Lucke forderte im letzten Jahr nach einer Reihe von Zeitungsenten, in denen vermeintliche Attacken die Runde machten (“Messerattacke gegen Lucke”, “Haus von AfDler mit Benzin überschüttet”), einen härteren Rechtsstaat. In ihrem Verfolgungswahn bestärken sich die AfDler*innen in den diversen Facebook-Kommentarspalten den Selbstschutz in die Hand zu nehmen. Vergleiche von Antifaschist*innen mit der SA und von AfDler*innen mit Jüd*innen in der Nazi-Zeit sind keine Seltenheit – soeben wurde deswegen der in der AfD beliebte Marco Trauten mit einem Parteiausschlussverfahren belegt.
Mit Neonazis gegen AfD-Kritiker*innen
2013 wurde aus AfD-Kreisen eine Pranger-Seite errichtet, die AfD-Kritiker*innen auflistete und “Gewalt gegen die AfD” dokumentieren wollte. Der Landessprecher der AfD Niedersachsen fordert die Staatsanwaltschaft auf, gegen Informationsveranstaltungen vorzugehen. „Es scheint keinem Staatsanwalt in den Sinn zu kommen, hinter solcher Fassade die Entwicklung politischen Bandentums zu erkennen, geschweige denn, daraus strafrechtliche Konsequenzen zu ziehen.” ist sein Kommentar zu einer Infoveranstaltung in Lüneburg mit mir als Referenten. Als “Gewalt” wurde auch das Abreißen von AfD-Plakaten gewertet. Eine solche Gleichsetzung von Sachbeschädigung mit brutaler körperlicher Gewalt ist nicht unproblematisch. Die AfD diskutiert nicht nur über Selbstschutz und die Anheuerung von Schutztruppen für ihre Antifa-Stände und Plakate. Am 10.5.2014 wurde in Bonn-Beuel eine Studentin, die einen Pappkarton mit Werbematerial von einem Infotisch fegte, verfolgt und mit Faustschlägen und Knietritten verprügelt. Diese Vorfälle mehren sich, so verfolgte der ehemalige stellvertrende Kreisvorsitzende der AfD Bochum nach einer verbalen Auseinandersetzung einen AfD-Kritiker und zog dabei eine Gaspistole, obwohl er nicht bedroht wurde.
Anscheinend baut die AfD vor Ort eigene Ordnertruppen auf. So erstattete die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Theresa Kalmer, eine Anzeige wegen Körperverletzung, weil sie am 9.4.2014 in Dresden von einem Ordner der AfD “beleidigt, gewürgt und zu Boden geworfen” worden sei.
In ihrem Verfolgungswahn solidarisieren sich AfDler*innen mit ausgewiesenen Neonazis.
Nachdem Neonazis Antifaschist*innen in Dortmund in einer nächtlichen Aktion “festnahmen” und ihre Handgelenke mit Kabelbindern zuschnürten, wurde ein Foto, welches diese Aktion dokumentiert, auf verschiedenen Facebook-Seiten weiterverbreitet. Diese Aktion der Neonazis wurde auch in AfD-Kreisen als beispielhaftes Vorgehen gepriesen. Verlinkt wurde dieses Foto u.a. vom Bezirksverband Hamburg Nord und vom Kreisverband Bochum. Auch einige Facebook-Accounts, die sich als AfDler*innen ausweisen, haben dieses Foto weiterverlinkt, u.a. finden sich hier die Namen Daniel Buhl, Stefan Zuehlke, Jens Eckleben, Christel Jaudschus, Norbert Hondl.
Am 10.05.2014 hatte erstmals auch in Münster der AfD-Stand in der Innenstadt eine Gruppe von Männern als “Schutz” vor Flugblattverteiler*innen. Diese bedrohten die anwesenden Kritiker*innen der AfD. Zu ihnen gesellte sich auch der Gründer der Gruppe “Nationale Sozialisten Münster”, der die Ordnertruppe mit Handschlag begrüßte. Auch ein Fotojournalist wird von der Truppe bedroht.
Einschränkung der Pressefreiheit
Nicht nur auf der Straße versuchen AfD-Aktivist*innen die Pressefreiheit einzuschränken. Diese Einschränkung findet vermehrt auch in öffentlichen Veranstaltungen in geschlossenen Räumen statt, wo die Presse reglementiert und gezielt ausgeschlossen wird. So wurde bereits versucht, während des Landesparteitages der AfD in Hessen die Presse für einen bestimmten Zeitraum komplett auszuschließen. Für einen weiteren Protest sorgte eine Reglementierung der Presse im Zuge der Einladung des Rechtspopulisten Nigel Farage (UKIP) durch die Junge Alternative in Köln. Mit körperlichen Einsatz wurde die bekannte Journalistin Andrea Röpcke und ihr Fotograf aus einer Veranstaltung mit Bernd Lucke in Bremen ausgeschlossen. Und vor kurzem wurde in Bochum ein kritischer Journalist der “Ruhrbarone” von einer öffentlichen AfD-Veranstaltung ausgeschlossen.
Es handelt sich bei den mutmaßlichen Verstößen gegen die Versammlungsgesetz (§6 Absatz 2: “Pressevertreter können nicht ausgeschlossen werden; sie haben sich dem Leiter der Versammlung gegenüber durch ihren Presseausweis ordnungsgemäß auszuweisen.”) nicht um Einzelfälle, sondern um ein bestimmtes Verhältnis zur Presse und zur Demokratie.
Die Forderungen von führenden AfDlern nach Demokratieabbau und einem rigoroseren Rechtsstaat bilden sich mehr und mehr auch in ihrer aktuellen politischen Praxis ab. Es handelt sich um erste Anzeichen von faschistoiden Tendenzen – die sich bei der Jungen Alternativen mit Forderungen nach “Härte” deutlicher zeigen als bei der AfD. Die AfD ist keine nette Opa-Partei, sondern Ausdruck eines “verrohten” und privilegierten Bürgertums, welches um seine Privilegien bangt und aus Deklassierungsängste die Ellenbogen ausfährt. Was dieses Milieu vom entsprechenden Milieu in der Weimarer Republik unterscheidet, ist die unterschiedliche Erziehung, denn es waren aus einer soziapsychologischen Sicht vor allem die Deklassierungsängste gekoppelt mit einer furchtbaren autoritären Erziehung, die das Milieu der NSDAP-Gründer entstehen ließen. Harmlos ist dieses Milieu trotzdem nicht.
Nachtrag 13.05.:
Auch in Magdeburg scheinen nach einem Bericht der Jungen Welt AfD-Anhänger mit Messer und Baseballschläger bewaffnet gegen Antifaschist*innen vorgegangen zu sein.
Nachtrag 15.05.:
Die Polizei hat Vorermittungen zum Selbstjustiz-Plakat der JA aufgenommen.
Nachtrag 09.03.2015:
Auch ein Jahr später schließt die AfD noch Pressevertreter von öffentlichen Veranstaltungen aus: AfD-Landeschef Pretzell schickt NW vor die Tür
Sabine Boehnke
Sehr schöne Zusammenfassung. Danke!