Syndrom der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Europa

Die ersten Ergebnisse einer europäischen Untersuchung zum Syndrom der “Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit” wurden gestern in Berlin präsentiert. Es war Freitag der 13. Die Ergebnisse zeigen rassistische, anti-islamische und sexistische Vorurteilstrukturen in allen untersuchten europäischen Ländern. Zahlen zu klassistischen Vorurteilen (z.B. Klassismus gegen Obdachlose) wurden leider nicht dargestellt.

Initiert wurde diese Studie zu Vorurteilsstrukturen von ForscherInnen der Universität Bielefeld, die in einem auf zehn Jahre angelegten Forschungsprojekt jährliche Befragungen zu abwertenden Einstellungen gegenüber sozialen Gruppen durchführen und auswerten. Diese Langzeitstudie liefert jährlich wichtiges Material zur Diskriminierung in Deutschland. Dokumentiert werden diese Ergebnisse u.a. in den Suhrkamp-Bänden “Deutsche Zustände”. Die jetzige europäische Studie fand in Kooperation mit Universitäten in Amsterdam, Bielefeld, Budapest, Grenoble, Lissabon, Marburg, Oxford, Padua, Paris, und Warschau statt und stand unter der Schirmherrschaft der Amadeu Antonio Stiftung aus Berlin.

Ergebnisse in Zahlen
Erste Ergebnisse wurden in einer Pressemappe vorgelegt. Hier zeigten sich unterschiedlich starke länderspezifische Vorurteilsstrukturen. Gefragt wurde, ob man bestimmten Äußerungen (die Vorurteile nahelegen) zustimme.

Diese Vorurteile werden in Europa weitgehend geteilt. Gleichzeitig offenbaren sich Unterschiede im Ausmaß der Zustimmung mit insgesamt dem niedrigsten Ausmaß in den Niederlanden, gefolgt von Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Portugal und der vergleichsweise höchsten Zustimmung in Polen und Ungarn.

Während der Pressekonferenz wurden folgende Zahlen genannt:
* 50,4% der Europäer stimmen eher oder voll und ganz zu, dass es zu viele Einwanderer in ihrem Land gibt. Diese Aussage spiegelt eine generelle und blinde Ablehnung von Immigranten.
* 24,4% nehmen an: „Juden haben zu viel Einfluss in [Land].“ Hier zeigt sich eine traditionelle Facette des Antisemitismus der antisemitische Konspirationsmythen widerspiegelt.
* 54,4% der Europäer glauben, dass der Islam eine Religion der Intoleranz ist. Dies macht sichtbar, dass viele Europäer ein negatives Islambild teilen (und auch im Hinblick auf Muslime negative Einstellungen vertreten).
* Fast ein Drittel (31,3%) der Europäer stimmen eher oder voll und ganz zu, dass es eine „natürliche Hierarchie zwischen Schwarzen und Weißen“ gibt. Dies bedeutet, dass sie einer sehr offenen und direkten Form des Rassismus zustimmen, der den Glauben an eine ethnische Hierarchie durch scheinbar natürliche Unterschiede legitimiert.
* Die Mehrheit der Europäer von 60,2% befürwortet traditionelle Geschlechterrollen, die u.a. in wirtschaftliche Ungleichheit der Geschlechter mündet, indem sie z.B. fordern: „Frauen sollten ihre Rolle als Ehefrau und Mutter ernster nehmen.“
* 42,6% lehnen gleiche Rechte für Schwule und Lesben ab und beurteilen Homosexualität als „unmoralisch“.

Ursachen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit
Zu den Ursachen stellt die Studie fest, dass eine konservative und autoritäre Einstellung, ein Gefühl der Bedrohung und ein fehlender (direkter oder auch nur indirekter) Kontakt zu Menschen mit einer “anderen” Gruppenzugehörigkeit die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit fördere:

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wird von einem Bündel von Faktoren verursacht. Unter den wichtigsten Faktoren sind solche, die zum Einen offen sind für negative Propaganda, Zum Anderen aber auch für Prävention und Intervention durch Bildung, Reflektion und positive persönliche Erfahrung offen sind: a) das subjektive Gefühl, Einwanderer würden die Wirtschaft und die Lebensart eines Landes, bzw. des Befragten selbst bedrohen b) die Befürwortung einer autoritären Haltung, die strenge Disziplin und hartes Vorgehen gegenüber Außenseiter fordert, um vermeintlich Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Zugleich verringert c) eine positive Haltung gegenüber Vielfalt, d.h. soziale Heterogenität im Hinblick auf verschiedene soziale, ethnische, kulturelle und religiöse Gruppen GMF.

Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
Konkret bezogen auf das Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit kommt die Studie zunächst zu einem Schluss, der sich mit den Inhalten in “Deutsche Zustände” deckt:

Das Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit konnte mit denselben Elementen (gleichen Vorurteilen) für alle Länder bestätigt werden. Verschiedene Vorurteile werden aus einem gemeinsamen Kern gespeist, der maßgeblich von einer Ideologie der Ungleichwertigkeit bestimmt wird.

Überraschenderweise wird dann festgestellt, dass nicht alle acht der untersuchten Vorurteile sich im Individuum zu einem Syndrom bündeln und gegenseitig verstärken, sondern nur die sechs Vorurteilsstrukturen gegenüber Einwanderern, Juden/Jüdinnen, MuslimInnen, Schwarzen, Frauen und Menschen mit homosexueller Orientierung. Nicht in Relation mit diesen Vorurteilen stünden die beiden Abwertungen gegenüber obdachlosen und behinderten Menschen. Zudem könne es auf Länderebene weitere mit dem Syndrom zusammenhängende Vorurteile gegenüber psychisch Erkrankten oder gegenüber Sinti und Roma geben, dies sei jedoch nicht untersucht worden.

Hier schließen sich verschiedene Fragen an:

Zunächst fällt auf, dass im Individuum die Abwertung von Menschen in Obdachlosigkeit oder mit Behinderungen nicht mit anderen Gruppen-Abwertungen zusammenhängt. Das heißt, wer rassistisch ist, ist oftmals auch sexistisch, antisemitisch, heterosexistisch, anti-islamisch, aber nicht unbedingt obdachlosen- oder behindertenfeindlich. Leider wurden auserechnet zu diesen beiden “Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten” keine Zahlen präsentiert. Dies irritiert. Waren keine Abwertungen vorhanden? Dies würde mich sehr wundern, da erst in diesem Jahr die Studie im Auftrag der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes “Diskriminierung im Alltag” in aller Deutlichkeit feststellte:

Forschungsfrage: Welche Gruppen gelten als benachteiligt?
Befund: In allererster Linie die sozial Schwachen.

Ebenso empfahl eine Studie über Diskriminierung in Irland Arbeitslosendiskriminierung in die Antidiskriminierungsgesetze aufzunehmen, da eine starke Diskriminierung von Arbeitslosen festgestellt wurde.

Verwundert bin ich auch darüber, dass “Abwertung von Arbeitslosen” nicht in die Untersuchung aufgenommen wurde, obwohl diese doch gerade erst in den deutschen Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit entdeckt worden ist und für Schlagzeilen sorgte. Dies ist auch ein wenig ärgerlich, zum einen, weil die aktuelle Sarrazin-Debatte gezeigt hat, dass der Rassismus in seinem Lettre-Interview sehr viel stärker öffentlich wahrgenommen und angeprangert wurde, als der mindestens ebenso stark dort enthaltene Klassismus. Zum anderen ist es ärgerlich, weil auf europäischer Ebene ja eh schon aufgrund der diskriminierungshierarchischen Antidiskriminierungsgesetze (welche Klassendiskriminierung ausblenden) Forschungen in diesem Bereich kaum stattfinden. Daher hätte die Studie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ein erfrischender Gegenpol sein können, der vielleicht auch Bewegung um die notwendige Erweiterung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien hätte bringen können.

Zwei Syndrome Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit?
Dennoch bleibt das Ergebnis spannend, dass Abwertungen von behinderten oder obdachlosen Menschen nicht nahtlos zum Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gehören. Spannend, weil zuvor bereits festgestellt wurde, dass die Abwertungen gegen arbeitslose, obdachlose und behinderte Menschen einhergehen mit einem Nutzenkalkül. Heitmeyer als einer der Initiatoren der Langzeitstudie sprach von einem Übergang von der Marktwirtschaft zur Marktgesellschaft, der sich darin zeige, dass Menschen zunehmend nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen bewertet würden. Menschen, die nicht im Wirtschaftprozess integriert seien, würden als nutzlos angesehen. Hier wurde also bereits ein “Sub-Syndrom” der Abwertung festgestellt, welches mit dem vermeintlichen “ökonomischen Nutzen” eines Menschen einhergeht.

Heißt das, dass wir es hier mit zwei Syndromen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu tun haben? Falls ja, lägen auch unterschiedliche Ursachen vor. Hier müsste differenzierter untersucht werden, welche Menschen zu welchen Syndromen neigen.

5 Kommentare

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  1. andreas.erich.kemper@gmail.com

    Hallo Hanna

    Ja das stimmt. Würde es solche Studien nicht geben, könnte man meinen, man spinnt.

    Ich habe übrigens von einem spannenden Film gehört, der gerade in den Kinos anläuft, aber nur in einigen wenigen:

    Die Unwertigen
    Ein Dokumentar-Film von Renate Günther-Greene über Kinder, die in der Nazi-Zeit in Kinderheime gesteckt wurden.

    Hier der Link:
    http://www.die-unwertigen.de/der-film/

  2. Susanne Kunjappu-Jellinek

    Hallo Andreas,

    interessant, der Gedanke des 'Klassismus'

    "dass Menschen zunehmend nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen bewertet würden."

    Erstmal, das wird mit anderen Lebewesen in großem Umfang und ohne jedes Mitgefühl getan, vielleicht lässt uns die Gewöhnung daran verrohen und alles Leben nach ökonomischem Nutzen abzuwägen ?

    Unser bipolares Wertesystem könnte eine Ursache für die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sein. Wir teilen ein in Erstrebenswertes und Nichterstrebenswertes

    Wird ein Vorurteil oder ein Urteil installiert, wenn zum Beispiel ein Schulkind vernimmt (das geschieht sicher tagtäglich):
    Du musst fleißig lernen und zur Schule gehen, sonst landest Du womöglich als Obdachloser auf der Straße. (oder: bleibst arm, bekommst keine Arbeit etc.) ?

    Angst oder Verlockung scheinen nach wie vor die Mittel der Wahl in der Erziehung. Beide erzeugen Polarisierung, schon entstehen Sympathie und Antipathie …

    Im Übrigen, gegen alle gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten sollten wir versuchen etwas zu unternehmen, auch gegen jene, die 'das Bürgertum' oder 'die Reichen' als Feinde ausmachen.

    "Zunächst fällt auf, dass im Individuum die Abwertung von Menschen in Obdachlosigkeit oder mit Behinderungen nicht mit anderen Gruppen-Abwertungen zusammenhängt. Das heißt, wer rassistisch ist, ist oftmals auch sexistisch, antisemitisch, heterosexistisch, anti-islamisch, aber nicht unbedingt obdachlosen- oder behindertenfeindlich."

    Ganz gleich, in welche Klasse oder Gruppenzugehörigkeit jemand gesteckt wird, sobald er oder sie Leistungen ohne Gegenleistungen erhält, scheint Missgunst aufzuflammen. Vielleicht hilft dieser Gedanke auf die Spur.

    Viele Grüße

  3. harrytisch2009

    ich bin gruppenbezogen menschenfeindlich gegen bullen, nazis, kapitalisten, gegen personen, die durch religiösen aberglauben die werktätigen an der entfaltung des richtigen klassenstandpunkts hindern und gegen schwule kahlgeschorene fliegenfischer mit eigenheim, unter denen es bekanntlich überdurchschnittliche viele wegelagerer, sittenstrolche und tierquäler gibt. aber nur wenn sie in der jahrgangsgruppe zwischen 1954 und 1976 liegen.

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