In der “Welt Online” war heute ein männerrechtlicher Artikel zu lesen, der den neuen Nationalen Bildungsbericht vom 22. Juni kommentiert. Unter dem Titel “Die Jungs sind die Verlierer des Bildungssystems” schreibt dort Birgitta vom Lehn:
“Bei der Präsentation des Bildungsberichts 2012 standen die üblichen Verdächtigen im Mittelpunkt: die Benachteiligten in Gestalt von Kindern aus Migrantenfamilien und/oder sozial schwachen Verhältnissen. Aber die größte benachteiligte Gruppe wurde gar nicht erwähnt: die Jungen. Dabei haben mehrere Studien in jüngster Vergangenheit gezeigt: Jungs werden in der Schule oft schlechter bewertet als Mädchen, bleiben öfters sitzen und machen seltener das Abitur.
Die letzte Erhebung dieser Art stammt aus dem vergangenen November, als Bildungsforscher im Auftrag der Vodafone-Stiftung kundtaten: Mädchen erhalten im Schnitt bessere Noten als Jungen (2,58 versus 2,67), obwohl sie in standardisierten Leistungstests schlechter abschneiden.”
In diesen einleitenden Sätzen sind bereits zwei Dinge falsch dargestellt: Erstens berichtet der Nationale Bildungsbericht so gut wie gar nicht über die “Benachteiligten in Gestalt von Kindern aus sozial schwachen Verhältnissen”. Der Nationale Bildungsbereicht entstand unter anderem auch deshalb, weil die internationalen Vergleichstest, die immer wieder die extrem hohe soziale Selektivität des deutschen Bildungssystems dokumentierten, konservative Politiker mächtig verägerten. Es gab peinliche Streitereien mit der EU-Kommission, mit dem Leiter der Internationalen PISA-Studie Andreas Schleicher (mit dem Resultat, dass Deutschland für einen bestimmten Zeitraum von der Vorveröffentlichung ausgeschlossen wurde) und mit dem Bildungsberichterstatter der UN Vernor Munoz. Tatsächlich findet man im Nationalen Bildungsbericht nur sehr versteckt Angaben zur Sozialen Herkunft, dafür allerdings sehr viel Infos zu demografischen Fragen. Und es ist den Wissenschaftler_innen der Studie untersagt, auf Grundlage der Daten Empfehlungen auszusprechen. Zweitens ist tatsächlich die Gruppe der Bildungsverlierer falsch beschrieben. Nicht Jungs, sondern Menschen mit sogenannter “niedriger sozialer Herkunft” sind Bildungsverlierer_innen. Die zitierte Vodafone-Studie deckt nicht die Aussage der Autorin, dass “die größte benachteiligte Gruppe” die Jungen seien. In dieser Studie ist lediglich die Rede davon, dass Mädchen in bestimmten Fächern bessere Noten bekämen, obwohl sie schlechtere Testleistungen erbracht hätten. Es gibt hier eine Reihe Unterschieden in der Benachteiligung, die die Welt-Online-Autorin nicht nennt:
- Primäre Effekte: Während es so gut wie keine Unterschiede gibt in der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, wenn Kinder eingeschult werden, sind hier bereits die Unterschiede aufgrund der sozialen Herkunft massiv vorhanden. Kinder aus sogenannten “unteren” Schichten sind schon in jüngsten Jahren von einer Bildungsbenachteiligung betroffen. Diesen Primären Effekt der Benachteiligung gibt es laut Vodafone-Studie nicht.
- Inkrementelle Effekte: In der Studie wurden Primäre Effekte, Sekundäre Effekte und Inkrementelle Effekte der sozialen Benachteiligung unterschieden. Sekundäre Effekte wären zum Beispiel, wenn bei gleichen Testleistungen schlechtere Noten gegeben würden. Bei Kindern aus “unteren Schichten” und bei Jungen gegenüber Mädchen wurde nachgewiesen, dass sie strenger benotet würden (was allerdings auch auf eine geringere Anstrengungsbereitschaft zurückzuführen sein könnte, darauf komme ich gleich zu sprechen). Daneben gibt es aber noch Inkrementelle Effekte: dass bei gleich guten Noten nicht entsprechend gleich ein Übergang zum Gymnasium erfolgt. Hier wurde festgestellt, dass Kinder aus unteren Schichten noch einmal benachteiligt würden, also selbst bei gleichen Noten nicht genauso oft zum Gymnasium gingen wie Kinder aus sogenannten höheren Schichten. Bei Jungen ließ sich allerdings gegenüber Mädchen diese Benachteiligung nicht feststellen. Das heißt, sozialschichtspezifisch kommen alle drei Benachteiligungseffekte zur Geltung, geschlechtsspezifisch bestenfalls der sekundäre Effekt.
- Motivation / Anstrengungsbereitschaft: Es gibt empirische Hinweise darauf, dass die bessere Benotung von Mädchen durch eine höhere Motivation/ Anstrengungsbereitschaft erklärt werden kann. Dies wurde allerdings vorsichtig formuliert und es wurde betont, dass dies durch weitere Forschung erst noch abgesichert werden müsste. Allerdings gab es diese empirischen Hinweise nicht in der Frage der Benachteiligung von Kindern aus sogenannten unteren Schichten: diese seien genauso motiviert und anstrengungsbereit wie Kinder aus sogenannten höheren Schichten.
- Was in der Studie nicht erwähnt wird, sind die Unterschiede in den klassen- und geschlechtsspezifischen Bildungswegen. Während Frauen und Männer in etwa gleicher Zahl Hochschulabschlüsse machen, die Zahl der männlichen Promovierenden höher ist als die der weiblichen und vor allem in den hochdotierten Professor_innenstellen noch immer vor allem Männer anzutreffen sind, gibt es diese gegenläufige Bewegung in der herkunftsspezifischen Bildungskarriere nicht. Je höher die Bildungsabschlüsse sind, desto weniger “Arbeiterkinder” finden sich in den entsprechenden Bildungsgängen.
- Als weiterer allgemeiner Punkt sollte Beachtung finden, dass wir in einer Männerwelt leben, die herrschaftlich und kulturell noch immer von Männern und männlichen Normsetzungen dominiert wird, so dass eine vermeintliche Benachteiligung von Jungen diesen Zustand konterkarieren würde. Auf der anderen Seite leben wir allerdings in einer kapitalistischen Klassengesellschaft. Um diese zu konterkarieren, müssten entsprechend Kinder aus “gut betuchten” Familien benachteiligt werden und nicht “Arbeiterkinder”.
Tatsächlich können Artikel wie dieser in der Welt-Online dazu beitragen, die Situation von benachteiligten Schulkindern noch zu verschlimmern. Nicht die Situation von den Jungen aus Akademikerhaushalten. Diese werden eh nicht benachteiligt auf ihren vorgezeichneten Bildungskarrieren. Sondern es sind dann die Kinder aus sogenannten unteren Schichten, die in doppelter Weise benachteiligt werden. Es wird nämlich erstens ein Irrlicht in der Bildungspolitik gezündet und wenn ich die re-demografisierte Familien- und Bildungsministerien richtig verstehe, sind diese eher bereit, Ressourcen für Jungenarbeit auszugeben als für Kinder aus “unteren Schichten”. Und zweitens wird hier mit einem undifferenziertem Geschlechterbild gearbeitet, welches sich aufgrund seiner Unreflektiertheit an der Lebensrealität von Jungen aus der Mittel- und Oberschicht ausrichtet. Selbst wenn also eine Jungenarbeit im Sinne der Männerrechtler gemacht würde, wäre diese wahrscheinlich nicht an den Bedürfnissen von Jungen aus armen und benachteiligten Verhältnissen orientiert. Denn es ist ja “der Junge an sich”, der als benachteiligt gilt und dieser entspricht natürlich der Norm der Privilegierten. Eine Jungenarbeit sollte zumindest die Klassiker wie Otto Rühles “Die Psychologie des proletarischen Kindes” oder Paul Willis “Spaß am Widerstand” zur Kenntnis nehmen. Das Birgitta vom Lehn das Nationale Bildungsgutachten nicht mag, kann übrigens auch damit zusammenhängen, dass sie eine Befürworterin des Betreuungsgeldes ist, vor dem im Bildungsbericht gewarnt wurde – wegen der drohenden zusätzlichen sozialen Selektion.
Tom
…und die “höhere Motivation/ Anstrengungsbereitschaft” der Mädchen wird durch’s feministisch geprägte Bildungssystem und durch feministisch geprägte Medien gefördert. Wenn Jungen gegenüber Mädchen “strenger benotet würden” selbst bei gleicher Leistung, gleichzeitig aus dem Medien (siehe Spiegel) erfahren das der Mann ein Auslaufmodell ist und durch Massnahmen wie gezielter Mädchenförderung bis zur ständig propagierten “Frauenquote” (nein, bei DAX Vorständen, nicht in der Müllabfuhr) ständig vermittelt bekommen das das Weiterkommen von Mädchen und Frauen gesellschaftliche Priorität, das von Jungen und Männern hingegen gerademal geduldet wird dann ist es für mich kein Wunder das Jungen demotiviert sind.
Interessanterweise schneiden Jungen tatsächlich nachwievor besser ab wo feministische Untriebe und Political Correctness Sendepause haben: bei Wettbewerben wie “Jugend forscht” zum Beispiel reichen Jungen wesentlich mehr Beiträge ein und erhalten mehr Preise als Mädchen.