Die Alternative für Deutschland ist eine Partei, die im Februar 2013 installiert wurde. Sie hatte einen Vorläufer, die WA2013. Auch diese Organisation, die erst vor einem Jahr im September 2012 als Facebook-Gruppe in die Öffentlichkeit trat, hatte mit Bernd Lucke, Konrad Adam und Alexander Gauland eine sehr überschaubare Gründungsgruppe. Die Medien haben verschlafen, auf die Gefährdung der Demokratie hinzuweisen, die sich bereits aus den krassen Äußerungen dieser drei neoliberal-konservativen Männer herleiten lässt. Schauen wir noch einmal zurück:
Lucke: Arbeitslosengeld und Sozialhilfe generell streichen
Bernd Lucke zeichnet sich verantwortlich für den Hamburger Appell von 2005, wo nicht nur „eine niedrigere Entlohnung der ohnehin schon Geringverdienenden“ gefordert wurde, sondern auch dass „die Sozialpolitik von Lohnersatzleistungen zu Lohnzuschüssen wechseln“ müsse. Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Frühverrentung erzeuge Lohnansprüche, die der Markt nicht mehr finanzieren könne.
Adam: Kein Geld für Renter und Arbeitslose, keine Bildung für türkische Jugendliche, Wahlrecht einschränken
Entsprechend äußerte sich Konrad Adam 2006 in einem Artikel „Warum soll ich für euch bezahlen?“. Er forderte die Leser*innen der konservativen WELT auf: „Jeder von ihnen könnte und sollte jeden Arbeitslosen, jeden Rentner und jeden Studenten danach fragen, mit welchem Recht er davon ausgeht, daß er ihm den Lebensunterhalt, die Rente oder das Studium bezahlt.“ Und selbst vor behindertenfeindlichen Aussagen schrak er nicht zurück:
„38 Millionen Erwerbstätigen stehen rund 20 Millionen Rentner und Pensionäre, 8 Millionen Behinderte, 6 oder 7 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Studenten gegenüber: Leute, die es als ihr gottgewolltes Recht betrachten, von dem zu leben, was andere für sie aufbringen müssen.“
Auch zur Bildungspolitik äußerte sich Adam immer wieder. In seinem Artikel „Bildung lässt sich nicht umverteilen“ finden sich deutlich rassistische Aussagen zum “türkischen Großstadtjugendlichen”:
„Da er sich schwertut mit dem Lernen, aber gern zusticht, wenn ihm irgendetwas nicht passt, liegt er bei den Schulabschlüssen am unteren, in der Kriminalstatistik am oberen Ende der Skala: ein ziemlich hoffnungsloser Fall, aber gerade so, als mehrfach geschädigtes Opfer der Gesellschaft, der ideale Zuwendungsempfänger für die deutsche, pädagogisch hochambitionierte Betreuungsindustrie.“
Adam schloss sich daher der Position des Herausgebers der rechtslibertären Zeitschrift „eigentümlich frei“, André Lichtschlag, an, Arbeitslosen das Wahlrecht zu entziehen:
„Nur der Besitz schien eine Garantie dafür zu bieten, dass man vom Wahlrecht verantwortlich Gebrauch machte. Erst später […] ist die Fähigkeit, aus eigenem Vermögen für sich und die Seinen zu sorgen, als Voraussetzung für das Wahlrecht entfallen. Ob das ein Fortschritt war, kann man […] mit einigem Recht bezweifeln. Das Übergewicht der Passiven lähmt auf die Dauer auch die Aktiven […]“
heißt es in seinem Artikel „Wer soll wählen?“ von 2006. Adam war, wie viele weitere AfDler, Autor der „eigentümlich frei“, die die Parole „Freiheit statt Demokratie“ ausgibt. Es handelt sich hier also nicht um Polemik, sondern um ernstgemeinte politische Forderungen.
Gauland: parlamentarische Mehrheitsentscheidungen zählen nicht
Eine ähnliche Verachtung für das allgemeine Wahlrecht zeigt sich bei Alexander Gauland. Kurz vor der Gründung der WA2013/ AfD beklagte Gauland die Angst der Deutschen vor der Anwendung militärischer Gewalt. Er bezog sich positiv auf die berüchtigte „Eisen und Blut“-Rede Otto von Bismarcks und zitierte wörtlich:
„Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.“
Diese Rede hielt Bismarck 1862, kurz danach wurde das Parlament aufgelöst, welches einer militärischen Aufrüstung im Weg stand.
AfD und Demokratie: Täter-Opfer-Verkehrung der Medien
Der Bezug auf Bismarck ist kein Zufall. Bismarck vertrat als ostelbischer Junker die Interessen des Landadels. Deren Nachfahren gründeten 2006 das Kampagnennetzwerk Zivile Koalition mit der programmatischen Formel „Reform der politischen Entscheidungsstruktur“. Eben diese Formel schrieb Hans-Olaf Henkel der neu gegründeten Bundespartei „Die Freien Wähler“ ins Programm, die von der WA2013 zunächst umgarnt wurde, die aber nicht konservativ genug erschien, weshalb aus den Kreisen der WA2013 die AfD gegründet wurde. Es verwundert also nicht, dass die NPD von der AfD als ihren „Eisbrecher“ sprach, dass Lucke unbekümmert in deren Wahlmilieu wilderte und dass tatsächlich die AfD bei der Bundestagswahl 2013 überall dort stark geworden ist, wo auch die NPD viele Stimmen holte.
Die oben genannten Fakten wurden von Blogger*innen zusammengetragen. Es ist nur die Spitze eines Eisberges, den ich in meinem Buch „Rechte Euro-Rebellion“ weitgehend freigelegt habe, eines Eisberges mit einer kristallinen Struktur von brutal kalten Kampagnennetzwerken und unternehmensnahen Thinktanks. Es ist unwahrscheinlich, dass die 360.000 ehemaligen Linke-Wähler*innen, die jetzt angeblich die AfD gewählt haben, sich über die Existenz und Ausstrahlung dieser sozialen Kältegeneratoren klar waren.
Statt deutlich und ausführlich auf diese Fakten hinzuweisen, inszenierten die Medien die AfD als vermeintliche Opfer der Antifa, die in Göttingen angeblich ein Haus mit Benzin übergossen und in Bremen angeblich eine vermummte Messerattacke auf Bernd Lucke starteten. Nichts davon stimmte, die Dementis kamen leise, zögerlich und zu spät – wie im Fall Thilo Sarrazin haben auch hier die Medien versagt. Ein rechtspopulistisches Wählermilieu ist in Deutschland immer schon vorhanden gewesen – es liegt auch an den Medien, ob sich hieraus eine erfolgreiche Partei bilden kann.
Nachtrag 26.09.2013
Bernd Lucke, der bereits für seine Kennzeichnung “Bodensatz” für arbeitslose Ausländer*innen kritisiert worden war, wurde in der Talkshow von Anne Will mit seiner Wortwahl “Entartung der Demokratie und des Parlamentarismus” konfrontiert (Ab Minute 43:40). Lucke versuchte zu erklären, dass der Begriff “Entartung” ein ganz normaler Begriff sei, Ärzte würden ihn im Zusammenhang mit “Krebsgeschwüren” verwenden. Wenig später sprach Bernd Lucke viermal von “Degenerationserscheinungen”/ “Degeneration” in der Demokratie (ab Minute 47:47). Hier ein Link, der kurz die Übertragung dieser medizinischen Begrffe auf gesellschaftliche Entwicklungen erklärt: Degeneration/ Entartung
Diese Wörter sind Herrn Lucke ganz sicher nicht versehentlich “rausgerutscht”. Sie gehören zum Vokabular der Neuen Rechten. Eine Google-Suche nach “Degeneration der Demokratie” führt bspw. direkt zur Blauen Narzisse, einer Website der Neuen Rechten, die ich hier nicht verlinken werde. Eine weitere Formulierung “Degeneration der Demokratie” findet sich in einem Text von Friedrich August von Hayek, der die Lösung gegen diese “Degeneration” in einem Zwei-Kammer-System sieht, wobei die gesetzgebende Kammer für 15 Jahre gewählt werden soll. Hayek war auch der Ideengeber für die Abschaffung des Wahlrechts für Arbeitslose.
Wie zuvor viele Twitter-Meldungen von AfD-Anhänger*innen bewusst die Vokabel “entarten” benutzten, setzten auch die Verantwortlichen der offizielle Facebook-Seite der Afd den Spruch “Anne Will lässt Grundgedanken des ÖR entarten” auf ihre Seite. Konrad Adam verteidigt in einem Artikel in der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit die Wortwahls Luckes mit den Worten “Die Antifa lebt vom Dritten Reich wie die Fliege vom Kot”. Die “Ungeziefer-Metaphorik” aus der Nazizeit ist also auch Herrn Adam nicht ganz fremd.
Eitan Einoch
Wie konnte die AfD aus dem Stand heraus fast die 5-Prozent-Hürde schaffen? Ist das nicht offensichtlich? Die Partei hat mit ihrem EU- und Euro-Skeptizismus ins Schwarze getroffen. Da fallen ein paar fragwürdige Kommentare ihrer Parteikader in der Vergangenenheit nicht ins Gewicht. So lange es keine andere Partei gibt, die dem EU-Wahnsinn kritisch entgegen tritt, wird die AfD ein Gesprächsthema bleiben.