Klassismus ist, wenn gegen Pegida, nicht aber gegen AfD demonstriert wird

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Natürlich ist es wichtig, gegen Pegida auf die Straße zu gehen. Ich habe selber auch in Münster an einer Demonstration gegen Pegida teilgenommen. Mit zehntausend Demonstrierenden war es eine der größten Demonstrationen in Münster in den letzten Monaten und auch eine der größten Anti-Pegida-Demonstrationen.

Interessant ist hier eine Parallele. Während in Dresden, wo es so gut wie keine Islamisten gibt, die größten Pegida-Demonstrationen stattfinden, findet in Münster, wo es so gut wie keine Pegidas gibt, die größte Nopegida-Demonstration statt. In Münster war es einfach, gegen Pegida zu sein, das ist quasi Konsens. Alle im Rat vertretenen Parteien wurden eingeladen, zu Pegida zu sprechen. Auch die AfD. Die Flüchtlings-Gruppe NoLager aus Osnabrück zeigte sich über die Einladung an die AfD irritiert, weil sie die AfD als sehr aggressiv gegenüber Flüchtlinge erlebt hatten. Sie teilten mit, dass sie gerne mit fünfzig Personen aus Osnabrück anreisen wollten, zu denen auch Flüchtlinge zählten. Da viele Flüchtlinge traumatisiert seien, wollten sie jedoch im Vorfeld klären, ob es stimmte, dass die AfD eingeladen gewesen sei und ob es inzwischen eine Distanzierung von der AfD gebe. Sie wollten nicht das Risiko eingehen, mit traumatisierten Flüchtlingen auf aggressive AfDler*innen zu stoßen. Die Demo-Leitung teilte mit, dass die AfD sich nicht gemeldet hätten, dass es daher keine Sprecher von der AfD bei der Demo gebe, dass die AfD aber natürlich als gewählte Partei bei der Demonstration willkommen sei. Die Gruppe NoLager bedankte sich für die Information, wünschte der Demonstration viel Glück und verlieh der Hoffnung Ausdruck, dass bei der nächsten Demonstration gegen Rassismus auch Flüchtlinge willkommen sein könnten.

Wie kann es sein, dass man zu einer Demonstration gegen Pegida die AfD einlädt? Wie kommt es überhaupt dazu, dass man gegen Pegida, nicht aber gegen die AfD demonstriert? Werden die Demonstrationen als gefährlicher eingeschätzt als eine Partei? Es ist ja nicht so, dass Pegida rassistischer wäre als die AfD. Das liberalste, was die AfD zu bieten hat, ist Hans-Olaf Henkel. Henkel wurde in den Vereinigten Staaten als „racist“ beschimpft, weil er für die Bank of America das sogenannte „Redlinig“ einforderte: Menschen aus armen Stadtteilen sollen grundsätzlich keinen Bankkredit mehr bekommen. Da vor allem Schwarze in armen Stadtteilen wohnen, erinnerte diese Forderung an die vergangenen Apartheidsgesetze in den Vereinigten Staaten und so erhielt Henkel nicht ganz zu unrecht das Label „racist“. Zudem ist Henkel der prominenteste Verteidiger des Rassisten Thilo Sarrazin gewesen. Also dieser Henkel ist das liberale Aushängeschild der AfD, alle anderen positionieren sich rechts von Henkel. Da finden sich dann nicht nur Kreisvorstände in der Provinz, die „Dachau“ für eine Erfindung der Allierten halten, sondern auch ein Landesfraktionssprecher, der Pegida für noch zu liberal hält: Björn Höcke kritisierte, dass Pegida angeblich die sexuelle Selbstbestimmung fordere, denn das könne als Angriff auf seine bevölkerungsbiologische Forderung nach einer Drei-Kinder-Politik verstanden werden. Zudem kritisierte er, dass Pegida nur die christlich-jüdischen Wurzeln des Abendslandes betone, nicht aber die „germanischen Wurzeln“. Also: Die AfD ist mindestens so rassistisch und nationalistisch wie Pegida. Warum wird also nicht gegen die AfD demonstriert?

Die AfD tritt als bürgerliche Professoren-Partei auf. Tatsächlich haben fast alle Parteimitglieder, die die AfD aufgebaut haben, studiert. Es handelt sich um weiße, deutsche, gut verdienende Familienväter mit Abitur. Es ist genau das Milieu, welches in den Studien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit als „verrohtes Bürgertum“ bezeichnet wurde, es ist die Leserschaft von Sarrazins rassenhygienischem Machwerk „Deutschland schafft sich ab“. Die Demonstrationen von Pegida hingegen entstanden unmittelbar nach den Hogesa-Demonstrationen. Pegida wird nicht mit Professoren in Verbindung gebracht, sondern mit einem sogenannten „bildungsfernen“ Milieu. Ob es sich tatsächlich um ein „bildungsfernes Milieu“ handelt oder ob hier nicht auch die Mittelschicht marschiert, ist bislang meines Erachtens noch nicht untersucht worden. Wichtig ist hier die Bilderproduktion: Der Afd-Gründer wird als Professor gesehen, der Pediga-Gründer als Verbrecher. Ein weiterer Unterschied ist die Form der politischen Betätigung: die Gründung einer Partei versus die Organisierung von Demonstrationen. Beide Formen sind grundlegende Bestandteile eines demokratischen Prozesses, eine Demonstration zu organisieren ist per se nicht verwerflicher, als eine Partei zu gründen.

Die einzige Erklärung, die mir für dieses Missverhältnis zwischen den nicht-stattfindenden Demonstrationen gegen die AfD und den großen spontanen Demonstrationgen gegen Pediga einfällt, ist Klassismus: Der Rassismus der Mitte, der Nadelstreifen, der AfD wird toleriert; der Rassismus der Straße, von Pegida, müsse hingegen bekämpft werden.

11 Kommentare

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  1. Benno Groß

    Nein. Jede Gruppe wird dort bekämpft, wo sie agiert und Raum gewinnen will. Die einen im Politikbetrieb, die anderen auf der Straße.

    Dennoch Zustimmung zur Einladung AfD zur Antipegidademo: Das geht gar nicht.

    • Andreas Kemper

      Das ist ein auf den ersten Blick ein plausibeles, auf den zweiten Blick aber merkwürdiges Argument. Ich kann mich an große spontane Demonstrationen erinnern, als die Reps mit 7,5% der Stimmen ins Berliner Abgeordnetenhaus einzogen. Halten Sie das für falsch? Zudem wurden Ratsmitglieder (Politikbetrieb) angesprochen, um Reden gegen Pegida zu halten. Halten sie das ebenfalls für falsch? Was wäre, wenn die NPD flächendeckend zehn Prozent einfahren würden? Füße stillhalten? Was ist, wenn Pegida im Landesparlament mit der AfD sitzt und Strategien berät? Ist das dann Politikbetrieb oder Straße?

  2. Helge Braun

    Ich fände es super, die Gegen*Gida-Demos zielgruppenunspezifisch und positiver zu benennen, jedoch weiterhin zeitgleich zu *gida-demos und sehr sehr gerne AfD-Kundgebungen stattfinden zu lassen. „Gegen Rassiumus und für eine offene, bunte und verantwortungsbewusste Gesellschaft“ Das sollte auch der Kölner Dom unterstützen können. Partein kann man darauf hinweisen. Man muss sie nicht einladen. Ich wurde auch nicht eingeladen. Sie dürfen natürlich zur Teilnahme aufrufen. Bei konkreten Fragen der Asyl- und Immigrationspolitk wird es natürlich schwierig, einen breiten Konsens zu erreichen. Ich glaube, darum geht es jetzt aber gar nicht vorrangig. Es geht grundsätzlicher um die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, und um die Klarheit darüber, wer die Frage wie beantwortet..

  3. revisionist21

    Was ich beim Henkel nicht verstehe, dass der sich doch für Menschenrechte stark machen wil. Wie ist das aber mit der Programmatik der AfD – einer gesteuerten Einwanderungspolitik- vereinbar? Erkennt er nicht, dass eine gesteuerte Einwanderungspolitik nicht mit Menschenrechten vereinbar ist? Oder geht es ihm nur um die Menschenrechte außerhalb Europas?

  4. Benno Groß

    Natürlich kann man auch gegen eine politische Partei demonstrieren, und manchmal muss man das auch tun. Die meisten Menschen können und wollen aber nicht permanent demonstrieren gehen; sie treibt es auf die Straße, wenn wirklich Druck entstanden ist.

    Und wo Pegida-Aktivisten in Ihrer Stadt (hier also; Münster) marschieren wollen, vor Ihrer Tür Flagge zeigen, da packt Sie nunmal schneller die Leidenschaft als bei den Aktionen einer wählbaren Partei, auf die Sie zunächst mal diskursiv-schriftlich reagieren. Das hat was mit Nähe und praktischer (An-)Greifbarkeit zu tun, nicht aber naheliegend mit Klassismus.

    Wenn rechtsradikale Professoren durch meine Stadt ziehen, bleibe ich jedenfalls auch nicht zu Hause.

    • Andreas Kemper

      Es gab doch gar keine Pegida-Demonstration in Münster, sondern nur den zaghaften und nicht sehr erfolgreichen Versuch einer Facebookseite. Die AfD hingegen sitzt sehr nah und sehr „greifbar“ im Stadtrat.

      Der Unterschied von Demo und Parlament mag auch eine Rolle spielen, aber auch dabei kommen natürlich wieder Klassenfragen ins Spiel. Die Straße wird eher mit ^unteren Schichten^ verbunden als das Parlament.

  5. ribi

    andreas: wer marschiert gegn altersarmut?

  6. agztse

    weiße, deutsche, gut verdienende Familienväter mit Abitur… sind auch genau das „Milieu“ welches mit seinen Steuern deine Existenz finanziert. So scheint mir „Klassismus“ doch eher ein Hirngespinst welches aus Neid geboren wurde,

    • Andreas Kemper

      Nein. Das sind deine Vorurteilsstrukturen, das ist deine klassistische Grundeinstellung.

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