Wenn gegen die Islamisierung des Abendlandes auf der Straße protestiert wird, dann liegt es zunächst einmal nahe, dass dort vorwiegend das männliche Kleinbürgertum marschiert. Aus einem ganz einfachen Grund: Die Sarrazin-Leser*innen und die AfD-Mitglieder sind vorwiegend männliche Kleinbürger.
In vielen Diskussionen wurde aber wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass es sich in Dresden um die “sozial Abgehängten”, um die ^Unterschicht^, um die Habenichtse handele. Hier wäre eine Medienanalyse fällig: Wie wurde über Pegida berichtet? Haben die Medien einen Teil dazu beigetragen, dass Pegida mit ^Unterschicht^ gleichgesetzt wurde? Oder wurde hier ein klassistisches Vorurteil ganz ohne Zutun der Medien reaktiviert? Weil nämlich die Parolen der Pegida extremistisch und dumm seien, müsste es sich ja wohl um ^bildungsferne Schichten^ handeln, die da demonstrieren.
Es liegt nun eine Studie vor, die zu dem durchaus plausiblen Ergebnis kommt, dass in Dresden vor allem Männer aus der gut verdienenden Mittelschicht demonstrierten. Daraufhin brach ein regelrechter Shitstorm aus: Die Studie sei mangelhaft.
Gut. Man kann darüber streiten, ob die Studie methodisch sauber und die Ergebnisse valide sind. Wichtig an der Studie ist aber vor allem, dass sie die unreflektierte Gleichsetzung von Pegida mit ^Unterschicht^ durchbrochen hat. Das heißt, wenn man zum Schluss kommt, dass die Studie keine Ergebnisse über das soziale Milieu von Pegida bringen kann, dann wäre zumindest auch das ein Resultat: Wir wissen nicht, welches Milieu dort demonstriert. Selbst dieses Ergebnis wird nicht anerkannt. Anscheinend muss Pegida – und vor allem der extremistische Teil von Pegida – arm, arbeitslos und ^bildungsfern^ sein. So schreibt Hannes Hemker:
“Schliesslich ist es mehr als wahrscheinlich, dass es die radikaleren zwei Drittel der Demonstranten waren, die die Umfrage mit dem “Establishment” verweigerten – so wie sie auch regelmäßig Interviews mit der “Lügenpresse” verweigern.Dieses Artefakt der selektiven Nichtbeantwortung erklärt wahrscheinlich auch, warum Pegida in der Umfrage demographisch so “normal” aussieht: weil es sich bei den Befragten um das gebildete, relativ reiche, sozial relativ integrierte Drittel der Demonstranten handelt.” Wer geht eigentlich zu Pegida?
Hannes Hemker suggeriert damit, dass die “radikaleren zwei Drittel der Demonstranten” ungebildet, relativ arm, sozial relativ desintegriert seien. [Hannes Hemker hat dankeswerterweise sehr schnell auf diesen Artikel reagiert und darauf verwiesen, dass er mit den beiden Sätzen nicht den Extremismus von Pegida der Unterschicht anlasten will. A.K.] Wie man nach den Studien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die eine Verrohung des Bürgertums konstatieren, was man in den Sarrazin-Debatten und in der AfD bestens erkennen kann, noch immer behaupten kann, Rassismus sei ein Phänomen der ^Unterschicht^, erschließt sich mir nicht.
Ähnliches schreibt auch Spiegel-Online:
“Zumindest als Reporter vor Ort gewinnt man den Eindruck, dass vor allem die schlechter gebildeten Pegida-Teilnehmer das Gespräch verweigern: Oft erhält man nur Antworten wie ‘Sie schreiben doch eh, was sie wollen’ oder ‘Als Journalist wissen Sie doch eh schon alles’.” Spiegel-Online
Warum soll jemand, der davon ausgeht, dass die Medien ja doch schreiben, was sie wollen, “schlechter gebildet” sein? Das ist die zentrale Position von Thilo Sarrzins “Der neue Tugendterror”. Die AfD hatte genau aus dem Grund das Motto “Mut zur Wahrheit” zum Slogan beim Bundestagswahlkampf erhoben. Nun kann man natürlich Sarrazin und die Professoren der AfD als “schlechter gebildet” bezeichnen. Aber wahrscheinlich bezog sich der Spiegel hier auf einen Bildungsbegriff, der auf Bildungsabschlüsse abzielt, und mit “schlechter gebildeten Pegida-Teilnehmern” eher Hauptschüler als AfD-Professoren meint.
Auch Stefan Niggemeier hat leider die obigen Zitate unkritisch wieder gegeben.
Dass überhaupt soviel gegen Pegida und so wenig gegen die AfD demonstriert wird, hat an sich schon ein klassistisches Moment. Denn obwohl die AfD Pegida zum Teil weit rechts überholt und durch die Institutionalisierung als Partei nachhaltig sehr viel gefährlicher ist als ein paar Demonstrationen, haben zehntausende – oder inzwischen hunderttausende? – gegen Pegida demonstriet. Denn die AfD wird noch immer als Professoren-Partei wahrgenommen – und Pegida als der rassistische Pöbel.
Vielleicht ergeben ja zunkünftige Studien, dass tatsächlich in Dresden vor allem ^bildungsferne^ Arbeitslose demonstriert haben, und dass diese Arbeitslosen die ganz krassen rassistischen Positionen von sich gegeben haben. Solange es so eine Studie aber nicht gibt, sollte man seine eigene Vorurteilsproduktion reflektieren. Denn Klassismus ist kein Stück besser als Rassismus.
Hannes Hemker
Lieber Herr Kemper,
nichts liegt mir ferner, als Rassismus zu einem “Unterschichtphänomen” zu erklären. Es ging mir in dem Artikel primär um 2 Dinge: 1. Die Radikalität der Demonstranten korreliert wahrscheinlich mit ihrem Willen, befragt zu werden, weshalb man aus der Umfrage wenig über die Radikalität des “typischen Demonstranten” lernen kann. 2. Das augenscheinliche Ergebnis der Studie, die Demonstranten seien im Verhältnis zu durchschnittlichen Sachsen sogar eher gutbetucht, steht auf relativ schwachen empirischen Füßen.
Ich würde Ihnen wahrscheinlich sogar Recht geben, dass die Bedeutung des relativ gebildeten Kleinbürgertums für Pegida in den Medien häufig unterschätzt wird. Das hängt aber vor allem davon ab was man erwartet hatte – denn natürlich stimmen die karikaturhaften “Unterschichtprotest!”-Rufe nicht. Dass Pegida-Anhänger aber privilegierter sind als der durchschnittliche Sachse muss man trotzdem nicht glauben.
Mit besten Grüßen,