Ich bin bei Friedrich Engels mehrfach über den Begriff “Klassizität” gestolpert. Anscheinend bezeichnet Engels mit dem Begriff “Klassizität” die Klassen in ihrer “klassischen Form” und zwar in der Theorie und in der geschichtlichen Entwicklung.
Meines Erachtens ist die politische unmittelbare Ausrichtung auf die “reine Klasse” ein idealistischer und kein materialistischer Ansatz. Während im kapitalistischen Produktionsprozess kategorisch zwischen den antagonistischen Klassen der Kapitaleigentümer*innen und Arbeiter*innen unterschieden werden kann, sind diese Klassen im politischen Alltag in ihrer Reinform, in ihrer Klassizität, nicht vorhanden.
Vor allem Ernst Bloch wies mit Blick auf die Entstehung des Nationalsozialismus auf ungleichzeitige Tendenzen in der Gesellschaft hin, die quer zur Gleichzeitigkeit des antagonistischen Widerspruchs von Kapital und Arbeit stünden. Schauen wir uns die AfD und ihr Umfeld an, können wir die Formierung der Ungleichzeitigkeit sogar in der Parteipolitik betrachten. Eine toyotistische Produktionsweise [von Toyota neu entwickelte Produktionsweise] kann mit einem fordistischen Habitus [der verinnerlichte Umgang mit der nach Ford benannten industriellen Konzeption] einhergehen.
Neben der Ungleichzeitigkeit ist auch die Intersektionalität, die Überschneidungen von Race, Class, Gender usw., als Feld politischer Kämpfe relevant. Es gibt keine Individuen als Verkörperungen der Reinform von Klasse, sondern sie sind geprägt durch eine Vielzahl gesellschaftlicher Widersprüche.
Neben der Ungleichzeitigkeit und der Intersektionalität gibt es weitere Fraktionierungen der Arbeiter*innenklasse, die eine unmittelbare politische Ausrichtung auf ihre ökonomische Reinform, ihre Klassizität, wenig sinnvoll erscheinen lassen. Es ist wichtig, an den klassistischen (ungleichzeitigen, fraktionierten, intersektionellen) Alltagserfahrungen von Ausbeutung, Machtlosigkeit, Ausgrenzung, brachialer und symbolischer Gewalt und der Selbstorganisierung dagegen anzusetzen ohne den grundlegenden Widerspruch im Kapitalismus, den Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Arbeit und privater Aneignung der Produkte dieser Arbeit, aus den Augen zu verlieren. Und das Feld dieser Auseinandersetzungen ist nicht nur die Fabrik oder der Betrieb, sondern die gesamte Gesellschaft, also geht es auch in den Bereichen von Bildung, Wohnen, Kunst… um antiklassistische Selbstorganisierungen.