Letzte Woche war die Woche zum Thema Diskriminierung. Erst wurde die für die deutsche (Anti)-Diskriminierungspolitik äußerst peinliche Sinus-Studie “Diskriminierung im Alltag” vorgestellt. Dann wurden gegen den Widerstand unter der Federführung eines deutschen CSU-Mitglieds die Antidiskriminierungsrichtlinien für die Diskriminierungsmerkmale Alter, Behinderung, Religion/Weltanschauung und sexuelle Identität ausgeweitet. Sie sollen nun entsprechend den Diskriminierungsmerkmalen Geschlecht und ethnische Herkunft/”Rasse” über den Arbeitsmakrt hinaus erweitert werden auf die Bereiche Sozialschutz, Bildung, Transport oder Zugang zu Dienstsleistungen.
Ich möchte mich hier dem Bildungsbereich zuwenden und zwar hinsichtlich zweier Punkte:
a) der Altersdiskriminierung bei der Stipendienvergabe
b) der Forderung mit der Ausweitung der Antidiskriminierungsgesetzgebung auf den Bildungsbereich nun endlich auch Soziale Herkunft als schützenswertes Diskriminierungsmerkmal anzuerkennen
Stipenden und Altersdiskriminierung
Es war zuvor schon mit der nicht erweiterten Richtlinie umstritten, ob es für Stipendien eine Altersgrenze nach oben geben dürfe. Ich weiß nicht, ob es eine Klage gegeben hat. Als ich mich um ein Stipendien bemühen wollte, wurde mir zu verstehen gegeben, dass ich zu alt wäre. Auf meine Entgegnung, dass doch nun das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz eine Diskriminierung aus Altersgründen verbiete, wurde auf den eingegrenzten Bereich verwiesen, in dem eine Alterdiskriminierung verboten sei, nämlich den Arbeitsmarkt. Es war wie gesagt umstritten, ob eine Stipendienvergabe für eine Hochschulausbildung nur den Bereich der Bildung betreffe oder auch den Arbeitsmarkt.
Nun wurde der Diskriminierungsgrund Alter explizit um den Bereich Bildung erweitert. Wörtlich heißt es:
Vorschlag für eine Richtlinie
Erwägung 2 c (neu)
(2c) Gemäß Artikel 5 der Politischen Erklärung anlässlich des Abschlusses der Weltkonferenz der Vereinten Nationen zum Altern 2002 in Madrid wurde vereinbart, die Entschlossenheit zu bekräftigen, keine Mühe bei der Beseitigung aller Formen der Diskriminierung, namentlich der Altersdiskriminierung, zu scheuen, anzuerkennen, dass Menschen auch im Alter ein erfülltes, gesundes und sicheres Leben genießen und aktiv am wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Leben der Gesellschaft teilhaben sollten, der Würde älterer Menschen mehr Anerkennung zu verschaffen und alle Formen von Vernachlässigung, Misshandlung und Gewalt zu beseitigen.
Vorschlag für eine Richtlinie
Artikel 2 – Absatz 6
6. Diese Richtlinie schließt Ungleichbehandlung aufgrund des Alters nicht aus, sofern sie durch ein legitimes Ziel objektiv und ausreichend gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen, verhältnismäßig, erforderlich und wirksam sind.
Ich bin kein Jurist, aber ich denke, dass mit dieser Änderung eine Altersbegrenzung bei Stipendien nicht mehr zu begründen ist und eine Diskriminierung darstellt. Welches “legitime Ziel” könnnte “objektiv und ausreichend gerechtfertigt” sein, Menschen ab einem bestimmten Alter von Stipendien auszuschließen, wo doch auch alte Menschen aktiv am wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Leben teilhaben sollen? Es wäre sinnvoll, wenn hier eine Organisation wie der “freie zusammenschluss der studentInnenschaften” eine Klärung herbeiführt. Unter den älteren Studierenden ist bekanntlich die Zahl der Arbeiterkinder / Nicht-Akademikerkinder höher und sie bedürfen oftmals eine finanzielle und soziale Unterstützung. Zumal es unter StipendiantInnen noch weniger Arbeiterkinder gibt als im Studium, wo sie bereits extrem unterrepäsentiert sind. Da hier eine Mehrfachdiskriminierung vorliegt, könnte zur Beendigung dieses Diskriminierungszustandes zumindest das Diskriminierungsmerkmal Alter herangezogen werden, da Soziale Herkunft leider noch immer nicht als Diskriminierungsgrund anerkannt wurde. Womit wir beim zweiten Thema wären.
Soziale Herkunft als schützenwertes Diskiminierungsmerkmal aufgrund der Ausweitung der Antidiskriminierungsrichtlinien auf den Bereich Bildung?
Die neue Richtlinie ist da nun sehr uneindeutig. Einerseits wird explizit davon gesprochen, dass eine Erweiterung der Antidsikriminierungsrichtlinien auf den Bereich Bildung stattfindet. Bislang seien einige Diskriminierungsmerkmale nur auf den Arbeitsmarkt beschränkt. Dies gelte es zu erweitern. Zitat:
Vorschlag für eine Richtlinie
Erwägung 9
(9)Daher sollte unmittelbare und mittelbare Diskriminierung, Mehrfachdiskriminierung und Diskriminierung durch Assoziation aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung oder des Geschlechts in einer Reihe von Bereichen außerhalb des Arbeitsmarktes gesetzlich verboten werden, unter anderem in den Bereichen Sozialschutz, Bildung sowie Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, wie z.B. Wohnraum, Transport, Vereinigungen sowie Gesundheit. Gesetzlich vorgeschrieben werden sollten Maßnahmen zur Gewährleistung des gleichberechtigten Zugangs von Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder einer bestimmten sexuellen Ausrichtung oder mit einer Kombination dieser besonderen Merkmale und für Personen, die mit diesen Personen in Beziehung stehen, zu den erfassten Bereichen.
Also die Forderung, die Antidiskriminierungsrichtlinien um den Bereich Bildung zu erweitern, wurde explizit von der Mehrheit des Europaparlamentes abgesegnet. Andererseits heißt es jedoch:
Vorschlag für eine Richtlinie
Artikel 3 – Absatz 3
3. Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf die Lehrinhalte, die Aktivitäten und die Gestaltung der einzelstaatlichen Bildungssysteme, wenn auch die Mitgliedstaaten das Recht von Personen mit Behinderungen auf Bildung ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit sicherstellen müssen. Die Mitgliedstaaten stellen auch sicher, dass bei der Entscheidung darüber, welche Art der Bildung oder Ausbildung angemessen ist, die Ansicht der Person mit einer Behinderung respektiert wird. Die Mitgliedstaaten können unterschiedliche Behandlung aufgrund der Religion oder Weltanschauung bei der Zulassung zu Bildungseinrichtungen zur Beibehaltung des besonderes Charakters und Ethos einer solchen Einrichtung und einer Pluralität der Bildungssysteme unter der Voraussetzung erlauben, dass dies keine Verletzung des Rechts auf Bildung darstellt und nicht als Begründung für eine Diskriminierung aus anderen Gründen dient. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass dies nicht zur Verweigerung des Rechts auf Bildung führt.
Ich denke, dass es hier seitens der niederländischen Grünen ein Bauernopfer gegeben hat, wie bereits Ende der 1990er Jahre, als unter der niederländischen Ratspräsidentschaft vier Diskriminierungsmerkmale aus den zu konstituierenden Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien herausflogen. Es handelte sich um die Diskriminierungsmerkmale Alter, Behinderung, Sexuelle Orientierung und Soziale Herkunft. Die entsprechenden Lobbygruppen protestierten gegen diese Diskriminierungshierarchie und die niederländischen Grünen boxten im Parlament durch, dass drei der vier Diskriminierungsmerkmale wieder Bestandteil der zu schaffenden Antidiskriminierungsrichtlinien werden konnten. Nur die Soziale Herkunft blieb außen vor. Es fand sich keine Lobbygruppe, es fand überhaupt keine Diskussion statt, ob auch Arbeiterkinder geschützt werden müssten. Die geradezu flapsige Begründung der niederländischen Ratspräsidentschaft für den Ausschluss lautete: diese vier Diskriminierungsmerkmale könnten besser einzelstaatlich im Bereich der Bildung behandelt werden.
Wir haben nun auf den ersten Blick paradoxe Aussagen zum Bereich Bildung. Einerseits heißt es in der Entschließung ganz klar, im Bereich Bildung sollte Diskriminierung verboten werden, andererseits finden diese Richtlinien keine Anwendung auf die Lehrinhalte, die Aktivitäten und die Gestaltung der einzelstaatlichen Bildungssysteme. Ich bin wie gesagt kein Jurist und nicht in der Lage, diesen Widerspruch aufzulösen.
Allerdings lässt sich festhalten, dass die Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien nun soweit in den Bereich der Bildung involviert sind, dass eine flapsige Begründung “die EU kümmert sich nicht um Diskriminierung im Bereich Bildung” nicht mehr richtig ist. Und damit wurde der bislang einzig genannte Grund hinfällig, Soziale Herkunft als Diskriminierungsmerkmal von den Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien auszuschließen.
Die letzten Bundesregierungen haben auf einzelstaatlicher Ebene versagt, die Diskriminierung aufgrund der Sozialen Herkunft im Bereich Bildung zu unterbinden. Sie wurden nicht nur von der UNESCO, der UNICEF, der Europäischen Kommission der OECD und dem Menschenrechtsbeobachter der UN kritisiert, sondern es kam zu verbalen Ausfällen von deutschen Politikern gegenüber den letzten beiden Institutionen. Dies zeigt die Notwendigkeit, hier eine klare europäische Richtlinie zu schaffen. Hinzu kommt das Unverständnis der bundesrepublikanischen Bevölkerung darüber, dass die klassenspezifischen Diskriminierungsgründe “Soziale Herkunft” und “Vermögen” nicht durch die Antidiskriminierungsrichtlinien abgedeckt sind. Es spricht also alles für die Forderung das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz um klasspezifsche Gründe zu erweitern.
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