Website-Icon Andreas Kemper

Gauck und der Konvent für Deutschland

Joachim Gauck soll nun also doch Bundespräsident werden. Dies ist eine gefährliche Entscheidung, wenn das berüchtigte Tagesspiegel-Gespräch vom 30.12.2010 „Gauck attestiert Sarrazin ‚Mut'“ tatsächlich die Position Gaucks auf einen Nenner bringt. Sollte dies so sein, dann haben wir nun nicht nur einen Bundespräsidenten, der das Eintreten für Rassismus und Eugenik „mutig“ findet, sondern darüber hinaus jemanden, der den Bonarpartismus und sozialstaatsfeindlichen Rechtspopulismus des „Konvents für Deutschland“ in Reinform vertritt. Gauck ist kein Mitglied im „Konvent für Deutschland“, im Gegensatz zum Ex-Präsidenten Roman Herzog und den drei ebenfalls als Bundespräsidentschaftskandidatinnen ins Gespräch gebrachten Klaus von Dohnanyi Jutta Limbach und Regina Schmidt. Gauck vertritt aber im Tagesspiegel-Gespräch vier zentrale Elemente des „Konvents für Deutschland“: Bonapartismus, Sozialabbau, Anti-PC-Diskurs, Pro-Sarrazin-Postionierung.

Bonapartismus

Mit dem politischen Begriff „Bonapartismus“ beschreibt Thomas Wagner (Thomas Wagner: Direkte Demokratie als Mogelpackung, 2011) das Eintreten von Konservativen wie Hans-Olaf Henkel für Formen Direkter Demokratie. „Direkte Demokratie“ hat den Vorzug nach „Basisdemokratie“ zu riechen, tatsächlich ermöglicht sie aber das Aushebeln eines demokratischen Entscheidungsprozesses. Dass direktdemokratische und diktatorische Prozesse kompatibel sein können, zeigt sich beispielsweise in der Diktatur Napoleon Bonapartes, die durchaus über plebiszitäre Elemente verfügte. Nach Thomas Wagner hat sich vor allem das Honoratioren-Netzwerk „Konvent für Deutschland“ für bonarpartistische Ideen stark gemacht. Durch Direktwahlen, wie sie auch Gauck vorschlägt, können oppositionelle Positionen – vor allem aus den Reihen der LINKEN – ausgeschaltet werden. Dass auch Volksentscheide einen anti-emanzipativen Charakter haben können, zeigte nicht zuletzt der Hamburger Schulkampf, in der Wahlbeteiligung dort am geringsten war, wo die Armut am höchsten gewesen ist.

Sozialabbau

An mehreren Stellen macht Gauck in dem Gespräch deutlich, wie er zur sozialen Gerechtigkeit steht: „Nicht die Kleidung der Ehefrau des Verteidigungsministers ist wichtig, sondern die Lage der Sozialsysteme oder die Notwendigkeit der Rente mit 67.“ Und er fährt fort, dass nur die Politiker Ängste vor unpopulären und notwendigen Entscheidungen abbauen könnten, die ihre Entscheidungen ausführlich begründen. Im Tagesspiegel heißt es wörtlich:

„Die Fachsprache und Expertenterminologie vieler politischer Tagesdebatten wirke auf die Wähler abschreckend: ‚Politiker müssen eine Sprache finden, die auch von den einfachen Menschen verstanden wird.'“

Anti-PC-Diskurs

Hier ist der Bonapartismus wieder anzutreffen: Joachim Gaucks Darstellung der Politik gleicht der Kritik an die „parlamentarischen Quasselbuden“ von ganz rechts. Man solle sich nicht in irgendwelchen politischen Tagesdebatten verzetteln, sondern mit klarer Sprache direkt zum Volk sprechen. Komplexe Lösungsmöglichkeiten in Fachkonferenzen zu erörtern, sich auf einem hohen fachlichen Niveau zu streiten, um in diesen Debatten neue Wege gangbar zu machen, den Rat von Expert_innen einzuholen, dies scheint alles Firlefanz zu sein. Der Weg ist klar und heißt Sozialabbau und die einzige Schwierigkeit besteht anscheinend für den neuen Bundespräsidenten darin, diese „Notwendigkeit“ mit einfacher Sprache zu vermitteln. Hierzu gehört auch die abwertende Kennzeichnung „politischen Klasse“, deren „Sprache der politischen Korrektheit“ beim einfachen Bürger das Gefühl vermittele, die eigentlichen Probleme zu verschleiern. „Sprache der politischen Korrektheit“ ist in diesen Kontexten zumeist als Schlagwort zu verstehen, mit dem eine Sensibilität für soziale Gerechtigkeit verächtlich gemacht werden soll. Dies wird hier besonders deutlich, weil Gauck direkt auf den Rasssisten und Eugeniker Thilo Sarrazin zu sprechen kommt.

Pro-Sarrazin

Die vehementesten Befürworter Sarrazins – wie Hans-Olaf Henkel oder Klaus von Dohnanyi – kommen aus dem „Konvent für Deutschland“, aber auch Joachim Gauck attestiert dem SPD-Politiker Thilo Sarrazin Mut:

„‚Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik.‘ Die politische Klasse könne aus dem Erfolg von Sarrazins Buch lernen, dass ‚ihre Sprache der politischen Korrektheit bei den Menschen das Gefühl weckt, dass die wirklichen Probleme verschleiert werden sollen'“

Welche „wirklichen Probleme verschleiert werden sollen“ verschleiert Gauck hier allerdings: meint er Sarrazins rassistische Einlassungen zur sogenannten „Integrationsdebatte“ oder meint er das von Sarrazin als eigentliches Problem gesehenes Thema der dysgenischen Bevölkerungsentwicklung bzw. seinem impliziten – Sarrazin spricht eben keine klare Sprache! – Plädoyer für Eugenik? Einig scheinen sich Gauck und Sarrazin jedenfalls im Kampf gegen die „politische Korrektheit“ der „politischen Klasse“. Zusammen mit Hans-Olaf Henkel nahm noch vor kurzem Thilo Sarrazin an einer nicht großartig von der Presse begleiteten Tagung von Hans Herbert von Arnim zum Thema „Widerstand“ teil. Auch Hans Herbert von Arnim ist nach Thomas Wagner ein Vordenker des Bonapartismus. Sarrazin referierte übrigens zum Thema „Politcal Correctness“ und kritisierte in seinem Beitrag gleichfalls die „politische Klasse“.

BILD dir einen Präsidenten

Da die BILD Sarrazin zum Millionär und Gauck zum Präsidenten machte (welch eine Genugtuung übrigens für Sarrazin, dass sein Kritiker Wulff ebenfalls seinen Posten räumen musste, im Gegensatz zum ihm aber nicht ein Extragehalt aushandeln konnte, sondern im Gegenteil wahrscheinlich auf seinen Ehrensold verzichten muss), könnte doch der nächste Roman-Herzog-Medienpreis 2013 des Konvents für Deutschland in den angemessenen Räumlichkeiten des Schloss Bellevue an die BILD gehen mit einer Laudatio Henkels, der zu diesem Anlass den alten Zwist mit Dieckmann begräbt im Interesse des gemeinsamen Widerstands gegen den Reformstau.

Nachträge

Freie Wähler

Die BILD lässt Hubert Aiwanger zu Wort kommen, dem Chef der Bundespartei „Freie Wähler“, die vor kurzem bekannter wurde, weil Hans-Olaf Henkel ihr beigetreten ist. Gauck sollte ein „aktiver Bundespräsident“ sein, sein Amt erklären (neu definieren?) und sich zur Euro-Rettung äußern: «Dies bewegt die Menschen und dazu muss sich ein Bundespräsident auch zu Wort melden dürfen – ob das der politischen Klasse passt oder nicht». Da haben wir sie wieder, die „Zur Wort Meldungen“ und die „politische Klasse“, der es nicht passe, wenn das, was die Menschen „wirklich bewegt“ deutlich angesprochen werde.

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Hans-Olaf Henkel

Henkel selbst verweist in seiner montäglichen Kolummne im Handelsblatt darauf, dass jetzt endlich mal Schluss sein müsse mit dem alliierten Diktat des Grundgesetzes, wonach der deutsche Bundespräsident indirekt gewählt werde:

„Das Grundgesetz, 1948 innerhalb von zwei Wochen auf Herrenchiemsee unter alliierter Oberaufsicht zustande gekommen, sah die Direktwahl des Bundespräsidenten auch deshalb [nicht?,A.K.] vor, weil man dem deutschen Volk misstraute. Das mag angesichts der Ereignisse von 1933 bis 1945 eine verständliche Vorsichtsmaßnahme gewesen sein, trotzdem ist die verbreitete Ansicht falsch, Hitler sei durch das Volk an die Macht gekommen.“

Er freut sich, dass nun endlich ein freiheitliebender Bundespräsident gewählt wurde, der sich hoffentlich gegen „soziale Gerechtigkeit“ und für die Direktwahl einsetze:

„Mit Joachim Gauck bekommen wir einen eloquenten Anwalt für die Freiheit. In einem unübersehbaren Meer von Propagandisten für die Gleichheit – bei uns: „soziale Gerechtigkeit“ – kann er ein Leuchtturm für die Freiheit werden. Wer wäre besser geeignet als er, sich für die Direktwahl seines Nachfolgers einzusetzen?“

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Konvent für Deutschland

Der „Konvent für Deutschland“ hat sich jetzt auch direkt zu Wort gemeldet. Ein Michael Scheithauer (keine Ahnung, wer das ist, trägt einen Anzug) fordert dort ebenfalls die Direktwahl des Bundespräsidenten als erste Maßnahme gegen den Parteienstaat. Sein selbsterfundenes Argument, man müsse doch einen Bundespräsidenten nicht vom Volk wählen lassen, wenn er nichts zu sagen hat, weist er von der Hand: man müsse die Kompetenzen des Bundespräsidenten erhöhen, z.B. indem er Gesetze ablehnen und das Parlament auflösen kann. Präsidentenamt in den Fängen des Parteienstaates

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Sarrazin: „Ich schätze Gauck sehr“

Thilo Sarrazin teilte der dpa mit, dass er bereits 2010 für Gauck als Bundespräsidenten gewesen ist.

„Ich habe Achtung vor dem Mann und Respekt vor seiner Lebensleistung. Und Gauck ist des wohlgesetzten Wortes mächtig, eine Fähigkeit, die in seiner zukünftigen Position nicht ganz unwichtig ist“

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Literatur

Thomas Wagner: Demokratie als Mogelpackung. Oder: Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus. Köln, Papyrossa 2011

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