Der Begriff “Tugendterror” wurde von Wilhelm Marr erfunden.
“Der Schrecken der “Tugend” trägt einen wesentlich theologischen Charakter. Es ist mit dem Fanatismus der Tugend, wie mit dem Fanatismus der Religion, beide sind eben religiös und reklamieren die Macht des Absoluten […] Wenn sich aber der Kommunismus uns aufdrängen will, so ist ihm der “Schrecken” noch unentbehrlicher als er es der Tugend war, denn der Fanatismus, welcher sich verkörpert hat, kann gar nicht anders, als noch gewalthätiger auftreten, als der Tugendterrorismus.” (Marr, Der Mensch und die Ehe vor dem Richterstuhl der Sittlichkeit, 1848: 148)
Sarrazin argumentiert:
“Das ist der Kern des Tugendterrors: Die Ideologie (oder Religion) der Gleichheit erklärt alle sich manifestierenden Unterschiede in den Leistungen und im materiellen Erfolg von Individuen und Gruppen zum Ausfluss von Ungerechtigkeit […] Diese Anbetung der Gleichheit kann man eine Ideologie nennen, sie hat aber quasi-religiösen Charakter. Ihre Qullen sind teils christlich, teils naturrechtlich, teils marxistisch.” (Sarrazin, Der neue Tugendterror, 2014: 39)
Marr verwahrt sich gegen den Vorwurf des Rassismus:
“ich wiederhole und glaube es in dieser Zeit, wo das Verdächtigen gegen anders Denkende so leicht ist, nicht oft genug wiederholen zu können: mich beseelt nicht der entfernteste ‘Judenhass’ und eben so wenig ein confessioneller Hass gegen die Juden. Nicht einmal ein ‘Nationalhass’ oder ‘Racenhass. Kein Volk kann für seine Spezialitäten.” (Marr, Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum, 1879: 38)
Sarrazin argumentiert:
“Die beliebteste Verunglimpfungsmasche ist dabei der Vorwurf des Rassismus. Natürlich es es stets richtig, nicht die eine Gruppe zu überhöhen, um die andere zu verteufeln. Falsch aber ist es, mit einer Gleichheitsideologie die Existenz von Unterschieden per se zu tabuisieren bzw. als einzige Erklärung einen Mangel an Gerechtigkeit zuzulassen.” (Sarrazin, Der neue Tugendterror, 2014: 40)
Wilhelm Marr lieferte zugleich das theoretische Fundament für den deutschen Antisemitismus. 1860 schrieb er den “Judenspiegel”, seiner Meinung nach sehr sachlich und emotionslos. Dennoch wähnte er sich von der Presse marginalisiert und diffamiert. Seit der “Judenemanzipation” von 1848 sei die “Journalistik” mehr und mehr von den Juden übernommen worden. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis es keine “unbeschnittenen Journalisten” mehr gebe. Finis Germaniae.
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