Update: AfD-NRW-Vorstandssprecher: Abschaffung der Parlamentarischen Demokratie
Als ich zum erstenmal einen Text zur Demokratiefeindlichkeit der AfD postete, bezog ich mich auf Positionen von führenden Repräsentanten der AfD. Es sind jetzt einige Monate vergangen und mit der Konsolidierung zur Partei wäre es denkbar gewesen, dass sich die AfD von bonapartistischen Volk-Führer-Forderungen distanziert.
Verfassungsänderung zur Abschaffung des Parlaments
Dies ist nicht der Fall. Im Gegenteil. Hans-Olaf Henkel spricht sich im Artikel “Mit neuer Verfassung das Kartell aufbrechen” für eine Verfassungsänderung aus, um massiv die Parteien zu schwächen. In dem Artikel geht es um die Direktwahl von Bundespräsident*innen, Kanzler*innen, Ministerpräsident*innen und um eine größere Machtausstattung dieser dann direkt gewählten Führer*innen. Parallel sollen die Parteistiftungen wegfallen, vermutlich, weil sie eine Konkurrenz zu den wirtschaftsnahen Stiftungen darstellen. Der Artikel ist vom 26. August 2013, also nicht etwa zehn Jahre alt – ein Argument mit dem die demokratiefeindlichen Äußerungen gerne entschuldigt werden.
Auch Hermann Behrendt, stellvertretender Sprecher der AfD im Landesverband NRW, meldete sich mit einer Pressemitteilung vor wenigen Tagen erst zu Wort. Die PM war überschrieben mit Direktwahl des Kanzlers? AfD-Kandidat Dr. Hermann Behrendt setzt sich für mehr direkte Demokratie ein. Behrendt plädiert ebenfalls für die Verfasserungsänderung, um zumindest schon mal die Ministerpräsidenten direkt wählen zu können – als erster Schritt auf dem Weg zur Direktwahl des Kanzlers. Dass Behrendts Volk-Führer-Utopien sich nicht in der Direktwahl des Kanzlers erschöpfen, hat er in seinem Buch Mandative Demokratie deutlich gemacht. Wie noch immer auf Behrendts Seite zu seinem Buch Mandative Demokratie zu lesen ist, geht es um “Verzicht auf ein Parlament und Erlaß der Gesetze durch die Regierung”. Behrendt fordert die Abschaffung des Parlamentes, weil dieses nicht zu den notwendigen Entscheidungen gegenüber “Arbeitsscheuen” und gegenüber der “Migration der Falschen” in der Lage sei.
Als ich vor Monaten vor diesen antidemokratischen Tendenzen warnte, schloss ich nicht aus, dass die AfD solche Leute nach und nach ausschließen würde. Schließlich gab es auch bei den Grünen und bei den Piraten in den Anfangsphasen Menschen mit sehr problematischen rechten Positionen. Leider ist das Gegenteil der Fall. Behrendt zum Beispiel ist zuständig für den NRW-Arbeitskreis “Arbeit und Soziales”. Jemand der das Parlament abschaffen möchte, weil es nicht mit harter Hand gegen “Arbeitsscheue” und “Migration der Falschen” vorgeht, ist im größten Landesverband der AfD zuständig für programmatische Fragen im Bereich “Arbeit und Soziales”.
Damit nicht genug. In die Programmgruppe der AfD NRW wurde zudem Ulrich Wlecke berufen (Arbeitskreis “Finanzen und Haushalt”). Wlecke war nach Auskünften von NRW rechtsaußen in den 1970er Jahren Mitglied der rechten Burschenschaft Franconia Münster sowie Mitglied des Rings freiheitlicher Studenten; 1990 war er nach Auskünften des Bundeswahlleiters stellvertretener Vorsitzender der REP in NRW; 2009 und 2010 war Wlecke für die FPÖ aktiv. Hierzu passt das Ergebnis des Wahl-O-Mats, welches der Landessprecher der AfD-NRW, Alexander Dilger, freimütig auf seiner Homepage postete: direkt nach der AfD hatten die REP und PdV die meisten Übereinstimmungen zu seinen politischen Positionen gezeigt und auch Pro Deutschland oder NPD landeten noch weit vor SPD, Grüne und Linke. Politprofis würde ich bei solchen Postings Kalkül unterstellen – soweit will ich bei Herrn Dilger nicht gehen, aber auch Naivität kann gefährlich sein und immerhin ist Dilger Sprecher des größten Landesverbandes.
Passend zu den erneuten Forderungen nach stärkeren Volk-Führer-Strukturen sind die aktuellen Forderungen nach einer Nulltoleranz gegenüber Kriminalität. Während Landeschefs wie Jörn Kruse die massenweise Eintritte von Rechten in die Partei AfD beklagen, wiegelt der Parteisprecher Bernd Lucke ab und macht Stimmung für eine harte Law-and-Order-Politik. Nicht nur die Mafia und Rockergruppen wie Hells Angels gehören zerschlagen, sondern auch die Strukturen der Autonomen in den Universitätsstädten. Lucke fordert ein entschlossenes Vorgehen gegen “Linksextreme”. Führerstaat und Polizeistaat – das gehört nun mal zusammen.
“Demokratie als Irrtum”
Zum Schluss noch ein paar Worte zum Thema Abschaffung des Wahlrechts von Arbeitslosen. Immer wieder treffe ich auf AfDler, die behaupten, Konrad Adam habe den Text damals überspitzt geschrieben, niemals habe er sich ernsthaft für die Abschaffung des Wahlrechts von Arbeitslosen ausgesprochen. Was diese AfDler nicht wissen: Ein großer Teil der treibenden Kräfte in der AfD ist ideologisch im Umfeld der Hayekaner angesiedelt. Hayek hatte geschrieben, dass man theoretisch argumentiere könne, allen das Wahlrecht abzuerkennen, die Geld vom Staat erhalten. Inzwischen sieht aber eine Gruppe von Hayekanern dies nicht mehr nur als theoretische Argumentation, sondern als reale Forderung. Hans-Hermann Hoppe bspw. bezeichnet sich explizit als Antidemokrat. In einem Interview 2005 in der extrem rechten Jungen Freiheit macht er sich über den Verfassungsschutz lustig, dieser könne ihn, Hoppe, gar nicht richtig klassifizieren. Es handelt sich bei seiner dezidiert antidemokratischen Postionierung nicht um eine Provokation, sondern um eine ernst gemeinte Forderung. Hoppe ist Autor in der rechtlibertären haeykanischen Zeitschrift eigentümlich frei und wird dort als “herausragender Vertreter der Österreichischen Schule” präsentiert. Und auch dem Hayekaner André Lichtschlag, Herausgeber der eigentümlich frei, war es ernst, als er in der Welt vom September 2006 forderte “Entzieht den Nettostaatsprofiteuren das Wahlrecht!”, schließlich bezog er sich ohne einen Anflug von Ironie auf seinen Kollegen Hoppe. Hayekaner wie Hoppe und Lichtschlag sind Gegner der Demokratie und sie verheimlichen es nicht mal: Demokratie und Freiheit würden sich widersprechen und sie seien für Freiheit statt Demokratie. Ebenso machte der eigentümlich frei-Autor Konrad Adam in seiner Replik 2006 auf Lichtsschlags Artikel in der Welt unter der programmatischen Frage “Wer soll wählen?” darauf aufmerksam, dass “die Anregung, den Inaktiven und Versorgungsempfängern das Wahlrecht abzuerkennen, provokativer [klingt], als sie tatsächlich ist.” Dort steht also nicht: “Ich provoziere jetzt mal.”, sondern da steht: “Hey Leute, das klingt nach einer Provokation, ist aber ernst gemeint.” Der Hintergrund war, dass es in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin linke Mehrheiten bei den Wahlen gegeben hat. Das habe man nun davon, so Adam, dass das Wahlrecht nicht mehr an Eigentum gebunden sei, die Passiven lähmten die Aktiven. So weit ich weiß, hat es noch immer keine deutliche Distanzierung gegeben. Weder Hoppe noch Lichtschlag noch Adam haben sich von diesen Positionen distanziert oder auch nur angedeutet, dass dort etwas falsch verstanden worden sein könnte. Rentnern und Arbeitslosen das Wahlrecht entziehen zu wollen klingt so absurd, dass man es nicht glauben will, dass so was real gefordert wird – aber so ein Nichternstnehmen kennen wir bereits aus der Geschichte. Ich kann den einfachen AfDler*innen nur empfehlen, ihren Parteisprecher Konrad Adam zu drängen, sich deutlich und vor allem glaubhaft von seinem Text von 2006 zu distanzieren. Davon unberührt wäre dann noch immer das Problem mit der Forderung nach stärkeren Volk-Führer-Strukturen.
Martin Lauber
Moment – unterstellen Sie etwa jenen anderen westlichen Demokratien, die ihren Präsidenten direkt wählen und die dabei wesentlich älter sind als die deutsche, ebenfalls Volk-Führer-Phantasien?
Die AfD will keine rein repräsentative Demokratie, bei der man alle 4 Jahre ein Kreuzchen machen darf und dann die Klappe zu halten hat – sondern starke direktdemokratische Elemente. Aber ich bin sicher, dass selbst die Schweiz in Ihren Augen protofaschistisch ist.