Im Grundgesetz ist festgehalten, dass niemand aufgrund seiner sozialen Herkunft benachteiligt werden dürfe.
Nun wird aber seit Jahrzehnten festgestellt, dass im Bildungsbereich eine Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft stattfindet. Diese Woche belegte die OECD in der sogenannten “PISA für Erwachsene”-Studie die Nachhaltigkeit dieser Bildungsdiskriminierung. Unter den OECD-Staaten sei nur in den USA eine größere Diskriminierung gegeben. Darüber hinaus sei in Deutschland Einkommen, Arbeitsplatzsicherheit, Gesundheit und gesellschaftliche Partizipation enger am Bildungserfolg gekoppelt als in anderen Staaten, das heißt die Diskriminierung multipliziert sich in Deutschland.
Heute legte die Kultusministerkonferenz (KMK) die IQB-Ländervergleichs 2012 in den mathematisch- naturwissenschaftlichen Fächern vor und kommentierte ihn hinsichtlich der sich daraus ergebenden bildungspolitischen Schlussfolgerungen. Dieses Bildungsmonitoring wurde 2006 nach einem Streit von Kultusministern mit der UN und der OECD eingeführt worden. 2007 entzündete sich der Streit um die Frage, ob die PISA-Studie hergebe, dass sich die Situation insbesondere für Schüler und Schülerinnen mit sogenannter ^niedriger^ sozialer Herkunft verbessert habe. Eine kommentierte Vorveröffentlichung behauptete diese Verbesserung, konservative Bildungspolitiker jubelten, doch der internationale Koordinator der PISA-Studie, Andreas Schleicher, widersprach. Es kam zu einem offenen Streit zwischen deutschen Kultusministern und -ministerinnen und der OECD. Einige konservative Kultusminister forderten hingegen den Ausstieg aus PISA und den Rücktritt des internationalen Koordinators. Die OECD stellte sich jedoch hinter ihren Koordinator und sperrte Deutschland für ein Jahr von Vorveröffentlichungen. Ähnliche Kontroversen hatte es auch mit dem UN-Bildungsinspektor, Vernor Munoz, ein Jahr zuvor gegeben. Kulutsminister wollten den UN-Bildungsbericht über das deutsche Bildungssystem “korrigieren” lassen, da dort eine eklatante Benachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft festgestellt und die frühzeitige Selektierung durch das mehrgliedrige Schulsystem kritisiert wurde.
Nun also hat sich die Kultursministerkonferenz ihr eigenes Bildungsmonitoring geschaffen. Zwar gibt es hier keine internationale Beobachter, die – wie der PISA-Koordinator der OECD oder der UN-Bildungsinspektor – das deutsche antiquiert-ständische Bildungssystem kritisieren. Aber dieses Bildungsmonitoring müsste sich schon ziemlich verbiegen, um eine Kopplung des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft nicht festzulegen.
“Anhand der Varianzaufklärung wird deutlich, dass in Mathematik und in den Naturwissenschaften bundesweit etwa 13 bis fast 17 Prozent der Unterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern in den erzielten Kompetenzen auf Unterschiede im sozioökonomischen Status der Eltern zurückgeführt werden können. Der sozioökonomische Status spielt also für die Erklärung der Kompetenzunterschiede von Schülerinnen und Schülern in Deutschland nach wie vor eine substanzielle Rolle. […] Bundesweit erreichen Schülerinnen und Schüler aus sozial besser gestellten Familien im Fach Mathematik im Durchschnitt 82 Punkte mehr als Jugendliche aus sozial schwächer gestellten Familien. Dies entspricht einem Leistungsvorsprung von fast drei Schuljahren zugunsten der Schülerinnen und Schüler mit einem hohen Sozialstatus.” (IQB-Ländervergleich 2012 – Zusammenfassung, S. 19)
Der Bericht weist zudem auf “zuwanderungsbezogene Disparitäten” hin, die Unterschiede von bis zu zwei Schuljahren feststellen.
Obschon also mit PISA 2000 die KMK 2001 sieben Handlungsfelder beschlossen hatte, von denen der Punkt 4 lautete: “Maßnahmen zur wirksamen Förderung bildungsbenachteiligter Kinder, insbesondere auch der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund” ist seither nichts geschehen. Ähnlich wie beim Bologna-Prozess, wo auch eine Soziale Dimension bei den Hochschulreformen beschlossen, aber nicht umgesetzt wurde, findet man auch bei der KMK keine Maßnahmen, die die Bildungsbenachteiligung aufheben könnten. Mit dem Ergebnis der IQB-Studie heute formulierte die KMK weitere “fünf bildungspolitische Schlussfolgerungen”. Zur Bildungsbenachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft findet sich explizit gar nichts mehr, lapidar wird nur auf die sieben Handlungsfelder von 2001 verwiesen.
Wenn permanent auf den Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz verwiesen wird – in dieser Woche gleich durch zwei Studien – und die KMK diesen Verstoß dennoch nicht als relevant für bildungspolitische Schlussfolgerungen erachtet, dann ist die Frage, in wie fern das Grundgesetzt von der KMK überhaupt noch ernst genommen wird. Da die KMK verantwortlich ist für die Bildungspolitik und die Bildungsbenachteiligung durch diese Politik verschärft wird, stellt sich die Frage, ob die KMK nicht verfassungsfeindlich handelt.
vogel2044
Naja, iss ja alles richtig, was Du sagst, bis auf … naja, bis auf … die OECD lügt! 😉