Vorläufige Thesen zu einem postfordistischen Faschismus

Mit den folgenden Thesen möchte ich eine Diskussion anregen. Die Thesen sind tatsächlich Arbeitsthesen, also eher laute Gedanken, die ich an der einen oder anderen Stelle verwerfen, ergänzen oder verändern werde. Ich habe sie durchnummeriert, um über die einzelnen Thesen diskutieren zu können. Aktueller Stand: 01.07.2023

Herkules mit Laseraugen packt Fortuna beim Schopf und prügelt sie.

Faschismustheorien

  1. Faschismustheorien haben verschiedene Ansätze:
    a) Faschismus als („allerdreckigste“ (Bert Brecht)) Erscheinungsform des Kapitalismus,
    b) Faschismus als Ideologie eines auf mythologisierende ‘Wiedergeburt’ („Palingenese“ Roger Griffin) angelegten Ultranationalismus,
    c) Faschismus als Gewaltform von Männerbünden (Klaus Theweleit)

Machiavellismus

  1. Machiavelli bemühte das Bild des Herkules, der die Schicksalgöttin Fortuna am Schopfe packe (“occasione” (Gelegenheit)) und sie prügele, so wie es Frauen gefalle; er nannte diese Macht “virtú”, diese könne in einem Führer (“uomo virtúoso”) und auch im Volk mehr oder weniger vorhanden sein.
  2. Machiavelli schrieb sein berüchtigtes “Il Principe” unmittelbar nach seinen Folterungen schwersttraumatisiert mit verkrüppelten Händen.
  3. Machiavelli widmete seine Schrift seinen Folterern; es handelt sich um eine ‘Identifikation mit dem Aggressor’ (Arno Gruen)
  4. Die Virtù schafft sich selber über ein System männlicher Gewalttätigkeiten und bildet damit eine antimaterialistische männerorientierte Scheinwelt.

Fordistischer Faschismus

  1. Der Faschismus entstand in der fordistischen Phase des Kapitalismus und hatte entsprechende fordistische Merkmale.
  2. Mit dem Fortbestehen des Kapitalismus besteht weiterhin die Gefahr der Entstehung neuer Faschismen.
  3. Ein Faschismus, der im postfordistischen Kapitalismus entsteht, hat postfordistische Merkmale.
  4. Weil Faschismus auch reaktionär und ungleichzeitig (Ernst Bloch) ist, kann ein postfordistischer Faschismus auch fordistische Elemente enthalten;
    der Faschismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war in bestimmten Bereichen (Rüstungsproduktion, Volksempfänger, Verkehrsindustrie…) auf der Höhe der (fordistischen) Zeit und mit dem Futurismus verbunden und wird auch im postfordistischen Kapitalismus vom technologischen Fortschritt, also postfordistischen Merkmalen, bestimmt sein.

Merkmale des Postfordismus in einem neuen Faschismus

  1. Die Großraumpolitik eines postfordistischen Faschismus müsste die fragilen internationalen Lieferketten für den eigenen Handel sicher stellen; Autarkie-Bestrebungen wie im Nationalsozialismus wären nur durch die Auflösung des Westfälischen System möglich.
  2. Der postfordistische Faschismus definiert sich als Reaktion auf die Endlichkeit fossiler Rohstoffe („Peak Oil“ British National Party, Björn Höcke) als Klimafaschismus.
  3. Ein neuer Faschismus muss auch auf die Klimakatastrophe reagieren, insbesondere auf die temporäre und endgültige Schrumpfung der bewohnbaren Landfläche.
  4. Der postfordistische Faschismus wäre wesentlich durch den Umgang mit Geflüchteten im Zuge der direkten und indirekten Folge der Klimakatastrophe bestimmt.
  5. Ein postfordistischer Faschismus könnte nicht nur als faschistischer Staat, der mit Outsourcing arbeitet, entstehen; er könnte auch als Outsourcing besonders kenntlicher Teile des Faschismus entstehen (die AfD forderte bereits die Umstellung der Entwicklungspolitik auf die Errichtung von Charter Cities).

Vom Boden zum Blut

  1. Die Raumpolitik des postfordistischen Faschismus wird durch Digitalisierung, durch den Cyberspace (Smart Cities, Drohnen- und Handyüberwachung, …) bestimmt sein; „digital first“
  2. Die ‘Blut- und Boden’-Ideologie des fordistischen Faschismus wird im postfordistischen Faschismus überarbeitet werden:
    1. Die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe ist seit der Zeit des Nationalsozialismus auf fast ein Zehntel geschrumpft, das faschistische Narrativ der „Verwurzelung“ mit der „Scholle“ hat zahlenmäßig ein sehr viel kleineres Milieu, bei dem es verfangen könnte
    2. Abstammung hingegen ist nach wie vor relevant, jährlich wird in Deutschland ein Vermögen von ca. 400 Milliarden Euro an ‘das eigene Blut’ vererbt, davon besteht nur ein Teil aus Immobilien und nur die Hälfte dieser Immobilien wird dann auch von den Erb*innen bewohnt, das „Blut“ bleibt relevant, entkoppelt sich aber zunehmend vom „Boden“ als „Verwurzelung“
  3. Das mobiler werdende Erb-Eigentum entkoppelt zunehmend den Nationalismus von konkreten „alteingesessenen“ Landflächen, der „Proprietarismus“ (von proprium = Eigentum) wird relevanter im Nationalismus.
  4. Ideologisch wird der Ultranationalismus des postfordistischen Faschismus von einem Ultraproprietarismus dominiert.
  5. Der postfordistische Faschismus könnte tendenziell das ‘westfälische System’ (eine Nation ist eine zusammenhängende Landfläche) durch einen ‘Flickenteppich-Staat’ (Network-State) ersetzen.
  6. Der nomadischer gewordene Faschismus könnte international den Landbesitz von Jüd*innen und insbesondere den Staat Israel angreifen.
  7. Der postfordistische Faschismus könnte staatlich, staatlich-outgesourct (‘Refugee Cities’) oder rein privatrechtlich (entstaatlichte Privatstädte) entstehen.

Postfordistischer Klimafaschismus

  1. Gewalttätige Männerbünde bilden auch für den postfordistischen Faschismus die Grundlage; sie sind geprägt durch eine ungleichzeitige ‘Petromaskulinitäten’ (Cara New Dagget) in Gesellschaften, die die fossile Grundlage aufgeben muss.
  2. Grundlage dieser faschistischen Männerbünde ist der Glaube an eine bestimmte Form brutaler, machiavellistischer männlicher Macht

Postfordistischer Machiavellismus: Virtúalität und Gelegenheit

  1. Die Digitalisierung im Postfordismus verstärkt die Möglichkeit zur Schaffung virtùeller Virtualitäten (“digital first”, “digitaler Faschismus”).
  2. Im von Klimakatastrophen geprägten postfordistischen Kapitalismus mehren sich die Möglichkeiten für politische Schockstrategien wie sie in New Orleans nach der Überflutung praktiziert wurden.
  3. Der postfordistische Faschismus wird diese Schockstrategien (“Schocktherapie” (Hayeks Bezeichnung für neoliberale Politik unter Pinochet nach dem Putsch)) im Sinne der machiavellistischen Gelegenheit nutzen.

2 Kommentare

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  1. Troelle

    Nehme ich Mussolini, als den Vordenker bzw. Begründer des Faschismus, kann ich mich mit der Konnotation zur Industrialisierung, schwer anfreunden. Auch wenn jener wiederum hiervon geprägt wurde. Rein persönlich denke ich häufig, dass ehemals die Auflösung der klassischen religiösen Vorstellungen, als Basis zum Faschismus wurde. Quasi als eine Art Ersatz. Die Hierarchie, das Führungsprinzip, die identitätstiftende Wirkung, die Abgrenzung, die Selbstüberhebung, die Opferrolle, das Patriarchat, all dies halte ich für richtungsweisend. Nunmehr erleben wir mit der Digitalisierung, der verwalteten Gesellschaft (Erich Fromm u.a.), einer Gesellschaft des Habens vs. Gesellschaften, die innerhalb der anstehenden umwälzenden Veränderungen durch den Klimawandel keine Chance des Aufholens haben werden, eine neue Entwicklung. Vordergründig bietet das Denkmuster Faschismus dem Individuum innerhalb der industrialisierten Massengesellschaften gewisse Vorteile. Identität, sichere Einordnung in einer festen Hierarchie, Suggestion der Sicherheit, usw. Aber in Zukunft wird es sich nicht mehr um den klassischen Faschismus handeln, sondern vielmehr den, welchen Noam Chomsky in der aktuellen Ausgestaltung des Kapitalismus sieht. Konzerne übernehmen in zuvor nie dagewesenen Ausmaß die politische Autorität u. sind mittels der PR Möglichkeiten, die die Digitalisierung anbietet, in der Lage, Massen nach Belieben zu steuern.

    • Andreas Kemper

      Ich spreche ja auch von der blochschen “Ungleichzeitigkeit” als Merkmal des Faschismus. Die Gleichzeitigkeit von bäuerlichen vorindustriellen Existenzweisen und Vorstellungen mit der industriellen Gesellschaft auf der Höhe der Zeit hat den Faschismus ausgemacht. Und die “Höhe der Zeit” war damals Fordismus, heute ist es Postfordismus und die Ungleichzeitigkeit ist Adel, Fordismus und Postfordismus gleichzeitig, das macht den postfaschistischen Faschismus aus: Fordistische Existenzweisen werden abgeholt, gleichzeitig wird auf alles, was an modernen Formen der Manipulation und Repression und Ausbeutung möglich ist, nicht verzichtet. Und es wird nicht mehr auf “Formierung der Massen” gesetzt, sondern auf Outsourcing, Teams, Just-in-Time…

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