Die Alternative für Deutschland ist eine installierte Partei. Der Entstehungsprozess kann in drei Phasen unterteilt werden. Von 2003 bis 2009 bildete sich eine neoliberal-konservative antiparlamentarische Opposition, Netzwerke von neoliberalen Wirtschaftsprofessoren, die wie im Hamburger Appell 2005 Sozialkürzungen forderten,aber auch eltiär-konservative Lobbygruppen, die wie die Zivile Koalition die Großgrundbesitze des ehemaliegen ostelbischen Junkertums zurückforderten. Ab 2009 kam mit Thilo Sarrazin erstmals eine konservative Opposition gegen Merkels CDU-FDP-Koalition zum Tragen, die dann mit Anti-ESM-Proteste fortgeführt wurde. Die Netzwerke verbanden sich und konnten in einer dritten Phase ab September 2012 schließlich konkrete Schritte zu einer Parteigründung einleiten. Zunächst wurde mit einem Wahlbündnis zur Unterstützung der Freien Wähler eine bundesweite Struktur geschaffen, um dann nach den Niedersachsenwahlen im Februar 2013 die Partei AfD zu installieren.
Sozialselektive Forderungen und ständisches Bildungssystem
Meine Recherchen ergaben, dass die AfD sozialektiv ist. Sie fordert rote Linien in der Europa- und in der Einwanderungspolitik; führende Vertreter der AfD entwickeln seit Jahren Konzepte, die im Effekt auf eine sozialselektive Demokratie hinauslaufen; und auch in der Bildungspolitik vertritt die AfD sozialselektive Forderungen.
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass das Bildungssystem in Deutschland bereits sozialselektiver ist als in den meisten anderen Industriestaaten. Mit dem gegliederten Schulsystem haben wir noch eine Schulstruktur, die aus dem 19. Jahrhundert stammt. Nach dem Krieg empfahlen die Alliierten in der ZOOK-Kommission, das dreigliedrige Schulsystem durch eine moderne Gemeinschaftsschule zu ersetzen. Konservative bürgerliche Kräfte setzten sich dafür ein, dass das ständische Schulsystem erhalten blieb. Hierbei gilt, was schon im 18. Jahrhundert galt: Schüler*innen mit sogenannter „hoher“ Herkunft gehen automatisch auf die „Hohe Schule“, während für Schüler*innen mit sogenannter „niedriger“ Herkunft Kompetenznachweise erbringen müssen. Als 2010 versucht in Hamburg versucht wurde, die Schulselektion erst nach der 6. Klasse vorzunehmen, sorgte die privilegierten Schichten mit einem Volksentscheid, an dem Arme kaum teilnahmen, dafür, dass die frühe Selektion blieb. Vorher setzten sie allerdings schon durch, dass es keine objektivierten Kriterien für die Selektion gab: nicht Tests, sondern der Elternwille solle entscheiden, welches Kind zu welcher Schulform geht. DieseMischung Das heißt, in Hamburg wurde mit einer sozialselektiven Demokratieform eine sozialselektive Schulform durchgesetzt. Genau für diese Politik steht die AfD. Die Mischung aus Familienorientierung und früher Selektion ist ein Relikt aus ständisch-feudaler Zeit, es hält sich in Deutschland länger, weil sich ein ständisches Denken in Deutschland sehr lange halten konnte. Bis 1918 gab in Deutschland das ostelbische Junkertum den Ton an und nach dem kurzen demokratischen Zwischenspiel der Weimarer Republik wurde klassen- und rassenbezogene Erbintelligenzansätze zu einer zentralen Wissenschaftspraxis ausgebaut, deren Protagonisten wie Ottmar von Verschuer und Karl Valentin Müller bis in die späten 1960er Jahre wirkten und zum Teil von Gymnasiallehrerverbänden protegiert wurden. Vor kurzem wurde das biologistische Erbintelligenzparadigma von Thilo Sarrazin mit einer Millionenauflage seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ revitalisiert. Und Interessensverbände, die die Rückgabe der von der Sowjetunion enteigneten Landgüter des ostelbischen Junkertums einfordern, sind inzwischen zu mächtigen Kampagnennetzwerken angewachsen, die mit ihrer ständisch-konservativen Ideologie nicht nur den Kurs der AfD mitbestimmen, sondern auch ihren maßgeblichen Anteil an der Gründung der AfD hatten. Diese quasi-ständische Bildungspolitik wird zudem aufrecht erhalten von konservativen Lehrerverbänden wie dem Deutschen Philologenverband oder dem Deutschen Lehrerverband.
“Egalisierungswahn”
Das Wahlprogramm der AfD ist insgesamt sehr kurz, zur Bildungspolitik findet sich nur die Aussage, dass es einheitliche Bildungsstandards geben soll, dass Bildung die Kernaufgabe der Familie sei und Eltern in erster Linie für Bildung und Erziehung ihrer Kinder zuständig seien. Der Staat habe sie dabei nur zu unterstützen. Frühkindliche Bildungsangebote sollten dabei allerdings unabhängig vom Familienhintergrund verfügbar sein. In ihrem einhundertseitigen Argumentationsleitfaden schicken die Herausgeber*innen dem Abschnitt „Bildungspolitik“ ein programmatisches Zitat des Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, voraus:
„Deutschland leidet unter mehreren Wahnvorstellungen. Der Egalisierungswahn, die Ideologie nämlich, dass alle Menschen, Strukturen, Werte und Inhalte gleich oder gleichgültig seien; dann der Machbarkeitswahn, der Wahn, jeder könne zu allem begabt werden; drittens der Wahn einer Spaß‐, Erleichterungs‐ und Gefälligkeitspädagogik; viertens ein Quotenwahn, die planwirtschaftliche Vermessenheit nämlich, es müssten möglichst viele Menschen mit dem Abitur‐Zeugnis ausgestattet werden; und schließlich der Beschleunigungswahn, die Vision also,man könne in immer weniger Bildungsjahren zu besser gebildeten jungen Leuten und zu einer gigantisch gesteigerten Abiturientenquote kommen.” (Josef Kraus, zit. n. Pk AfD-BW 2013: 64)
Konkret umgesetzt heißt diese Programmatik für das hochselektive Schulsystem in Deutschland: „Ein hinreichender Bildungsstandard wurde erreicht, wenn Schüler in ihrer jeweiligen Schulform die Fähigkeiten und Fertigkeiten erlangen die sie in ihrem nächsten biographischen Stadium benötigen.“ (ebd.: 66) Man beachte die zuweisende und einschränkende Attribution: „in ihrer jeweiligen Schulform“ und zwar entsprechend ihrem nächsten entsprechendem biographischen Stadium. Dass, was die UNESCO in ihrer Studie zu Disadvantages in Rich Nations beklagte, dass in Deutschland Kinder frühzeitig für ihr ganzes Leben einsortiert werden, wird hier von der AfD bewusst gefordert. Konkret heißt es:
„Die Alternative für Deutschland steht für ein reformiertes mehrgliedriges System, bestehend aus Gymnasium, Realschule, Hauptschule/Gemeinschaftsschule. Die Alternative für Deutschland wird die Entwicklung der Gemeinschaftsschule daraufhin beobachten, welche Modelle sich bewähren bzw. nicht bewähren. Wesentlich ist eine stärkere Durchlässigkeit zwischen den Schularten. Über Bildungsgutscheine soll eine optimale Allokation der finanziellen Mittel sichergestellt werden.“
Der letzte Satz bedeutet, dass die Schulen über die Bildungsgutscheinvergabe der Eltern miteinander konkurrieren müssen. Auch Privatschulen sollten ausgebaut und ebenfalls über Bildungsgutscheine der Eltern finanziert werden. Hierbei betont die AfD, dass Bildung in der Eigenverantwortung der Familie liege und von einer „Privatsierung“ der Bildung nicht die Rede sein könne, da Bildung immer schon „eine intrinsisch private Angelegenheit“ sei. (ebd.: 72)
Dies wird voraussichtlich zusätzliche sozialselektive Effekte haben. Während die AfD die frühe soziale Selektion durch das gegliederte Schulsystem unterstützt, soll es allerdings keine objektiven Kriterien für den Schulübergang der Kinder geben, sondern die Eltern sollen entscheiden, welche Schule ihrem Kind entspricht. Da die Schulwahl der Eltern noch sozialselektiver ist als die Schulempfehlung von Lehrkräften, hat sich auch hier die AfD für das sozialselektivste System entschieden.
In „Problemschulen“ sollte das Vermitteln von „Selbstkontrolle“ und „Selbstdisziplin“ oberste Priorität haben. Die AfD vertritt hier die These der generationenübergreifenden „Kultur der Armut“ und fordert entsprechend Geldstrafen für Eltern: „Bezüglich Familien, die zum Teil über Generationen hinweg von Wohlfahrtsstaatsabhängigkeit geprägt sind und die Kinder weder durch Vorbilder noch durch elterliches Engagement zu Leistung motivieren, ist auch über finanzielle Konsequenzen bei unzureichendem elterlichem Engagement nachzudenken.“ (ebd.: 71) Der Staat solle nur intervenieren, wenn in Familien Problem mit der Disziplin der Kinder gäbe. (ebd.: 73) – im Klartext: sozialkompensatorische Maßnahmen werden als unzulässiger Eingriff in die „Subsidiarität und Eigenverantwortung“ der Familien ablehnt. Kinderkrippen bis zum dritten Lebensjahr sollen in der Regel kostenpflichtig sein, da diese keinen Bildungsauftrag verfolgten. (ebd.: 74)
Zur Hochschulpolitik schreibt die AfD, dass sie die „fortschreitende Akademisierung“ der Gesellschaft, also die relativ zur Bevölkerung steigenden Studentenzahlen, ablehnt. Die AfD tritt hier also für „Klasse statt Masse“ ein und möchte zusätzlich den Verwaltungapparat der Hochschulen „verschlanken“. (ebd.: 75). Zusätzliche Finanzierung könnten die Hochschulen durch nachlaufende Studiengebühren erhalten. (ebd.:76). Die AfD möchte durch ein entsprechendes Wettbewerbssystem zwischen den Hochschulen erreichen, dass einige wenige Hochschulen auf internationale Spitzenpositionen vorrücken. (ebd.: 78f.)
“Bildung lässt sich nicht umverteilen”
Ergänzen möchte ich diese Positionen aus der Programmkommission der AfD noch um erschreckende Aussagen von führenden Repräsentanten der AfD.
So schrieb Konrad Adam, Bundesvorstand der AfD in einem Artikelmit dem Titel „Bildung lässt sich nicht umverteilen“:
“Nachdem das katholische Landarbeitermädchen in seiner Funktion als Menetekel der Schulreformer ausgedient hatte, musste ein Nachfolger her, um die Bewegung in Trab zu halten. Der ist auch bald gefunden worden. Die Wahl fiel auf den Großstadtjugendlichen aus Hartz-IV-Milieu, männlichen Geschlechts, türkischer Herkunft und muslimischen Glaubens […] Da er sich schwertut mit dem Lernen, aber gern zusticht, wenn ihm irgendetwas nicht passt, liegt er bei den Schulabschlüssen am unteren, in der Kriminalstatistik am oberen Ende der Skala: ein ziemlich hoffnungsloser Fall, aber gerade so, als mehrfach geschädigtes Opfer der Gesellschaft, der ideale Zuwendungsempfänger für die deutsche, pädagogisch hochambitionierte Betreuungsindustrie.” (Adam 2011)
Es handelt sich hierbei um eine diskriminierende Pauschalisierung gegenüber Arbeitersöhnen mit türkisch-islamischen Hintergrund. Es wird suggeriert, sie seien bildungsunfähig, „ziemlich hoffnungslose“ Fälle, ihnen wird ein Hang zu Gewaltverbrechen unterstellt. Zugleich diffamiert Adam pauschal diejenigen Menschen im Bildungssystem, die nicht seine Meinung der „Bildungsunfähigkeit“ teilen. Diese Argumentation fand sich bereits zusammgefasst in einem Spruch, der von der offiziellen Facebook-Seite der AfD gepostet wurde und der terminologisch aus dem NPD-Umfeld kommt: „Klassische Bildung statt Multikulti-Umerziehung“.
Adam ist leider kein Einzelfall. Auch Roland Vaubel vom Wissenschaftlichen Beirat der AfD und in Rheinland-Pfalz ebenfalls Kandidat für die Bundestagswahlen spricht sich anscheinend pauschal gegen das Studium von „Bildungsaufsteigern“ aus. So in seinem Buchbeitrag Empirie versus Logik in der Wirtschaftswissenschaft:
“Dass die Ökonomen die Flucht in die Logik angetreten haben, hat jedoch einen weiteren Grund. Die vertikale Mobilität zwischen den sozialen Schichten hat im 20. Jahrhundert stark zugenommen, was zweifellos zu begrüßen ist. Der Anteil der Professoren und Studenten, die aus einfachen Verhältnissen stammen, ist heute weitaus größer als im 19. Jahrhundert. Das gilt auch für die Ökonomen. Wer in einem bildungsfernen Elternhaus aufgewachsen ist, bringt geringere sprachliche Fertigkeiten mit und ist daher im Bereich der verbalen Logik benachteiligt. Die mathematische Logik wird dagegen weniger durch das Elternhaus als durch die Schule vermittelt. Die Aufsteiger präferieren daher die mathematische Logik. Wer heute Volkswirtschaftslehre studiert, tut es nicht selten nur deshalb, weil er oder sie nicht gut Deutsch kann, sich aber ein naturwissenschaftliches Studium nicht zutraut. Da die Aufsteiger eher “linke” Positionen vertreten als die Kinder aus bügerlichem Elternhaus, würde man bei den Modellökonomen eine stärkere Linksorientierung erwarten. Für die amerikanischen Pioniere der mathematischen Modellierung (Paul A. Samuelson, Robert Solow, Kenneth Arrow) trifft dies eindeutig zu. Außerdem könnte eine Rolle spielen, dass sich der Modelllogiker weniger mit der Welt als mit seinem eigenen Gedankengebäude beschäftigt. Er nimmt die Welt weniger zur Kenntnis. Bei einem deutschen Ordoliberalen wird man nur selten logische Übungen finden.”
Hier wird wiederum mit unerträglichen und diskriminierenden Pauschalisierungen gegen Arbeiterkinder polemisiert. Entsprechend forderte das autonome Referat für studierende Arbeiterkinder im AStA der Uni Münster in einem offenen Brief den VWL-Professoren und Landessprecher der AfD-NRW um eine Stellungnahme zu den diskriminierenden, klassistischen Aussagen seiner Parteikollegen (Fikus-Referat 2013).
Literatur:
- Adam, Konrad (2011): Bildung lässt sich nicht umverteilen, in: Merkur, August 2011 http://www.eurozine.com/articles/2011-08-17-adam-de.html
- Fikus-Referat (2013): Offener Brief an Alexander Dilger, URL: http://fikus.asta.ms/offener-brief-an-alexander-dilger/
- Kemper, Andreas (2013): Rechte Euro-Rebellion. Alternative für Deutschland und Zivile Koalition e.V., Münster Link
- Pk AfD-BW (Programmkommission der Alternative für Deutschland Baden-Württemberg) (2013): Argumentationsleitfaden zur Bundestagswahl 2013. Version 1.0, Stand 15.07.2013
- Vaubel, Roland (2013): Empirie versus Logik in der Wirtschaftswissenschaft, in:Das Zeitalter von Herbert Giersch. Herausgegeben von Lars P. Feld, Karen Horn und Karl-Heinz Paqué. Tübingen 2013 http://blogs.faz.net/fazit/2013/04/02/ruinieren-die-bildungsfernen-die-okonomische-wissenschaft-1361/