In Honduras entstehen mit Unterstützung verschiedener Universitäten seit 2020 totalkapitalistische Privatstädte. Eine Privatstadt untersteht einem Privatunternehmen, dem die Staatsgewalt (Gesetze, Gerichtsbarkeit, Polizei… ) weitgehend oder ganz übereignet wurde – Demokratie und Sozialstaatlichkeit sind dort abgeschafft. Unmittelbar nach dem Putsch im Jahr 2009 wurden die Weichen für die Übertragung lokaler Staatsgewalt an Privatunternehmen gestellt. Nach ersten Anlaufschwierigkeiten werden jetzt Planungen für sechs Privatstädte umgesetzt. Auch Deutsche sind wesentlich involviert. Die vorliegenden Untersuchungen verstehe ich als Fortsetzung meiner Analysen zur demokratiefeindlich-totalkapitalistische Ideologie im Degussa Goldhandel-Umfeld.
Inhalt:
- Phase I: RED
- Vorgeschichte bis zum Putsch von 2009
- Paul Romer, Universidad Francisco Marroquín, Seasteading Institute
- Konkretisierung und Showdown 2012
- Phase II: ZEDE
- Orquidea
- Próspera
- La Ceiba Hafen
- Ciudad Morazan
- Mariposa
- Guanaja Hills
Phase I: RED
Der Beitrag zu den privaten Unternehmerstädten besteht aus zwei Artikeln. In diesem ersten Artikel werden Fakten zum gescheiterten Versuch zusammengetragen, innerhalb von drei Jahren nach dem Putsch von 2009 Privatstädte zu errichten.
Vorgeschichte bis zum Putsch von 2009
Der Versuch, die lokale Staatsgewalt in Honduras an privatisierte Unternehmerstädte abzugeben, ist eng verbunden mit der amtierenden (Stand August 2021) rechtsgerichteten Partido Nacional de Honduras (PNH). Bereits unter der Regierung von Ricardo Rodolfo Maduro Joest (2002-2006) wurde Kontakt mit Privatstadt-Ideologen aufgenommen. Aber erst nach dem Putsch gegen den Regierungschef der liberalen Partei, José Manuel Zelaya Rosales, im Jahre 2009 wurde die Privatstadt-Idee konkret. Unter Präsident Porfirio Lobo Sosa (PNH) sollten drei Zonen für Privatstädte (RED) entstehen, aber erst mit dem ausgefeilterem Konzept (ZEDE) mit einem Aufsichtsrat (CAMP), dem auch der ehemalige Präsident Maduro angehört, werden unter Juan Orlando Hernández (PNH) die Privatstädte Realität.
Dass eine rechtsgerichtete Partei wie die PNH massiv totalkapitalistische Projekte vorantreibt, ist nicht ungewöhnlich. Hier kann man auf den Putsch in Chile durch Pinochet und seine Zusammenarbeit mit Milton Friedman verweisen. Aber es gibt hinsichtlich der totalkapitalistischen Ambitionen in Honduras auch Bezüge zur deutschen Rechten: Der Putsch von 2009 wurde vom damaligen Repräsentanten der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Honduras, Christian Lüth, verteidigt. Lüth erhielt Rückendeckung durch den Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung, Wolfgang Gerhardt.1 Lüth wechselte später von der FDP in die AfD und wurde dort Pressesprecher der Partei, bis er sich mehrfach als “Faschisten” bezeichnete und damit selbst für die AfD nicht mehr tragbar war.2 Diese Überschneidungen von Wirtschaftsliberalismus und Nationalkonservatismus oder Faschismus sind nicht ungewöhnlich. Auch die AfD, die zunehmend durch den faschistischen Flügel dominiert wird, forderte Anfang des Jahres 2021 im deutschen Bundestag die Umstellung der Entwicklungspolitik in Richtung “Charter Cities”.3

Zum Verständnis der aktuellen Privatstädte, auf die später eingegangen wird, soll zunächst die Vorgeschichte genauer angeschaut werden. Octavio Rubén Sánchez Barrientos war Mitte der Nuller Jahre als Berater des Honduranischen Präsidenten Maduro an der Privatisierung der Telekommunikation beteiligt.4 2002 kontaktierte Sánchez den US-amerikanischen Berater Mark Klugmann, um dessen Idee, der erweiterten Sonderzonen (“LEAP-Zonen”5 (LEAP: Legal, Economic, Administrative, Political)) zu konkretisieren. Diese Gebiete sollen nicht mehr nur ökonomisch (niedrige oder keine Steuer, Zollfreiheit, flexible Arbeitsregeln, geringe Regulierung, uneingeschränkte Innovation) Sonderzonen sein, sondern auch rechtlich (z.B. eigenes Schiedsverfahren, Vertragsdurchsetzung, Verteidigung von Eigentumsrechten.), administrativ (private Regierung, wettbewerbsorientiertes Denken) und politisch (u.a. eigene Prinzipien, eingeschränkte Regierung, politische Autonomie).6 2006 schied jedoch Madura aus dem Präsidentenamt aus und seine nationalistische Partei PNH verlor die Wahlen gegen die liberale Partei. Die Umsetzung dieser extrem radikalisierten Form von “Sonderentwicklungszonen” musste also warten. Tatsächlich sollten aber zehn Jahre später Maduro und Sánchez im Aufsichtsgremium für die Schaffung dieser Zonen sitzen.
Paul Romer, Universidad Francisco Marroquín, Seasteading Institute
2009 putschte das Militär gegen den linksliberalen Präsidenten7 und Sánchez nahm sofort mit US-Amerikaner Paul Romer Kontakt auf4, der für die Einführung von “Charter Cities” warb8. 2010 wurde eine Präsidialkommission zur Förderung von Public-Private-Partnerships eingerichtet9 und bereits im März 2011 billigte das Parlament einen Entwurf für Sonderentwicklungsbezirke (RED) in Honduras 4, der weitgehend auf die Idee von Romers “Charter Cities” zurückging. Im April 2011 führte die neoliberal-“libertär” ausgerichtete Universidad Francisco Marroquín10 des Nachbarstaats Guatemala zusammen mit dem Seasteading Institute11 auf der honduranischen Insel Roatán die Konferenz The Future of Free Cities durch.12. Neben Patri Friedman (Enkel des an der Entwicklung des neoliberalen Wirtschaftssystem in Chile unter Pinochet beteiligten Milton Friedman)13 nahm Michael Strong als Referent teil14.
Strong etablierte im September 2011 an der Universidad Francisco Marroquín das Free Cities Institute15 und bezog sich im Blog-Beitrag zur Gründung direkt auf das Honduranische RED-Projekt16. Ein Jahr später unterschrieb Michael Strong als CEO der von ihm aus dem Boden gestampften MGK Group mit der honduranischen Regierung die Absichtserklärung 15 Millionen Dollar in die Infrastruktur für die ersten Privatstädte im Rahmen der RED zu investieren.17

Konkretisierung und Showdown 2012
Paul Romer distanzierte sich jedoch mit deutlichen Worten von dem nun konkret gewordenem Projekt, da die Transparenz-Kommission, der er vorsaß, übergangen wurde. 8 Das RED-Gesetz und die beabsichtigte Umsetzung wurde zunehmend kritisiert. Anwälte zeigten die Regierung wegen “Hochverrat” an. Am 11. September 2012 wurde der honduranischer Anwalt Antonio Trejo Cabrera mit den Worten zitiert, dass der Hochverrat der Regierung dazu führen solle, dass alle am RED-Gesetz Beteiligten von den nächsten Wahlen ausgeschlossen werden.18 Am 22. September 2012 wurde Antonio Trejo erschossen, das Motiv konnte nicht geklärt werden.19
Im September 2012 wurde die konkrete Ausgestaltung der Sonderentwicklungsbezirke vorgelegt. 13 der 15 Magistrate lehnten das Gesetz ab und auch vier von fünf Richter*innen des Obersten Gerichtshofes.20
Diese Richter*innen wurden am 12. Dezember 2012 entlassen und deren Ablehnung des RED-Gesetzes durch das Oberste Gericht für nichtig erklärt.21
Dennoch scheint die deutliche Ablehnung der Privatstädte durch Magistrate und Oberstem Gerichtshof den Totalkapitalist*innen den Wind aus den Segeln genommen zu haben. Die MGK Group kündigte am 1. November ihre Auflösung an.22 Die Privatstädte wurden – vorerst – nicht verwirklicht.
Im demnächst erscheinenden zweiten Beitrag wird auf die Entwicklung der ZEDE, die Entstehungsprozesse der aktuell sechs Privatstadtprojekte und den momentanen Stand eingegangen werden.
Einzelnachweise
- Philipp Lichterbeck: Staatsstreich. Friedrich-Naumann-Stiftung rechtfertigt Putsch in Honduras, in: Tagesspiegel vom 14.08. 2009, Link[↩]
- Christian Fuchs/ Jan Aleksander Karon: Christian Lüth. AfD trennt sich von Fraktionssprecher wegen Faschismusvorwürfen, in: ZEIT-Online vom 26.04.2020 Link; Christian Fuchs: Christian Lüth. “Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD”, in: ZEIT-Online vom 28.09.2020 Link[↩]
- Deutscher Bundestag: Keine Mehrheit für “Charter Cities”, Internetpräsenz des Deutschen Bundestages/ Kurzmeldungen 09.06.2021 Link[↩]
- Tim Fernholz: Behind the race to build utopian city-states in the Honduran jungle, in: Quartz vom 10.10.2012, Link[↩][↩][↩]
- Brian Doherty: The Blank Slate State. Will an isolated corner of Honduras become the new birthplace of liberty?, in: reasons. free minds and free markets von Juni 2013, Link[↩]
- siehe auch: Francisco Litvay: Freie Privatstädte als vollständige LEAP-Zonen, in: Free Private Cities vom 5.10.2019, Link[↩]
- Toni Keppeler: Gründe für den Putsch in Honduras. Das Establishment schlägt zurück, in: taz vom 30.06.2009, Link[↩]
- Thorsten Schröder: Charter City. “Eine Stadt als Start-up”, Interview mit Paul Romer, in ZEIT-online vom 05.06.2012, Link[↩][↩]
- Die Comisión para la Promoción de la Alianza Público-Privada (COALIANZA) (dt. Kommission zur Förderung von Private-Public-Partnerships), wurde 2010 als dezentralisierte Agentur des Präsidialamtes mit eigenem Rechtsstatus und Vermögen eingerichtet und ist für die Verwaltung der öffentlich-privaten Beteiligung an öffentlichen Bau- und Dienstleistungsprojekten zuständig. Siehe auch: The World Bank: PPP Unit Honduras, 21.06.2021 Link; Instituto de Acceso a la Información Pública: Comisión para la Promoción de la Alianza Público-Privada (COALIANZA) Link[↩]
- Die Universidad Francisco Marroquín wurde 1972 vom Unternehmer Manuel Francisco Ayau Cordon gegründet, der in der Ideologie von Ayn Rand, Ludwig Mises und Friedrich August Hayek stand; siehe auch: Marla Dickerson: Leftist thinking left off the syllabus, in: Los Angeles Times vom 06.06.2008, Link[↩]
- The Seasteading Institute wurde 2007 von Patri Friedman gegründet und von Peter Thiel (Investor bei Facebook und Paypal) finanziertes Projekt, welches totalkapitalistische Stadtrojekte auf der See gründen sollte; siehe auch: Universidad Francisco Marroquín: The Seasteading Institute, Internetpräsenz “The Future of Free Cities” (Link vom 15.03.2012[↩]
- Universidad Francisco Marroquín: Internetpräsenz “The Future of Free Cities” (Link vom 20.01.2012[↩]
- Axel Berger: Das Desaster von Chile, in: Oxi-Blog vom 11.09.2018, Link[↩]
- Universidad Francisco Marroquín: Internetpräsenz “The Future of Free Cities”: Presenters Link vom 15.März 2012[↩]
- Internepräsenz des Free Cities Institute: About, Link[↩]
- Michael Strong: From a Conversation with Laura Esposito at the Center for Global Prosperity, Internetpräsenz des Free Cities Institute vom 27.11.2011, Link[↩]
- Am 3. September 2012 unterschrieb die Honduranische Regierung eine „Absichtserklärung“ (vgl. Yesille Ponce: “En Honduras haremos nuestra primera Ciudad Modelo”, in: LaPrensa vom 17.09.2012 Link) mit dem “Konsortium” MKG Group von Michael Strong in einem Umfang von 15 Millionen Dollar für eines drei geplanten Privatstädte; Alberto Arce: Honduras sets stage for 3 privately run cities, in: Associated Press vom 05. 09. 2012 Link; Kirstin Büttner: Die Zone in Honduras, in: Lateinamerika Nachrichten Nr. 461 vom November 2012 Link[↩]
- Das Internetportal Revistato zitiert Antonio Trejo: “‘Und wenn das Gesetz hier angewandt wird, sollte die Staatsanwaltschaft sofort beantragen, dass Juan Orlando Hernández zu einem normalen Bürger erklärt wird, damit er sich vor der Staatsanwaltschaft für seine Taten verantworten kann‘, sagte er. Ihm zufolge könnte das Gesetz Hernández und die übrigen Abgeordneten von der Teilnahme an den diesjährigen Vorwahlen ausschließen.” siehe: Revistato: Por traición a la patria denuncian a diputados, in: Revistato, Internetpräsenz vom 11.09.2012, Link[↩]
- Human Rights Watch: Honduras: Investigate Murder of Rights Lawyer. Killers of Antonio Trejo Should Be Brought to Justice, in: Internetpräsenz von Human Rights Watch vom 24.12.2012 Link[↩]
- Redaktion LaPrensa: Por estas leyes distituyeron a Magistrados en Honduras, in: LaPrensa vom 14.12.2012 Link[↩]
- Redaktion LaPrensa: Honduras: Magistrados destituidos califican de ilegal acto de diputados, in LaPrensa vom 12.12.2012 Link; Redkation LaPrensa: Exmagistrados volverán a sus puestos, in: LaPrensa vom 23.12.2012 Link[↩]
- Im Blog der Internetpräsenz der MGK Group heißt es am 1. November 2012: „Grupo MGK war ein Konsortium, das speziell zur Entwicklung einer honduranischen Sonderentwicklungsregion (SDR) gegründet wurde. Angesichts der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Honduras, der die SDR-Gesetzgebung für ungültig erklärte, hat MGK seine Tätigkeit eingestellt.“ Groupo MGK: Blobeitrag vom 01.11.2012 Link[↩]
fnord
Zwei Tippfehler:
Guatemalta -> Guatemala
Madura -> Maduro