Diskriminierung an Hochschulen

Diskriminierung an Hochschulen …
… zurecht werden die meisten an soziale Benachteiligung denken, an Arbeiterkinder, die sich die Studiengebühren nicht leisten können, an Nicht-Akademikerkinder, denen nicht vermittelt wird, dass sie stipendienberechtigt sind, an Studierende, die motiviert sind, sich aber vom Uni-Bluff abschrecken lassen, an Professoren, die ihre Hiwi-Stellen eher an Akademikerkinder vergeben als an Nicht-Akademikerkinder, man assoziiert vielleicht Studierende, die für ihren Lebensunterhalt nebenher jobben müssen, während andere von ihren Eltern Auslandsaufenthalte gesponsert bekommen, vielleicht kennt man noch Fälle, wo der eine Uni-Absolvent direkt in die Praxis seines Vaters einsteigen konnte, während der andere erstmal Schulden abbauen muss oder erinnert man sich eher an abwertende Sprüche gegenüber studierenden Arbeiterkindern, deren informationstechnologische Ausstattung mitunter ebenso armselig ist wie ihre Reiseerfahrung?

Dies alles wird nicht untersucht, wenn die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu „Diskriminierung an Hochschulen“ forschen lässt.

Die Antidiskriminierunsstelle des Bundes lässt forschen
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist vor weniger Jahren im Zusammenhang mit der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gegründet worden. Zu einer Aufgabe der ADS zählt die Vergabe von Forschungsaufträgen zu Diskriminierungsfragen. Die ADS verfolgt dabei einen horizontalen Ansatz, was bedeutet, dass keine Diskriminierung als besonders wichtig hervorgehoben, sondern im Gegenteil die gegenseitige Überschneidung der verschiedenen Diskriminierungen Beachtung finden soll. Dem eigenen Anspruch nach soll also eine Diskriminierungshierarchie verhindert werden. Der Anspruch kann jedoch nicht verwirklicht werden, da die ADS nicht offen forscht, sondern sich auf die sechs im AGG genannten Diskriminierungsgründe beschränkt. In einem vorangegangenem Artikel (Das AGG klassenspezifisch ergänzen) bin ich ausführlicher darauf eingegangen.

Diese vorgegebene Beschränkung führte im letzten Jahr zu einer Studie, die im Ergebnis absurd ist. Geforscht werden sollte über „Diskriminierung im Alltag“. Heraus kam zunächst, dass mit sehr großem Abstand vor allem klassenspezifische Benachteiligungen als Diskriminierungen wahrgenommen werden:

Frage: Welche Gruppen gelten als benachteiligt?
Antwort: In allererster Linie die sozial Schwachen.
(ADS: Diskriminierung im Alltag, 2009, S. 92)

Da aber klassenspezifische Benachteiligungen (Arbeitslosen- und Obdachlosendiskriminierung, Benachteiligung aufgrund von sozialer Herkunft oder Vermögen) nicht zu den Diskriminierungen zählen, die vom AGG verhindert werden sollen, untersuchte die Studie dieses Phänomen nicht weiter. Stattdessen widmete sich die Studie in aller Ausführlichkeit ausschließlich den als weniger wichtig wahrgenommenen Diskriminierungsformen. Eine Studie in Irland kam aufgrund der beschränkten Forschungsfrage zu entsprechend schrägen Ergebnissen und empfahl der Regierung dringend, Arbeitslosigkeit als zu verbietenden Diskriminierungsgrund in das Antidiskriminierungsgesetz aufnehmen zu lassen. Eine entsprechende Empfehlung auszusprechen, traute sich von den Verantwortlichen der Studie in Deutschland wohl niemand.

Ein ähnliches Desaster droht nun dem neuen Forschungsprojekt „Diskriminierung an Hochschulen“.

Falsche Forschungsfragen
Ein auf zwei Jahre angelegtes Forschungsprojekt soll nun „Diskriminierung an Hochschulen“ durchleuchten. Mir wurde mitgeteilt, dass verschiedene Forschungsergebnisse nahelegten, dass Soziale Herkunft ein Diskriminierungsgrund an Hochschulen sein könne. Daher würde auch Soziale Herkunft bei der Frage von Kummulation von Diskriminierungen (bspw. Diskriminierung nach Geschlecht und sozialer Herkunft) Eingang in die Forschung finden. Nicht jedoch als eigenständiger Diskriminierungsgrund. Hier sei die ADS dem AGG verpflichtet und dürfe nur über Diskriminierungen forschen lassen, die vom AGG als Diskriminierungen anerkannt sind.

Karsten König und der bekannte Ungleichheitsforscher Reinhard Kreckel hatten vor wenigen Jahren bereits auf die Schräglage bei Zielvereinbarungen der Hochschulen aufmerksam gemacht, wonach es relativ viele geschlechtsbezogene, einige wenige migrationsbezogene und überhaupt keine auf die soziale Herkunft bezogene antidiskriminierende Hochschulvereinbarungen gebe und dass hier dringendender Handlungsbedarf bestehe (Karsten König/Reinahrd Kreckel: „Bevorzugte Geschlechtergerechtigkeit. Zur ungleichheitspolitischen Bedeutung von Zielvereinbarungen zwischen Landesregierungen und Hochschulen“, 2003). Eine offene Forschung zu „Diskriminierung an Hochschulen“ würde diesen Handlungsbedarf wahrscheinlich erhärten. Eine Forschung, die keinen eigenständigen Diskriminierungsgrund „Soziale Herkunft“ kennen darf, kann natürlich im Ergebnis auch nicht Rahmenvereinbarungen zwischen Land und Hochschulen empfehlen, die Diskriminierungen aufgrund von Sozialer Herkunft abbauen und verhindern sollen.

ADS und AGG müssen reformiert werden
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes muss dringend reformiert werden. Sie muss offener gestaltet werden. Wenn man sich heute an die ADS wenden möchte und Fragen oder Beratungsbedarf hat, so muss man zunächst auf einem Internetformular ankreuzen, um welchen der sechs Diskriminierungsfälle es sich handelt – erst danach wird man weitergeleitet. Das ist typisch deutsche Bürokratie und kann nicht funktionieren. Diskriminierungen beschränken sich nicht auf sechs Typen, nur weil ein Gesetz nicht mehr als diese sechs anerkennen will. Gerade dann, wenn man einen horizontalen Ansatz verfolgt, ist es wichtig, offen mit Diskriminierungen umzugehen. In gleicher Weise gilt dies auch für Forschungsfragen. Was fängt die ADS mit ihrer Studie „Diskriminierung im Alltag“ nun an, in der sie schwarz auf weiß bestätigt bekommen haben, dass sie relevante Diskriminierungsformen ignorieren? Nichts. Sie lässt sie in die Schublade verschwinden. Ähnliches droht der Studie „Diskriminierung an Hochschulen“ – zumal gerade der Bildungssektor ein Feld ist, wo soziale Herkunft extrem wichtig ist.
Schließlich sollte die ADS in der Form aufgewertet werden, dass sie unabhängig von der Bundesregierung diese kritisieren und Vorschläge einbringen kann. Wenn die Studie „Diskriminierung im Alltag“ feststellt, dass klassenspezifische Benachteiligungen als Diskriminierungen wahrgenommen werden, dann sollte die ADS als Auftraggeberin dieser Studie in der Konsequenz dem Parlament empfehlen, das AGG um diese klassenspezifische Benachteiligungen zu erweitern.
Das AGG, welches in anderen Ländern richtiger Anti-Diskriminierungs-Gesetz heißt, wurde Deutschland von der EU mehr oder weniger aufgezwungen. Dass die deutsche Regierung hier nicht der Vorreiter für eine Erweiterung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien sein wird, zeigt sich auch daran, dass ein CSUler die Front gegen die letzte Erweiterung anführte. Die Antidiskriminierungsrichtlinien um Vermögen und Soziale Herkunft zu erweitern ist durchaus im Gespräch, da die EU-Charta weiter als die Antidiskriminierungsrichtlinien gefasst sind. Auch war Soziale Herkunft ursprünglich als Diskriminierungsform im Katalog enthalten, wurde aber kurz vor der Verabschiedung der Antidiskriminierungsrichtlinien als einziger Punkt fallen gelassen und nicht wieder aufgenommen worden, da es schlicht an einer Lobby für Arbeiterkinder fehlte. Ein Mitglied von Groen-Links bestätigte mir, dass vor elf Jahren in Amsterdam niemand die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft in die Diskussion einbrachte und dass daher die Antidiskriminierungsrichtlinien ohne diesen Punkt verabschiedet wurden. Das war kurz vor PISA.

Was tun?

Die Entstehung der Antidiskriminierungsrichtlinien im europäischen Kontext hat gezeigt, wie wichtig „Lobby-Arbeit“ der von Diskriminierung betroffenen Gruppen ist. Bislang gibt es nur marginale Zusammenschlüsse von studierenden Arbeiterkindern.
König und Kreckel verwiesen in ihrem Buchaufsatz zur ungleichheitheitspolitischen Bedeutung von Zielvereinbarungen zwischen Land und Hochschulen („Die vereinbarte Abdankung“, Insitutuionalisierte Ungleichheiten, S. 148) auf unser „Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende“ in Münster. Allerdings haben sie Recht damit, dass ein Referat in einem AStA noch keine schlagkräftige Organisation ist. Diese fehlt bislang. Die Organisation „Arbeiterkind.de“ wäre groß genug, um in den Medien gehört zu werden. Aber die OrganisatorInnen von Arbeiterkind.de weigern sich, politisch und inhaltlich für Arbeiterkinder Partei zu ergreifen. Sie wollen nur caritativ tätig werden, was auch nicht schlecht ist, aber natürlich die Diskriminierung nicht abschafft.

Nachtrag
Ein Forschungsprojekt der FU-Berlin (Institut für Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung) zum Thema
Realtität der Diskriminierung in Deutschland – Vermutung und Fakten operiert ebenfalls auf Grundlage des AGG, statt sich ohne diesen Bias offen dem Thema zu nähern. Sowohl in der Einleitung als auch in den Antwortmöglichkeiten einer Online-Befragung werden die vom AGG geschützten Diskriminierungsformen bevorzugt behandelt. Es sieht so aus, als hätten diese vorgegebenen Diskriminierungsformen einen Pretest ersetzt. Das kann man machen – nur dann bekommt man eben nicht die „Realtität der Diskriminierung in Deutschland“ heraus, sondern die „Realität der Diskriminierung der nach dem AGG geschützten Diskriminierungsformen“.

4 Kommentare

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  1. Sie setzen sich dafür ein, dass Arbeiterkinder studieren können, aber nur durch individuelle Hilfe. Doch auch die 1.300 Mentoren und Mentorinnen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Schließlich geht es um über eine Millionen Nicht-Akademikerkinder, die an einem Studium unnötig gehindert werden.

  2. Anonym

    Hallo Andreas,

    wieder mal ein spannender Artikel. Werde ihn weiterleiten.

    Schöne Grüße
    O.G.

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