Wikipedia und Flattr

· Allgemein, Artikel (Netzpolitik)

Das Social-Payment-System Flattr hat in einem aktuellen Blogbeitrag darauf aufmerksam gemacht, dass von der Flattr-Community vor allem Flattr-Button für Wikipedia gewünscht werden. In dem Beitrag Wikipedia + Flattr = what our users are asking for werden Statements dokumentiert, die Flattr-Button unter jedem Wikipedia-Artikel wünschen, um so für Wikipedia spenden zu können.

Ich hatte bereits im August 2010 eine Umfrage im deutschsprachigen Wikipedia gestartet, ob Flattr für Wikipedia genutzt werden sollte. Flattr für Wikipedia-Arbeit. Das Ergebnis sah folgendermaßen aus:

– Sollte es in Wikipedia ermöglicht werden, dass Wikipedia-Autoren und -Autorinnen freiwillig auf ihren Benutzerseiten sichere Flattr-Button einfügen können, um so der Flattr-Community zu ermöglichen, sie für ihre Arbeit direkt wertzuschätzen?

  • Ja: 11
  • Nein: 76
  • Enthaltungen: 17

– Soll eine Flattr Option für Wikipedia Artikel mit Empfänger Wikimedia Foundation eingerichtet werden?

  • Ja: 12
  • Nein: 38
  • Enthaltungen: 8

Damit ist klar, dass Wikipedia-Autoren und -Autorinnen lieber kein Geld über Flattr für ihre Artikel erhalten möchten und auch die Foundation soll über Flattr kein Geld zugespielt bekommen.

Ich finde das Prinzip, dass Internet-Autoren und -Autorinnen kein Geld erhalten sollen für ihre Arbeit, sehr problematisch. Bereits zuvor gab es von der VG Wort bzw. METIS, Meldesystem Texte im Internet, die deutliche Bereitschaft, Wikipedia-Artikel in das Systems aufzunehmen und Wikipedia-Autoren und -Autorinnen an der jährlichen Ausschüttung für Text im Internet zu beteiligen. Der Wikipedia-Verein hatte die Idee geprüft und verworfen. Solange wir im Kapitalismus leben und kein garantiertes Grundeinkommen besteht, ist es problematisch, Umsonstarbeit zu propagieren. Denn irgendwovon müssen die Menschen ja leben. Keine Aufwandsentschädigung zu zahlen bedeutet, dass vor allem diejenigen viel Zeit in Wikipedia investieren können, die den Rücken dafür frei haben, die in irgendeiner Weise finanziell abgesichert sind.

Noch problematischer als die Wikipedia-Autoren und -Autorinnen nicht Geld für ihre Arbeit zukommen zu lassen – wir reden hier über Cent-Beträge, also über Trinkgelder, oder Geld in der Höhe der Spende, die im Hut von Straßenmusikanten liegt – stattdessen mit den Flattr-Button den Verein oder die Foundation zu finanzieren. Die laufenden Kosten für Wikipedia sind sehr gering, da die Produzent_innen nicht bezahlt werden müssen. Wenn Wikipedia oder die Wikimedia-Foundation gefördert wird, vergrößert sie den enormen Abstand zu anderen Wissensportalen. Ich denke hier an die vielen kleinen Wikis, die keinen „neutralen Standpunkt“ haben. Es gilt, die kleinen Wikis, die den Anspruch der Aufklärung im Sinne der Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts verfolgen, zu unterstützen, damit Wikipedia eine ernsthafte Konkurrenz erhält. Solange Wikipedia nicht um ihre Autor_innen kämpfen muss, solange das Prinzip vorherrscht, dass diese austauschbar sind, wird der Wert ihrer Arbeit nicht sichtbar.

Ich hatte, als klar wurde, dass in Wikipedia Flattr-Buttons nicht erwünscht sind, einen eigenen Blog gegründet, wo extern Wikipedia-Artikel geflattert werden können. Das Prinzip ist recht einfach: auf dieser Plattform werden Wikipedia-Artikel von ihren Autor_innen vorgestellt und können dann geflattert werden. Aber auch hier warte ich noch auf die entsprechende Resonanz.

Da die mangelnde Anerkennung der Wikipedia-Autor_innen ein generelles Problem ist (neben der nicht vorhandenen finanziellen Anerkennung fehlt es auch an Rechtsschutz und an der Nennung der Hauptautor_innen), bietet sich an, neben Wikipedia ein stärker autor_innen-gerechtes Wiki aufzubauen. Mit dem Sozialen Wiki habe ich hier einen entsprechenden Versuch gestartet: http://sozialeswiki.de Das Soziale Wiki geht zudem von einem sozialen statt von einem neutralen Standpunkt aus. Es können auch mehrere Artikel zu einem Thema geschrieben werden. Mit der Wissensplattform Soziales Wiki soll die Welt nicht abgebildet, sondern fortgebildet werden. Dafür bietet sich das Projekt der Assoziation vieler kleinerer Wikis mit ähnlichen Konzepten an.

Ich bin gespannt, wie die Internet-Community auf den Flattr-Vorstoß reagieren wird. Momentan wird kräftig für den Twitter-Account Wikipedias geflattert – dieser wurde bislang noch nicht abgehoben.

4 Kommentare

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  1. Superbass

    Flattr ist ein Unternehmen, das über die Nutzung solcher Buttons Umsätze generiert. Die Verbreitung und aktive Nutzung des Systems ist außerhalb der Szene von Bloggerin und Netzaffiniados, sagen wir, überschaubar.

    Die millionenstarke Leserschaft der Wikipedia durfte bislang nur zu einem geringsten Teil. Kunde bei Flattr sein, geschweige denn, überhaupt von dem System gehört haben.

    Wäre ich Flattr (oder einer der Mitnewerber), ich würde auch dafür bloggen, auf jedem Wikipediaartikel mein Knöpfchen zu platzieren.

  2. Andreas Kemper

    Hallo Superbass,

    jetzt hast du als langjähriger Wikipedia-Admin treffend die Interessenslage von Flattr beschrieben, aber zu Wikipedia geschwiegen.

    Der Wikimedia-Verein ist nicht so zimperlich, wenn es um die Zusammenarbeit mit größeren Unternehmen als Flattr geht. Da wäre der Spiegel/Bertelsmann-Deal zu nennen, ein geheim eingefädeltes Projekt, von dem die Wikipedia-Community erst nach der Realisierung erfuhr. Für eine Spende, deren Höhe noch immer nicht bekannt ist, wurde dem Spiegel ein Livefeed-Zugriff auf Wikipedia erlaubt. Spiegel-Wissen bewarb dann seine Seite mit dem Slogan „Spiegel-Wissen, mehr als Wikipedia“. Ein Jahr darauf kam es zu einem weiteren Deal mit Bertelsmann, dem berüchtigten Bertelsmann-Wikipedia-Lexikon. Die Einnahmen gingen vorrangig in die Tasche von Bertelsmann, ein Euro pro Buch gingen an den Verein, die Autor_innen gingen leer aus und wurden nicht zuordnenbar am Schluss des Lexikons in einer Schriftgröße alphabetisch aufgelistet, die ich nicht lesen konnte.

    Die Zusammenarbeit mit METIS hingegen, die den Autor_innen insgesamt einen wahrscheinlich siebenstelligen Euro-Betrag gebracht hätte, wurde nicht weiter verfolgt. Es gab ein großes Interesse von VG-Wort, die Wikipedia-Autor_innen an der jährlichen Ausschüttung zu beteiligen. Und METIS/ VG-Wort ist im Gegensatz zu Bertelsmann kein Medienkonzern, sondern eine staatliche Einrichtung, die Autor_innen das Überleben in der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft erleichtern soll.

    Flattr ist natürlich auch ein Geschäftsmodell und natürlich haben die Leute von Flattr ein Interesse daran, dass der Laden expandiert. Schaust du dir aber an, welches die Lieblingsseiten der Flattr-Community, also der Menschen, die flattern wollen, ist, dann wirst du sehen, dass Wikipeida mit einem großen Abstand auf Platz 1 steht.

    Die Wikipedia-Communty hätte übrigens das Potential, ein eigenes wikipedia-internes Social-Payment-System zu entwickeln. Mit einem Klick auf der Artikelseite ließe sich dann ein Fenster mit den Hauptautor_innen öffnen und der/die Anwender_in könnte beispielsweise mit Schiebereglern selber bestimmen, wieviel Geld dem Verein, der Foundation oder den Autor_innen gespendet werden soll.

    Daher halte ich das Argument, Flattr sei ein Unternemen mit eigenen Interessen, nicht für besonders stichhaltig. Es geht eher um die Frage, ob Wikipedia-Autor_innen finanzielle Anerkennung erhalten sollen oder nicht.

  3. Superbass

    Hallo Andreas Kemper,

    trotz aller z.T. in der Community umstrittenen Kooperationen mit Unternehmen blieb die Website wikimedia.org und blieb insbesondere jeder einzelne Artikel bislang frei von Buttons, Likes, +1 und ähnlichen Instrumenten externer Unternehmen, die persönliche Daten abgreifen und sicher gern auch auf den Artikelseiten Geld verdienen würden. Und das sollte auch so bleiben, meine ich, ganz unabhängig von der Frage, ob Autoren entlohnbar sein sollten. Klar geht das, vielleicht mit einem eigenen System, vielleicht auf Basis von Bitcoin.

    Du hast das hier aber im Zusammenhang mit Flattr präsentiert und machst Dich für dieses System stark, daher bin ich speziell darauf eingegangen.

  4. Andreas Kemper

    Hi Superbass

    Ich bin natürlich auch dagegen, dass Dritte mit Wikipedia Geld verdienen. Leider gehörte vom Anfang an zum zentralen Konzept Wikipedias: alle dürfen mit Wikipedia-Content Geld verdienen, nur die Produzent_innen der Artikel nicht. Die Lizenz ist ausdrücklich so gehalten, dass mit Wikipedia-Kopien Geld verdient werden kann.

    Solange wir in einem harten Kapitalismus leben, der eine Grundsicherung ablehnt, sollte doch gelten, das Leistung mit Geld vergütet wird. Für eine wachsende Zahl Menschen sind bereits Cent-Beträge spürbare Verbesserungen ihrer Lebensqualität. Mir sind die 90% für die Autor_innen wichtiger als die 10% für Flattr, vielleicht ließe sich Flattr sogar auf 1% runterhandeln. Ein eigenes System wäre natürlich noch sinnvoller, aber das wäre eben auch noch unrealistischer.

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