Noch einmal kurz zum Oben-Unten-Denkschema

· Artikel (Klassismus)

Sanczny kritisierte im Blogbeitrag Nett ist nicht genug, dass ich Klasse „als horizontale Ungleichheit“ betrachte:

„Dass Klasse vertikale Ungleichheit ist, darin ist sich die Soziologie weitgehend einig. Bis auf Andreas Kemper. Laut Kemper/Weinbach (S. 26ff.) ist Klasse horizontale Ungleichheit. Soziale Stratifikation und gesellschaftliche Hierarchien gibt’s dann halt mal eben nicht, was soll’s? Nach Kempers Verständnis gibt es folgerichtig auch keine hohen und niedrigen Zahlen. ‘Es ist klassistisch, von “höheren” Zahlen zu sprechen’ (Zum Klassismus mathematischer Anordnungen).“

Hier liegt ein Missverständnis vor. Ich kritisiere das Denkmuster, in dem Klasse vertikal abgebildet wird. Denn dieses Denkmuster geht mit Bewertungsmustern einher, wonach oben gut und aktiv, unten hingegen schlecht und passiv ist. Dieses Denkmuster findet sich leider auch in der modernen Soziologie.

Der Marxismus verzichtet weitgehend auf dieses vertikale Denkmuster. Der Widerspruch, den die antagonistischen Klassen beinhalten, nämlich gesellschaftliche Produktion und private Aneignung dieser gesellschaftlichen Produktion, befindet sich auf einer Ebene.  Dieser Widerspruch wird aufgehoben, im dreifachen Sinn des Wortes: bewahrt, gelöst und auf eine höhere Ebene gehoben. Marxistisch kann also nicht von „Unterklassen“ gesprochen werden. Der Begriff „Unterklasse“ kommt eher aus der Zoologie, Lombroso und so weiter, und verband sich sehr schnell mit sozialdarwinistischen Denkmustern von Höherentwicklung und Degeneration. Es ist kein Zufall, dass der sozialdemokratische Eugenik-Befürworter Gunnar Myrdal den Begriff „Unterklasse“ bzw. „Underclass“ in die us-amerikanische Soziologie einführte und dass sich in den 1980ern die Rechte dort diesen Begriff so gut aneignen konnte.

Es ist daher nicht gut, sich Klassen in Form von Pyramiden, Zwiebeln, Schichten, vorzustellen. Dies heißt nicht, dass es keine Unterdrückung gibt. Wir sollten uns Unterdrückung nur nicht vorstellen im Sinne des Nach-Unten-Drückens oder Unten-Haltens, was der Begriff nun mal suggeriert.

Das Missverständnis besteht darin, eine Kritik an Denkmustern zu verwechseln mit einer vermeintlichen Strategie, Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse durch sprachliche Interventionen aufzuheben. Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse sichern sich durch Denkmuster ab. Sie werden natürlich nicht beendet, wenn diese Denkmuster beendet werden. Es ist aber nicht hilfreich, auf eine Kritik an Denkmuster zu verzichten, nur weil dadurch nicht unmittelbar auch die Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse aufgehoben wären.

Da sich dieses Denkmuster auch in soziologischen Diagrammen darstellt, ist die Frage, ob nicht in der Mathematik selber bereits schon Anordnungen zu finden sind, die diese Denkmuster begünstigen. Und hier fällt in der Tat auf, dass Zahlen oftmals mit „höher“ und „tiefer“ in Relation gesetzt werden, nicht aber mit „länger“ und „kürzer“, dabei sind Zahlen ganz untopologisch einfach nur „größer“ oder „kleiner“.

Auch hier gilt wieder, dass a) mit der Kritik mathematischer Dispositive nicht die Klassengesellschaft aufgehoben ist, dass aber b) die Hinterfragung mathematischer Anordnungen hinsichtlich der Förderung klassistischer Denkmuster eher dem Prozess der Aufhebung der Klassengesellschaft nutzt als schadet.

Außerdem möchte ich hier versichern, dass ich mich nicht nur mit Mathematik und Klassismus auseinandersetze. Aktuell befasse ich mich neben meiner Diss auch mit dem Klassismus der neuen rechten Partei Alternative für Deutschland (siehe meine lezten Blogbeiträge). Und da gehts um knallharte Wirtschaftsinteressen der unterschiedlichen Kapitalfraktionen in Deutschland.

3 Kommentare

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  1. Mal eine Frage; Kann es nicht sein das diese Denkmuster evolutionär bedingt sind? Das der menschliche ‚Geist‘ immer etwas bewertet, kritisiert und einschätzt ganz einfach aus der Notwendigkeit heraus um zu überleben? Und das er das heute noch tut, obwohl keine akute Gefahr mehr besteht?

  2. Andreas Kemper

    Das sind zwei Fragen. Ich glaube, dass es immer Denkmuster geben wird. Aber ich möchte nicht ungeprüft davon ausgehen, dass bestimmte Denkmuster „evolutionär bedingt“ und sich der rationalen Überprüfung entziehen.

  3. 144000

    man sollte die ‚von oben nach unten‘ – anordnung der kommentare durch eine von uns selbst gewählte anordnung ersetzen, z.b. mit hilfe von pingbacks .
    wie das genau geht, habe ich aber leider immer noch nicht geschnallt .

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