Benimmkurse, Jugendarrest, Nacherziehung – AfD Sachsen

· Artikel (Bildung), Artikel (Klassismus)
Ralf Hickethier (AfD Sachsen) forderte 2006 in einem Brief (zu finden auf seiner Website) an die Landesregierung Sachsen:

„Ich begrüße die Möglichkeit, die im Sächsischen Schulgesetz geschaffen wurde, Schüler, die sich als ermahnungs- und beratungsresistent erwiesen haben, wegen sozialen Fehlverhaltens bis zu vier Wochen vom Unterricht zu suspendieren. […] Jede Schule verpflichtet solche Schüler zu straffen Trainingskursen sozialen Verhaltens in der Schule, und zwar rechtzeitig, bevor sich ihre Gemeinschaftsunfähigkeit verfestigt hat, eigene Bedürfnisse mit den Interessen der Mitmenschen in Einklang zu bringen.  […] Die suspendierten Schüler arbeiten hier an einem verlängerten Schultag zugleich konzentriert die Grundlagen des Unterrichtsstoffes ab, den sie verpasst haben. Das funktioniert nur und entwickelt sich nicht zu einem Papiertiger, der die betroffenen Kinder und Jugendlichen ein weiteres Mal in ihrer Lebenserfahrung bestärkt, dass sie nur renitent genug sein müssen, um ihren Willen durchzusetzen, wenn folgender Zusatz verbindlich mit beschlossen wird: Wer sich trotz Warnung und Abmahnung nicht ernsthaft bemüht, muss diesen Kurs in einer stationären Einrichtung wiederholen, die in jeder großen sächsischen Stadt eingerichtet wird: Je nach Bemühen zwischen zwei und acht Wochen lang. (Ich mache Ihnen gern Vorschläge, wie solche Trainingskurse aufgebaut sein könnten.) […] Die Eltern und ihre jugendlichen Kinder werden an den Kosten durch einen BAFÖG-ähnlichen Kredit und/oder durch eigene Arbeit im Rahmen des Trainings beteiligt. Endlich könnten die Jungen die Alten ernst nehmen.“

Einer anonymen Gruppe wurden anscheinend interne Positionspapiere der AfD Sachsen zugespielt, die gestern über Twitter bekannt gemacht wurden. Ob diese Texte echt sind oder Fakes oder aus dem Zusammenhang gerissen, lässt sich bisher nicht sagen. Daher ist der folgende Text, der angeblich zum Papier „AfD Sachsen – Kernforderungen der AG Familie, Bildung, Hochschule, Wissenschaft“ gehört, an dem auch Ralf Hickethier mitgearbeitet haben soll, unter dem Vorbehalt zu lesen, dass dieser Text vielleicht nur ein Fake sein könnte. Sollte sich hingegen dieser Text als echt erweisen, so wäre das sehr krass, weil auch Frauke Petry und Hochschullehrer und Schulleiter zu den Verfasser*innen gehören würden (und übrigens auch der wegen seiner behindertenfeindlichen Äußerungen bekannt gewordene Thomas Hartung).

Da der Text weitgehend mit den Forderungen von Ralf Hickethier übereinstimmt und letzterer in Leizpzig für die Afd für den Landtag kandidierte, ist es nicht unwahrscheinlich, dass dieser Text echt ist.

Hier die Textpassage:

„Schüler, die vom Unterricht suspendiert werden müssen, besuchen in dieser Zeit Kurse zur Verhaltenserziehung („Benimmkurse“). Werden diese geschwänzt, wird sofort das Kindergeld gekürzt und Jugendarrest von einem Wochenende bis maximal vier Wochen angedroht und nach einer Warnung auch tatsächlich verhängt. Im Gegensatz zur Jugendhaft führt der Arrest – ein Mittel, das es bereits gibt, das nur nicht konsequent genutzt wird -, nicht zu einem Vorbestraftsein im juristischen Sinn. Da es sich um eine erzieherische und nicht eine juristische Strafe handelt, werden die beruflichen Chancen der betroffenen Jugendlichen dadurch nicht beeinträchtigt. An der Finanzierung dieser Kurse müssen sich die Eltern beteiligen, denn schließlich ist die Unterstützung bei der notwendigen Nacherziehung sozialer Kompetenzen, die die Eltern selbst bei ihren Kindern bisher nicht ausbilden konnten, eine „Dienstleistung“ für das ganze Leben dieser jungen Menschen; sie kann daher in ihrem Wert kaum hoch genug veranschlagt werden. Arbeitslose oder Geringverdiener können sich in der Schule auf andere Weise nützlich machen. Beide Punkte sind ein Beitrag zur Neuvernetzung einer zunehmend beziehungslosen, ja atomisierten Gesellschaft.“

Das Ganze klingt zugleich nach Forderungen, die in ähnlicher Weise auch Thilo Sarrazin vertritt. Die „Benimmkurse“ und der „Jugendarrest“ sowie die angedrohte Zwangsarbeit für Arbeitslose und Geringsverdiener gehören zu einer autoritären Pädagogik, die vor einhundert Jahren mit „Korrektionsanstalten“ Jugendliche „nachkorrigieren“ wollten. Ich hatte Anfang des Jahres eine Publikation herausgegeben mit dem Titel „Sarrazins Correctnss. Ideologie und Geschichte der Menschen- und Bevölkerungskorrekturen„, wo ich diese Linie von den Korrektionsanstalten bis zum Hartz-IV-Workfare-Programm und Sarrazins Forderungen nachzeichnete. Die Erwartungshaltung von Ralf Hickethier passt nahtlos in diese Geschichte. Und der vermeintliche AfD-Text – sei er nun echt oder nicht – ebenfalls.

Es wäre schön, wenn die AfD Sachsen sich zu diesem Papier äußern würde. Hat es dieses Papier gegeben? Falls ja, ist es noch aktuell? Gehören Ralf Hickethier und weitere Mitglieder der nationalkonservativen Patriotischen Plattform der „AG Familie, Bildung, Hochschule, Wissenschaft“ an?  In ihrem Landeswahlprogramm wurde eine stärkere Disziplinierung an Schulen gefordert. Ist darunter die oben genannte Textpassage zu verstehen?
Nachtrag 03.09.2014
AfD-Pressesprecher Wiesemann bestätigte die Echtheit dieser Dokumente. Nicht alle Inhalte hätten Eingang ins Wahlprogramm gefunden.
Da jetzt die Echtheit der Dokumente bestätigt ist, kann auch dargestellt werden, wer die „Kernforderungen der AG Familie, Bildung, Hochschule, Wissenschaft“ erarbeitet hat, bzw. sich dafür verantwortlich zeichnete, nämlich:
Thomas Hartung, Ralf Hickthier, Torsten Weiss, Bodo Herold, Hans-Thomas Tillschneider, Uta Nürnberger, Frauke Petry, Hans-Gerd Hübner

7 Kommentare

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  1. Gast

    Ich dachte eigentlich nicht dass es möglich wäre, aber nach diesem Datenleck musste ich doch tatsächlich meine Einschätzung der Kompetenz der AfD nochmals nach unten korrigieren. Sind die AfD Mitglieder wirklich unfähig, Kandidaten zu googeln bevor sie sie auf Landeslisten wählen? Samtleben wurde ja noch vor der Wahl einkassiert, aber für wesentlich weniger stichhaltige Gründe.

    Auch die Analyse der Mitgliederliste wirft Fragen über die Eignung dieser Partei auf. Man fragt sich wie Verband mit 500 Leuten einen derart lauten und teuren Wahlkampf reißen konnte. Man fragt sich wie man sich bei der winzigen Frauenquote als „Volkspartei“ bezeichnen kann. Und die Analyse der Mitgliedernummern stellt die wagen Aussagen der Partei über ihre Mitgliederzahlen in Frage.

    Es ist unbekannt wieviele Mitglieder ausgetreten sind, aber (inklusive nicht-aktiver Fördermitglieder) sind weniger als 20.000 Personen registriert. Der Anteil aktiver Mitglieder des LV Sachsen am ersten, größeren Segment kontinuierlicher Nummern beträgt etwa 3%, während Sachsen etwa 5% der Einwohner Deutschlands stellt. Die Diskrepanz muss nichts heißen, aber vor dem Hintergrund des riesigen Erfolges scheint mir die geringe Rekrutierungsquote etwas verdächtig. Vielleicht werden Fördermitglieder überbewertet und Austritte unterbewertet?

  2. Agztse

    2-stellig für die AfD!!!!! Auch danke deiner Werbung, Kemper. Ehrlich, wenn du nicht immer so die Werbetrommel rühren würdest, ich wär nie auf den Gedanken gekommen AfD zu wählen. Ganz ehrlich, ich wär nie auf den Gedanken gekommen überhaupt zu wählen, so per Fernwahl und Allem. Danke nochmal!

    • Andreas Kemper

      Spätestens jetzt begreifen die Parteien, dass sie sich mit der AfD auseinandersetzen müssen. Zwar stehen bis zum Frühjahr 2016 keine größeren Wahlen an, nur Bürgerschaftswahlen in Bremen und Hamburg, und es kann gut sein, dass die AfD diese „Durststrecke“ nicht überlebt. Aber es geht hier ja nicht um eine Partei, sondern um ein privilegiertes Milieu, welches in Zeiten der Krise zur Hassbürgerlichkeit mutiert. Und diese besondere Form von Bürgerlichkeit wird sich nicht nur in Parteien ausdrücken, sie ist ein grundsätzliches Problem der kapitalistischen Vergesellschaftung, die in Zeiten der Krise privilegierte Milieus mit Deklassierung bedroht. Die Lösung bestände darin, diese Milieus zu entschärfen und zwar auf zwei Ebenen: erstens, kurzfristig die Wirkung des Hasses zu unterbinden, zweitens, mittel- und langfristig den Privilegierten alternative Lebensentwürfe zugänglich zu machen.

  3. Telipinu Hatti

    Am besten wieder Jugendwerkhöfe, wie in der DDR, oder was? Die sind völlig bekloppt!

    Die Jugendgerichte gehen immer mehr zu Arbeitsstunden über: „schwitzen statt sitzen“. Das ist aus meiner Sicht das beste Mittel, weil es gut dosiert gegeben werden kann.

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