Zur Klassismus-Debatte II

· Artikel (Klassismus)

Klassismus als gesellschaftsanalytischer Begriff

Im ersten Teil bin ich auf Klassismus als Empowerment-Begriff eingegangen. Ich habe dort vorgeschlagen, Klassismus als Ausdruck-mit-Ausrufzeichen, der also zur Benennung von klassenbezogener Diskriminierung, Gewalt, Marginalisierung dient, von Klassismus als gesellschaftsanalytischem Begriff zu trennen.

Der Begriff Klassismus geht aus von Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen und soll es ermöglichen, dass mit ihm diese Diskriminierungen benannt werden. Von diesem Standpunkt wird eine Gesellschaftsanalyse vorgenommen, in der versucht wird, Diskriminierungserfahrungen auf Herrschafts- und Machtverhältnisse zurückzuführen, die dann als klassistisch benannt werden.

Da es sich hier nur um einen Blogbeitrag handelt, werde ich die Aspekte von Klassismus als gesellschaftsanalytischen Begriff nur skizzieren.

Ich denke, dass der Klassismusbegriff zum Marxismus passt. Allerdings sollte Marx hier marxistisch gelesen werden, das heißt, es sollte berücksichtigt werden, dass Marx zu einer bestimmten Zeit geschrieben hat, in der der Kapitalismus noch nicht so weit entwickelt gewesen ist wie heute. Ich beginne diesen Artikel mit einer Anmerkung aus der Arbeit „Die Reproduktion der Arbeitskraft im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution“ von Silvia Federeci, die in einer Anmerkung festhält:

Es ist kein Zufall, dass in England bis 1870 sowohl ein neues Ehegesetz (Marriage Act) als auch ein das Recht auf allgemeine Grundschulbildung formulierendes Bildungsgesetz (Education Act) verabschiedet werden.“

Diese Änderungen im Ehe- und Bildungsgesetz haben mit der Entwicklung des Kapitalismus zu tun und mit Fragen der Reproduktion der Arbeiter_innenklasse. Und diese Veränderungen begannen, als Marx die meisten Manuskripte für die drei Bände des Kapital bereits abgeschlossen hatte. Dass Marx sich nur wenig mit Reproduktionsfragen befasst hatte, und zwar sowohl mit der Frage, wie denn die häuslichen Bedingungen zur Reproduktion der Arbeitskraft aussehen, als auch mit der Frage, was zur Reproduktion der Arbeiterklasse führt, wird damit zusammenhängen, dass diese Fragen damals weniger komplex waren.

Bei Marx selber hat es auch verschiedene Phasen und Entwicklungen gegeben, bedingt durch äußere gesellschaftliche Veränderungen. Oftmals wird die Klassentheorie von Karl Marx aus seinen Schriften vor 1848 zitiert. Tatsächlich begann Marx mit einer Untersuchung der Klassenkämpfe in Frankreich erst nach der Niederlage der Revolution von 1848. Marx sprach nicht nur von den beiden Klassen Bourgeoisie und Proletariat, nicht nur von weiteren Klassen, sondern auch von der „race“ der Fabrikarbeiter_innen und zwar immer dann, wenn es um herkunftsabhängige Klassenreproduktion ging.

Was gegenüber Marx im marxisitschen Sinne weiterentwickelt werden sollte, sind Fragen zur Reproduktion – sowohl der Arbeitskraft als auch der Klassen – und zur Ideologieproduktion. Klassismus bezieht sich auf Fragen der Klassenreproduktion. Klassismus ist die Klassenzurichtung durch Marginalisierung, Machtverhältnisse, Gewalt, Kulturimperialismus und Ausbeutung. Um mit Iris M. Young zu sprechen, hat auch Klassismus diese fünf „Gesichter“.

Zum Klassismus durch Machtverhältnisse und Kulturimperialismus würde ich Michel Foucault heranziehen. In „Wahnsinn und Gesellschaft“ und „Überwachen und Strafen“ beschreibt Foucault, wie Instituionen wirken, wie Macht eingeschrieben wird, dies ist durchaus als Ergänzung zu Marxs Sogenannte Ursprüngliche Akkumulation zu verstehen, wo er beschreibt, wie Fabrikarbeiter_innen durch Vagabundengesetze diszipliniert wurden. Es wurden nicht nur Manufakturen und Fabriken produziert, sondern mit jahrhunderte lange Gewaltausübung auch die dazu passenden Fabrikarbeiter_innen. In diesem Zusammenhang ist Edward P. Thompsons „Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse“ spannend. Wenn man die klassistischen Politiker_innen-Sprüche analysiert, wird man diese in Foucaults Biomacht-Konzept einordnen können als Forderungen nach Disziplinierung und Bevölkerungsregulation. Foucault spricht im ersten Band von Sexualität und Wahrheit seitenlang über die Konstruktion von Klassenkörpern. Hier also wäre der Begriff Klassismus angebracht, auch wenn Foucault diesen Begriff nie benutzt hat. Foucault sprach von Rassismus, allerdings in einer Weise, die ebenfalls den Begriff Klassismus erlauben würde. Auch Bourdieu benutzte den Begriff Klassismus nicht, sondern sprach ebenfalls von Rassismus im Sinne von Klassismus, nämlich von „Klassenrassismus“ und von „Rassismus der Intelligenz“. Dies zeigt, dass auch Bourdieu als jemand gelesen werden kann, der über Klassismus geschrieben hat. Das Machtungleichgewicht hat mit unterschiedlichem Zugriff auf Ressourcen zu tun, die mit Bourdieu als Kapitalsorten beschrieben werden könnten: ökonomischen, kulturelles, soziales Kapital.

Mit Kulturimperialismus ist nicht nur gemeint, dass die bürgerliche Kultur die Jugendkultur der Arbeiter_innenklasse aufnimmt und vermarktet, sondern auch, dass sich die bürgerliche Kultur als Kultur schlechthin versteht, bzw. als „bürgerliche Leitkultur“, an die sich die „unterbürgerlichen Schichten“ aufzurichten haben. Gegen diesen Kulturimperialismus wurden bereits Proletkult-Konzepte entwickelt und gerade eben ist Paul Willis „Spaß am Widerstand“ im Argument-Verlag neu aufgelegt worden. Kulturimperialismus meint darüber hinaus bürgerliche Denk- und Bewertungsschemata. Hier also wäre noch einmal Michel Foucault heranzuziehen und die Kritische Diskursanalyse. Mit Denkschemata ist gemeint, dass unsere Vorstellungen mit vorgeprägten Strukturen arbeiten. Klassistische Denkschemata wäre das Anordnen von Klassen auf einer vertikalen Achse, wobei oben gut und unten schlecht ist, und die Zuordnung von Form, Geist, Aktivität  mit der herrschenden und Materie, Masse und Passivität mit der beherrschten Klasse. Genauso wenig wie Foucault als Klassentheoretiker gelesen wurde, spielen bisher klassistische Denk- und Bewertungsschemata in der Diskursanalyse eine Rolle.

Ich möchte noch kurz auf den Gesichtspunkt Gewalt eingehen. Gewalt wird einerseits der beherrschten Klasse zugeschrieben, andererseits wird ihre Verwundbarkeit übersehen. Erst seit kurzer Zeit wird die „Nachhaltigkeit“ von Gewalt in Form von Traumata untersucht. Dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, gilt erst recht für das Erleben von Gewalt und Todesdrohungen. Paradigmatisch hat Hegel den Zusammenhang von Gewalt, Todesdrohung und Bewusstsein im „Herr und Knecht“-Kapitel in der Phänomenologie des Geistes beschrieben. Statt von der Klassen an sich, die zur Klasse für sich werden soll, in dem sie viel Marx liest, zu sprechen, wäre es sinnvoller, die Bedeutung von Gewalterfahrungen für das „Doppelte Bewusstsein“ (Du Bois) bzw. das „Zweite Bewusstsein“ (Popitz) zur Kenntnis zu nehmen. Da es sich in der Regel um kollektive Gewalterfahrungen handelt, lassen diese sich auch nur kollektiv auflösen. Also auch dieser Ganze Bereich von Gewalt mit den Zuschreibungen und intergenerationell weitergegebenen Traumata ist mit dem Begriff Klassismus beschreibbar. Gewalt ist zudem an Eigentum gekoppelt

Zum Begriff der Marginalisierung muss ich nicht viel schreiben: Gentrifizierung, Soziale Selektion im Bildungssystem, Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, Gated Cities, „Problemviertel“, Vertreibung von Obdachlosen… Das alles ist Klassismus.

Ausbeutung ist der wohl schwierigste Bereich. Denn Ausbeutung wird von vielen Marxist_innen in Opposition zum Klassismus gesetzt. Wer von Klassismus spricht, stelle Ausbeutung nicht in Frage.  Beim Ausbeutungsbegriff müsste zunächst differenziert werden zwischen Ausbeutung im Produktionsprozess (Mehrwertklau) und außerhalb des Produktionsprozessses. Außerhalb der kapitalistischen Produktion gibt es vielfach klassistische Ausbeutung. Für den Produktionsprozess selber würde ich zunächst festhalten, dass Klassismus hinsichtlich der Ausbeutung geschieht, das heißt, es gibt Klassismus, damit eine Klasse eine andere ausbeuten kann. Wobei dies nicht zu direkt gedacht werden sollte. Es gibt auch Klassismus, damit sich eine Person einer anderen überlegen fühlen kann, um aufgrund dieser Privilegierung das System zu stützen, welches Ausbeutung erlaubt. Die Ausbeutungsbedingungen im Produktionsprozess tragen allerdings ihrerseits auch zur Klassenzurichtung bei. Es gibt also eine Wechselwirkung von Klassismus und Ausbeutung. Wer den Kapitalismus abschaffen möchte, sollte an beiden Hebeln ansetzen.

Wichtig ist vielleicht noch, dass sich Klassismus, Sexismus, Rassismus und die anderen -ismen überschneiden können. Es ist nicht zielführend hier irgendeine Herrschaftsform als schlimmer oder wichtiger zu betrachten.

Diesen Text habe ich in wenigen Stunden heruntergeschrieben, da er die aktuelle Klassismus-Debatte voranbringen soll. Vielleicht sind hier einige Dinge schräg formuliert oder noch nicht genügend durchdacht. Und es fehlt so einiges.

30 Kommentare

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  1. Tom

    Marx marxistisch gelesen, heißt für dich: Weil zu Marx Zeiten der Kapitalismus noch nichts voll entwickelt war, hatte er eine revolutionäre Theorie. Da er heute voll entwickelt ist, ist eine linksliberale reformistische Theorie richtig „marxistisch“. Lustig!
    Wie wäre es, wenn du deine Antidiskriminierungstheorien ohne Rückgriff auf Theoretiker, die aus ganz anderen politischen Richtungen kommen, begründest? Das würde das ganze plausibler machen. Die Sozialdemokraten machen ja seit 150 Jahren dasselbe wie du, da findest du doch bestimmt auch schlaue Köpfe, die du zitieren kannst.

    • Andreas Kemper

      Wie kommst du darauf, dass Marx nun sozialdemokratisch gelesen werden soll? Habe ich so etwas irgendwo geschrieben oder ergibt sich das aus dem, was ich geschrieben habe? Definiere revolutionär und reformistisch.

  2. Tom

    revolutionär: Überwindung konstituierender Funktionsweisen einer Gesellschaft.
    reformistisch: Punktuelle Behebung der negativen Effekte dieser Funktionsweisen.

    An der Klassengesellschaft nicht ihre Existenz und die sie konstituierende Funktionsweise, also die Abpressung des Mehrwerts, zu kritisieren, sondern nur deren Konsequenz (dass auf die untere Klasse herabgeguckt wird, sie weniger Geld besitzt etc.) ist klassisch sozialdemokratisch bzw. liberal (Chancengleichheit etc.).
    Deshalb:
    „Ich denke, dass der Klassismusbegriff zum Marxismus passt. Allerdings sollte Marx hier marxistisch gelesen werden, das heißt, es sollte berücksichtigt werden, dass Marx zu einer bestimmten Zeit geschrieben hat, in der der Kapitalismus noch nicht so weit entwickelt gewesen ist wie heute.“
    denkst du hier falsch. Denn über Leute deiner Meinung hat Marx zeitlebens gespottet. Du teilst ja nicht einmal mit Marx den Klassenbegriff: Du vertrittst einen soziologischen Schicht- oder Milieubegriff. Im Marxismus ist das Proletariat die Klasse derer, die keine Produktionsmittel besitzen, also fast aller. Für diesen Klassenbegriff ist es vollkommen egal, ob jemand Akademiker ist oder nicht: Wenn er für Lohn arbeitet, also seine Arbeitskraft verkaufen muss, dann ist er Proletarier. Insofern sind auch die bildungsbürgerlichen Studenten fast ausnahmslos, Teil der ausgebeuteten Klasse.
    Dein ganzer Ansatz hat deshalb nichts, aber wirklich überhaupt nichts mit dem Marxismus zu tun. Was ja nicht schlimm ist, es gibt ja keinen Zwang sich auf Marx zu berufen. Wenn man es tut, sollte es aber nicht so gänzlich falsch sein.

    • Andreas Kemper

      Du irrst dich mehrfach. Zum einen finde ich den Klassenbegriff von Marx, wenn er Kapitaleigner_innen und Arbeiter_innen als antagonistische Klassen trennt, richtig. Von dieser Dynamik der Aneignung des Mehrhwerts, also der Ausbeutung des Proeltariats durch die Bourgeoisie, wird die bürgerliche Gesellschaft ebenso bestimmt wie das ökonomische System des Kapitalismus. Ich habe das im Text nirgendwo bestritten. Im Gegenteil. Was findest du falsch an den Ausführungen zum Thema Ausbeutung?

      Du irrst dich allerdings auch, wenn du meinst, der Marxismus sei auf diese beiden Klassen zu begrenzen. Das ist Marx vor 1848. Nach der gescheiterten Revolution hat Marx mit dem 18. Brumaire des Louis Napoleon und den Klassenkämpfen in Frankreich seine Klassentheorie differenziert. Diese Analysen sind allerdings fragmentarisch. Marx hat einen „soziologischen Schicht- oder Millieubegriff“, das wird dann deutlich, wenn er etwas unbeholfen von der „race der Fabrikarbeiter“ spricht. Marx hat seine Klassentheorie nicht zuende gedacht, wie sich im letzten Kapitel vom Kapital zeigt, und er konnte diese Klassentheorie nicht zuende denken, weil sich Klassenzusammensetzung, die Klassenreproduktion zu seiner Zeit massiv veränderte. Hätte Marx zwanzig Jahre länger die Tendenzen der kapitalistischen Gesellschaft analysieren können, dann wären mit Sicherheit Fragen zur Klassenreproduktion in seinen Fokus geraten. Seine Auseinandersetzungen mit Malthus deuten darauf hin, dass er sich sicherlich auch mit der erst später beginnenden Theorie zu Degeneration und Eugenik befasst hätte.

      Ich freue mich auf eine Antwort. Aber bitte gehe auf den Text ein, den ich geschrieben habe, und argumentiere nicht mit einer Denkschablone, mit der ich nichts zu tun habe.

  3. Tom

    Was soll ich dazu noch schreiben? Wer auch nur ein wenig von oder zu Marx gelesen hat, weiß um die zentrale Rolle genau diesen Klassenbegriffs bei Marx. Aus ihr speist sich sein gesamtes Denksystem. Marx und noch mehr Engels haben auch andere „Klassen“ betrachtet und das durchaus auch mit einer soziologischen Sicht. Aber diese Klassen (Subproletariat beispielsweise) sind für die marxistische Theorie nicht von Relevanz, weil sie auch für den Kapitalismus nicht von Relevanz sind.
    Du sagst, diese neue Klassentheorie manifestiere sich, wenn Marx von der “race der Fabrikarbeiter” schreibt. Du schiebst ihm hier einen Race-Begriff unter, der so überhaupt erst in der feministischen Ungleichheitsforschung der 1980er Jahre entwickelt wurde. Race heißt aber nicht nur Rasse in deinem Sinne. Human Race heißt Menschengeschlecht, Race kann aber auch im Sinne von Menschenschlag verwendet werden. In den ökonomischen Manuskripten schreibt er von der Arbeiterrace (MEW 43), anderswo von der Menschenrace. Race ist für Marx ein Begriff um eine bestimmte soziale Gruppe zu bezeichnen, ohne jegliche Erhebung dieses Begriffes zu einer Kategorie, wie du es unterstellst. Race der Fabrikarbeiter oder Arbeiterrace ist ein Synonym für Proletariat, nicht mehr und nicht weniger.

    Im Übrigen liebe ich Argumentationen von Nicht-Marxisten, die so gehen: „Das ist Marx vor 1848“ … „Diese Analysen sind allerdings fragmentarisch.“ … „Marx hat einen “soziologischen Schicht- oder Millieubegriff (soll heißen: Marx teilte meine Meinung)“ … „Marx hat seine Klassentheorie nicht zuende gedacht,“ … „Hätte Marx zwanzig Jahre länger die Tendenzen der kapitalistischen Gesellschaft analysieren können,“
    Da denke ich mir immer: Gut, dass endlich jemand gekommen, um Marx Werk von Grund auf neu zu schreiben. Kann ja nicht angehen, dass so eine dümmliche Analyse über Jahrhunderte fortlebt! Entschuldige die Ironie, aber du merkst nicht einmal, dass du auf einer gänzlich anderen Ebene, einer linksliberalen, argumentierst und meinst zu wissen, dass Marx schon deiner Meinung gewesen wäre, wenn er seine Theorie nur hätte zu Ende denken können.
    Ich beneide dich ohne jede Ironie um dein Selbstvertrauen.

    • Andreas Kemper

      Die Kontroverse, dreht sich um die Frage, warum Marx den race-Begriff eingeführt hat. Natürlich hat „race“ hier nicht viel zu tun mit dem Rassen-Begriff, wie er vom Rassismus im 19. Jahrhundert erst entwickelt worden ist. Darüber sind wir uns einig. Wir sind uns auch darüber einig, dass Race hier soviel wie „Geschlecht“ heißt, womit er allerdings auf Abstammung zielt.

      „Der Eigentümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll also seine Erscheinung auf dem Markt eine kontinuierliche sein, wie die kontinuierliche Verwandlung von Geld in Kapital voraussetzt, so muß der Verkäufer der Arbeitskraft sich verewigen, ‚wie jedes lebendige Individuum sich verewigt, durch Fortpflanzung‘. Die durch Abnutzung und Tod dem Markt entzogene Arbeitskräfte müssen zum allermindesten durch eine gleiche Zahl neuer Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d.h. der Kinder der Arbeiter, so daß sich diese Race eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt.“ (MEW 23, S. 187)

      Oder auch:

      „Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Schau betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Artz, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt […]
      Der Arbeiter „wird ein bloßes Zubehör der Maschine, von dem nur der einfachste, eintönigste, am leichtesten erlernbare Handgriff verlangt wird. Die Kosten, die der Arbeiter verursacht, beschränken sich daher fast nur auf die Lebensmittel, die er zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung seiner Race bedarf.“ (MEW 4, S. 465, 469)

      „Race“ meint hier nicht den strukturellen Klassenbegriff, der sich quasi als Platzhalter aus dem ökonomischen System ergibt, sondern er meint die Arbeiterklasse als sich intergenerational reproduzierende Arbeiterklasse. „Race“ hat die Konnotation von Stamm, Abstammung.

      Aber die Ausführungen auf Seite 469 zeigen deutlich, dass Marx hier von einer Gesellschaft schreibt, in der der Kapitalismus noch erst so weit entwickelt gewesen ist, dass von Arbeiter_innen „nur der einfachste, eintönigste und am leichtesten erlernbare Handgriff verlangt wird.“ Du selbst zählst die Studierendenschaft zum Proletariat, was ich übrigens problematisch finde, dies lässt sich jedoch nicht mit der Aussage von Marx in Übereinstimmung bringen, es sei denn, wir gestehen zu, dass die Arbeitsanforderungen heute komplexer geworden sind, dann hat dies allerdings auch Konsequenzen auf Fragen der Klassenreproduktion. Sie ist heute komplexer als zu Marx Zeiten und selbst damals hatte Marx eben mit dem Begriff „race“ hier schon zusätzlich zu Klasse eine weitere Differenzierung eingeführt, die diesem Umstand gerecht wird.

  4. Tom

    Dass die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft heute viel komplexer ist, als vor 150 Jahren stelle ich nicht in Abrede. Im Gegenteil! Aber was soll denn daraus folgen? Zu Marx‘ Zeiten gab es faktisch keinen Aufstieg aus der Arbeiterklasse ins Bürgertum. Arbeiterkinder wurden wieder Arbeiter. Folglich kann man wie Marx hier sprachlich biologische Analogien bemühen. Dies ist aber keine analytische Kategorie oder ähnliches. Er hat also hier nicht den race-Begriff „eingeführt“, sondern einen gebräuchlichen Alltagsbegriff in seinem Forschungsbereich verwendet.
    Um dich zu überzeugen, hier noch ein Zitat:
    „The natural price of labour is that price which is necessary to enable the labourers, on with another, to subsist and to perpetuate their race, without either increase or diminution.“

    Dies stammt jedoch nicht von Marx, sondern von David Ricardo, an dessen ökonomischer Theorie er sich im Kapital abgearbeitet hat. Wenn du also dabei bleiben willst, dass mit dem Race-Begriff bewusst eine weitere Differenzierung eingeführt wurde, dann musst du sie Ricardo zuschreiben.

    • Andreas Kemper

      Es geht mir nicht darum, ob „race“ ein biologischer Begriff ist. Das glaube ich eher nicht. „Race“ scheint vielmehr „Klasse“ aus der Sicht von Reproduktionsfragen zu betrachten. Danke jedenfalls für den Hinweis auf Ricardo.

      Es ist auch gut, dass wir uns darin einig sind, dass heute die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft komplexer ist als vor 150 Jahren. Wahrscheinlich sind wir uns auch einig darin, dass sie notwendig komplexer ist. Meiner Meinung nach spielt hier auch der politische Kampf der Arbeiter_innenklasse eine Rolle, welcher den Raum für Profite einengt. Daraus ergeben sich Konflikte bei den Profiteur_innen des Kapitalismus. Dies zeigte sich z.B. im Hamburger Schulkampf. Die kapitalistischen Modernisierer_innen (CDU) wollten ein moderneres Schulsystem, welches Arbeiter_kindern mehr Möglichkeiten zum sogenannten Bildungsaufstieg zugesteht (erstens ging es darum, dass mehr Ingenieur_innen benötigt werden, zweitens gab es Wirtschaftsministerium Sorgen um die Akzeptanz der Marktwirtschaft mit der Empfehlung, statt in die Lohnpolitik einzugreifen, die soziale Mobilität zu erhöhen). Die Privilegierten aus den reichen Hamburger Vororten setzten jedoch ihre Interessen gegen die CDU durch. Das kapitalistische System ist auf die Unterstützung dieser Privilegierten angewiesen.

      In ähnlicher Weise sind auch die Konflikte zu sehen, die derzeit zum Erstarken der „Alternative für Deutschland“ führt.

      Diese Konfliktlinie wird meines Erachtens durch den Kampf gegen Klassismus verschärft.

  5. Tom

    Eins noch: Dem Kapital ist es vollkommen schnuppe, wen es ausbeutet. Es benötigt eine bestimmte Anzahl gut ausgebildeter, weniger ausgebildeter und auch fast nicht ausgebildeter. Letzteres deshalb, weil es immer noch Arbeit gibt, die keine Qualifikation benötigt. Menschen mit zu hoher Qualifikation sind hier in ihrer Ausbildung und eventuellen Lohnforderungen zu teuer.
    Es steigt der Anteil Hochqualifizierter stetig an, durch die komplexer werdenden Arbeitsbedingungen. Entsprechend möchte jetzt selbst die CDU Arbeiter- und Migrantenkinder besser ausbilden. Daran kann man aber doch sehen, dass eine Klassismus- und eine Kapitalanalyse zwei vollkommen verschiedene Dinge sind: Du kritisierst das Bürgertum und dies sicher auch vollkommen zurecht.
    Das Kapital wendet sich aber ebenso gegen das Bürgertum, weil es ihm die Ausbeutung zu einem geringen Lohn in 20 Jahren vermiest.
    Hier liegt der Denkfehler, dem du aufsitzt: Du schmeißt Bürgertum und Kapital zusammen. Die Interessen, Haltungen und Forderungen des bürgerlichen Milieus sind aber etwas anderes als die nackten Interessen des Kapitals!
    Der Kapitalist möchte als Kapitalist so viele gut ausgebildete Menschen wie möglich. Ganz egal, ob es Migranten, Arbeiterkinder oder Frauen sind. Als Bürger möchte er für sich und seine Kinder einen möglichst großen Vorteil gegenüber der Unter- und Mittelschicht. Er kann als Kapitalist Streubomben produzieren und als Bürger Human Rights Watch spenden.

    Mit Marx kannst du ausschließlich den Kapitalisten als Kapitalisten analysieren. Möchtest du ihn als Bürger untersuchen, dann braucht es Bourdieu und co. Das ist, so meine ich, das Missverständnis, dem du bei deinem Bezug auf Marx aufsitzt.

    • Andreas Kemper

      „Dem Kapital ist es …“ ist keine gute Formulierung, da „das Kapital“ kein Subjekt ist.

      Das ökonomische System hängt mit der bürgerlichen Gesellschaft zusammen. Das lässt sich nur analytisch trennen. Theoretisch ist es bei der Profitmaximierung egal, wer ausgebeutet wird, aber diese Profitmaximierung kann nur in einem System stattfinden, welches mit Macht aufrecht erhalten werden muss.

      Gerade die Kapitalisten verfolgen eine Ideologie der Vererbung, gerade sie sind keine Vertreter der Meritokratie, sondern sorgen sich um die intergenerationale Weitergabe des Vermögens. Und gerade in Deutschland hat der Klassenkompromiss zwischen Bourgeoisie und Junkertum zu einem feudalen Zug im Unternehmertum geführt. Schau dir mal die Verbände der Familienunternehmer an. Die sind stockkonservativ und eben nicht rationale Vertreter einer Meritokratie.

      Die kapitalistische Ökonomie kann jedenfalls nicht in eine sozialistische transformiert werden, solange erfolgreich mittels Klassismus kapitalismuskonforme Menschen geschaffen werden.

  6. anonyme_Unterschicht7

    1
    Mal doof gefragt: spielt das irgendeine Rolle ob etwas Marx gesagt hat. Oder ob dies oder das in „seinem Sinne“, „marxistisch“ ist. Die Type ist tot. Wir können ihn nicht fragen. Wird ja noch nicht mal was gewonnen, wenn Marx etwas auch gesagt, anderes gesagt oder zu was nix gesagt hat.
    Wenn sich Andreas bzw. Du in eine bestimmte Traditionslinie stellen möchte, wo Bitte ist da das Problem? „Du hast da Marx nicht verstanden“ oder „das ist nicht marxistisch“ setzt Marx mit „richtig“ gleich. So eine Gleichsetzung ist voll die autoritäre Kackscheiße, nen Marx-Siegel fürs denken oder wa. Wenn die einen so sagen und die anderen anders sagen, dann sollte sich doch verdammt noch mal auf die Argumente eingelassen werden.

    Auch ob etwas linksliberal sei, Marx über etwas gespottet hätte, reformistisch, sozialdemokratisch, nicht-revolutionär geht voll am Thema vorbei. Dafür müsste ja erstmal geklärt sein, was denn nun Klassismus ist und was der Begriff ist, der mit dem gleichgesetzt wird. Und um daraus ne Kritik zu machen, müssten dann auch Andere Begriffe bereits ablehnenswürdig sein.
    Etwas eine „dümmliche Analyse“ nennen, was gar keine fertige Analyse sein will sondern der Versuch ist „Klassismus“ als Konzept zu skizzieren ist Ignoranz.

    2
    Deswegen zum Inhalt(soweit ich ihn verstanden habe + ergänzt/verzerrt ;D):

    Andreas liefert zunächst eine Definition von „Klassismus“ als Ausgangspunkt für ein „Forschungsprogramm“:

    Der Begriff Klassismus geht aus von Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen und soll es ermöglichen, dass mit ihm diese Diskriminierungen benannt werden.
    Von diesem Standpunkt wird eine Gesellschaftsanalyse vorgenommen, (…)

    Es geht also um Betroffenheit.
    Genauer: einen Ansatz, „ganz unten“ auf Ebene der Erscheinung(Phänomen). Im Mittelpunkt steht nicht die Gesellschaft als Ganzes sondern der Fokus der Betrachtung, ist zunächst(!) auf einzelne Punkte in dieser gerichtet. Andreas hat anderswo schon einen Text über Unterschied zwischen Betrachtung der Gesamtgesellschaft „big picture“ und dem, was hier im Fokus steht „little picture“ gebracht.

    Diskriminierungserfahrungen können unterschiedlich vorkommen u.a.:
    – offen und selbstverständlich(als Ohnmacht gegenüber d. Gesellschaft)
    – subtil, in dem Sinne das individuell vllt gemerkt wird, dass irgendetwas nicht stimmt aber dieses nicht in Worte gefasst werden kann
    – als scheinbare Naturereignisse(z.B. bei Robert Willis wo sich die Ergebnisse eines bestimmten Handelns erst später in denselben/ähnlichen „Niederlagen“ niederschlagen)

    in der versucht wird, Diskriminierungserfahrungen auf Herrschafts- und Machtverhältnisse zurückzuführen, die dann als klassistisch benannt werden.

    Es geht demnach darum die Erscheinungen zu verstehen und Werkzeuge zu deren Reflektion zu basteln. Und darum Diskriminierung eben auch Diskriminierung nennen zu können.

    Also darum den Diskriminierungserfahrungen die gesellschaftliche Selbstverständlichkeit zu nehmen.

    2.1
    Dieses unterscheidet sich natürlich grundsätzlich von Ansätzen für die Erscheinungen/Erfahrungen irrelevant sind. Wo also aus der Diskriminierungserfahrung dann folgen soll, sich diese aus dem Kopf zu schlagen, weil die ja eh, nicht zu ändern wären.
    Wo also praktisch Anpassung gefordert wird. Auch und gerade von „Kommunisten“.

    2.2
    Mit Verwundbarkeit ist btw auch ein Grund angegeben warum auch ausschließliche Antidiskriminierungsansätze erst mal hilfreich sind, selbst wenn sie „einfach nur“ ein wenig diese oder jene Härte abmildern. Um es an nem praktischen Beispiel zu machen: wenn z.B. Hartz IVler gesellschaftlich abgewertet werden, dann erhöht das auch deren Verwundbarkeit. Vom verhungern lassen noch ganz zu schweigen.

    2.3
    Imho ist das Grundkonzept von Klassismus theoretisch, keineswegs „eine Theorie“ sondern eher ein Forschungsprogramm.
    Die Diskriminierungserfahrungen und Diskriminierungszusammenhänge können nämlich mit unterschiedlichsten Theorien versucht werden zu fassen. Das bedeutet dass es sich nicht ausschließt z.B. mit Foucault Mikrostrukturen zu fassen und das gleichzeitig etwas anderes untersucht wird. Auch schließt es sich nicht nicht aus, individuelle und kollektive Strukturen sowohl isoliert als auch im Zusammenhang zu untersuchen.

    3.
    Finde bei Kulturimperialismus fehlt ein Aspekt. Nämlich das „untere Klasse“ und deren Kultur auch nichts „besseres“ sind sondern nur die andere Seite der Medallie.
    D.h. wenn es einfach Herrschaft bzw. Ausgrenzung einer Kultur durch die Andere meint, dann fehlt dass das Leben aber auch die Bewältigungsstrategien „unten“ jetzt nicht weniger kapitalistisch und sogar selbst „klassistisch“ sind. Selbst ganz „unten“, wird sich noch von anderen abgegrenzt und werden Leute ausgegrenzt. Konkurrenz halt, nicht unbedingt nur ökonomische. Auch Proletkult erhöht ja einfach nur das „eigene“, wenn vllt auch aus ner Position der Marginalisierung heraus. Wenn beispielsweise Kiddies Messer haben und OG, „Gangster“ werden wollen, passend dazu dann Tupac Shakur das große Vorbild ist, dann ist das halt erst mal ziemlicher Bullshit und halt nicht ne „tolle proletarische Gegenkultur“.

    4.
    iwie hast du soviel gleichzeitig angerissen 😀 das macht es schwierig zu kritisieren oder zuzustimmen, so Einzelnes, nacheinander, wär vermutlich besser ;D

  7. Tom

    Diese Meinung nimmt dir niemand. Auch die Folgerung kannst du ableiten. Nur musst du da deinen Andreas Kemper druntersetzen und es nicht als eine marxistische oder gar marxsche Position darstellen. Das ist sie einfach ganz und gar nicht. Was nicht heißt, dass deine Analyse schlecht oder falsch sein muss, sie hat halt nur nichts mit Marx zu tun.

    • Andreas Kemper

      Das behauptest du, aber du hast nirgendwo den Nachweis geführt. Oder sollte ich ein Argument übersehen haben? Du bist auf die „race-Geschichte“ nicht weiter eingegangen.

      Womit Klassismus sich schwer vereinbaren ist ein auf Ökonomismus reduzierter Marxismus, also einer der davon ausgeht, dass das Ökonomische System direkt die Klassen schafft. Aber das wäre Marx vor 1848.

  8. Tom

    @Andreas, ich habe dir doch in aller Ausführlichkeit dargelegt, dass der „Race-Begriff“ eine zu dieser Zeit vollkommen normale Bezeichnung war, mit der Marx nur die Begriffe bürgerlicher Ökonomen wie Ricardo übernimmt und all das, was du da rein interpretierst, eben deine Meinung ist, es sich mit Marx und seiner Verwendung dieses Begriffs einfach nicht in Einklang bringen lässt. Das sieht man schon daran, dass er Race vollkommen verstreut und beliebig über das Werk verstreut verwendet hat. Wäre es wirklich eine Kategorie und nicht ein Synonym für Proletariat, so hätte Marx dies sicherlich auch so definiert oder zumindest präziser verwendet.

    @anonyme_unterschicht, Andreas hatte geschrieben: „Ich denke, dass der Klassismusbegriff zum Marxismus passt. Allerdings sollte Marx hier marxistisch gelesen werden“. Diese Behauptung halte ich für gänzlich falsch und habe entsprechende Argumente vorgetragen. Das heißt natürlich nicht, dass es deshalb schlecht oder falsch sein muss, sondern nur, dass es nichts mit Marx zu tun hat.
    „Auch ob etwas linksliberal sei, Marx über etwas gespottet hätte, reformistisch, sozialdemokratisch, nicht-revolutionär geht voll am Thema vorbei.“
    Nein, geht es nicht. Weil Marx eben gerade nicht reformistisch, nicht nicht-revolutionär, nicht sozialdemokratisch und nicht linksliberal war. Eine derartige Theorie kann per se nicht in der marxschen Theorietradition stehen.
    Und Theorien, in denen es um Betroffenheit, Diskriminierungserfahrungen etc. geht, sind nun einmal Theorien, die mehr mit dem grün-alternativen Milieu zu tun haben, als mit radikaler Gesellschaftskritik. Wenn ihr Theorien vertreten wollt, die von der Grünen Jugend bis zum evangelischen Kirchentag vertreten werden, dann macht das! Nur tut bitte nicht so, als würdet ihr in einer Tradition von Kritik stehen, die die kapitalistischen Verhältnisse grundlegend überwinden will. Mich stört nicht, dass ihr linksliberale Theorien vertretet. Das ist euer, nicht mein Problem. Mich stört nur, dass ihr versucht, euch mit sehr gezwungenen Begründungen in einen linksradikalen Kontext zu stellen.

    • Andreas Kemper

      Hallo Tom,

      zunächst ist es nicht „meine“ Interpretation, sondern die von Thomas Kuczynski http://dishwasher.blogsport.de/2010/01/15/klassenreproduktion-bei-marx/.

      Zweitens ist der Begriff race im Zusammenhang mit der Arbeiterklasse nicht beliebig verstreut, sondern taucht dann auf, wenn er Abstammungsfragen meint. Dies ist eine übliche Lesart von race. Es ist somit kein Synomym für Proletariat. Proletariat bezieht sich auf Klasse im Produktionsprozess, race hingegen als Klassenbegriff hinsichtlich der Klassenreproduktion. Diese Frage ist leicht überprüfbar. Ich habe „race“ in Bezug auf Arbeiterklasse immer nur im Zusammenhang mit Klassenreproduktionsfragen gefunden. Du müsstest mir Stellen nennen, in denen Marx „race“ anders benutzt. Da kam von dir nur der Verweis auf die Race der Menschheit, es geht hier aber um die race der Arbeiterklasse.

      Drittens hat sich Marx kaum mit Klassenreproduktionsfragen befasst, weil sie sich zu seiner Zeit nicht stellten. Heute sind diese Klassenreproduktionsfragen relevant und sie sollten im marxistischen Sinne beantwortet werden. Und da sind die Hinweise von Marx wichtig.

  9. anonyme_Unterschich7

    hmm.. naja.. ein wenig stimmt das imho schon.. obwohl mir eure Marx Debatte gehörig auf den Wecker geht ;D

    Weil wenn „ursprüngliche Akkumulation“ genommen wird, dann steht dabei das „strukturelle“ im Fokus, auch wenn gesagt wird, das ursprüngliche Akkumulation mit Gewalt geschieht. Das historische, wäre quasi Bebilderung.
    Dasselbe mit den unterschiedlichen Schilderungen von Disziplinierung, die immer wieder am Rand vorkommen. Das sind ja einerseits Notwendigkeiten um brauchbar zu sein. Andererseits gibt es natürlich auch, wie Tom sagt, einen Zwang zur Notwendigkeit, der erstmal ziemlich unabhängig vom wollen ist. Also fürs funktionieren ist es egal, ob du weiterhin Arbeiter bist oder das wer anders macht. Kommt halt nur drauf an, dass es irgendwer macht. Auch Kapitalistenklasse, lässt ja grundsätzlich zu dass welche von dort wechseln. Dadurch das sie konkurrieren, müssen eben sogar auch mal welche die Klasse verlassen. Insofern spricht das zunächst sogar gegen Reproduktion nach „Herkunft“. Ohne Kultur zu betrachten, wäre dieses z.B. auch allein auf Grund der ökonomischen Verhältnisse erklärbar. Vom Tellerwäscher wirst du halt schlechter zum Millionär, als du Millionär bleiben kannst, weil deine Stellung in Konkurrenz ne schlechtere ist.

    Ideologie bei Marx direkt wär imho vor allem in dem Mistfetischkapitel vom Kapital zu finden und halt noch in der „Deutschen Ideologie“. Meines Wissenstands nach bestimmt er dabei letztlich die Denkform aus der Stellung. Also weil ich eh nur dies und das „kriegen“ kann, diese oder jene strukturellen Zwänge herrschen erscheint mir meine Lage „wie sie ist“. Wenn ich feststelle ich kann z.B. nen Abschluss machen und studieren, oder eben auch nicht, dann hab ich dann auch dementsprechende Ziele und Vorstellungen von Welt. Möchte z.B. Arbeiter werden und Träume vom kleinen Eigenheim. Also dieses der „richtige Ausdruck, verkehrter Verhältnisse“ Zeug.

    Auch schreibt Marx nicht wirklich was zu z.B. Hausarbeit bzw. betrachtet, die halt nur in ökonomischer Rolle. Dieses wäre ja z.B. noch ein Bereich ursprünglicher Akkumulation, also Inwertsetzung von Dingen die nach kapitalistischem Maßstab erstmal wertlos sind. Würde sagen die Rolle ökonomisch nicht bzw. indirekt relevanter Bereiche für Aufrechterhaltung fehlt tatsächlich. Die gelten nämlich bei Marx afaik nur als „Reste“ bzw. „Überbleibsel“, eben als noch nicht nach diesem System organisiert, weils sich nicht lohnt. Das jedoch nicht-kapitalistisches auch ne Rolle spielen kann, findet sich aber auch. Beispielsweise mit Staat als „ideelem Gesamtkapitalist“ der entgegen der Einzelinteressen bestimmte Dinge organisieren bzw. bereitstellen muss, damit eben überhaupt Arbeitskräfte da sind. So wär es z.B. schlecht, wenn alle Arbeiter verhungern auch wenns individuell für Einzelkapitalisten natürlich am Besten wäre gar keinen Lohn zu zahlen (oder halt einen der nicht zum Leben reicht).

    Neben Interesse an Profitmaximierung steht natürlich das Interesse zu Leben. Und hier spielt dann auch Klasse eine Rolle. Die eigene Arbeitskraft teurer zu verkaufen bedeutet natürlich auch „besser“ zu Leben. Da jedoch der Verkauf davon abhängt das „oben“ Profit gemacht wird und eine nichtprofitable Arbeitskraft halt nicht gekauft wird. Gibt es natürlich auch „unten“ die Notwendigkeit nützlich zu sein. „Klassenkampf“ im klassischen Sinne ist damit begrenzt, weil es das, was es bekämpft im „eigenen Interesse“ erhalten muss.
    Beispiel: ich kann gegenüber meinem Vorarbeiter eine bessere Behandlung durchsetzen, weil
    der auf meine Unterstützung angewiesen ist, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Nämlich so lange der sein soll erfüllt. Tut er das nicht dann werde entweder ich entlassen oder wir werden beide entlassen.
    Bei Marx findet sich auch dieser Hinweis auf die Beschränktheit z.B. gewerkschaftlicher Kämpfe. Allerdings ist der imho nicht grundsätzlich gegen die.

    Mir scheint das in der Argumentation eine solche Gleichsetzung von Antiklassismus mit „Klassenkampf“ in dem rein ökonomischen Sinne erfolgt.

    Wenn es allerdings um „Leben“ und dessen „Disziplinierung“ geht dann finden sich neben der reinen wirtschaftlichen Verwertbarkeit z.B. im Operaismus eine lange Tradition des Widerstands gegen Disziplinierungen. Das „nützlich“ sein insgesamt notwendig ist um zu existieren sagt noch nichts über die Art der konkreten Nützlichkeit aus. So kann es z.B. möglich sein dass in der einen Form profitbringend gearbeitet wird, in der anderen Form jedoch auf Grund des Widerstands nicht. Damit geht es dann nicht mehr darum „mehr“ oder „weniger“ rauszuschlagen sondern darum den Produktions- und Reproduktionsprozess in seiner Beschaffenheit zu verändern. Er wird also an dem Maßstab gemessen ob er zum „Leben“ taugt. Dieses hätte erst mal einen sozialreformerischen Gehalt. Dieser muss nicht rein ökonomischer Natur sein. Und ein rein auf Klassen im ökonomischen Sinne bezogener Begriff führt hier auch nicht weiter.

    Schließlich ist Klasse hier nicht mehr eine ökonomische Stellung sondern eine „soziale Form“ die nicht auf ökonomische Stellung reduzierbar ist. Disziplinierung in den Blick zu nehmen bedeutet jetzt zu sehen, wie diese geschaffen werden und sich verändern. Es geht also letztlich um Klassenzusammensetzung. Und eben auch darum wie sie reproduziert wird. Warum z.B. mehrere Generationen dieselben Erfahrungen machen und wie deren Bewältigungsmuster etc. sind.

    Dieses widerspricht erst mal Marx Analyse gar nicht. Allerdings würde ich auch nicht sagen dass das jetzt ganz genau dessen Thema sei. Es interessiert den halt nicht, dessen Ziel ist ja eher herauszufinden, warum Kapitalismus als Ganzes funktioniert. Hier geht es dagegen eher darum nach dem Widerstand und den Formen der Zurichtung zu gucken. Der eben nicht bloß individuell ist. Sondern wo sich verschiedene mehr oder minder feste Klassen herausbilden und reproduzieren.

    Dieses ist trotz Überschneidungen vom Schichtbegriff verschieden. Schließlich geht es nicht einfach um die Feststellung bestimmter Lebensstile, sondern um die Zurichtung und dessen Konsequenzen.

  10. futuretwin

    OK, Tom, du bist also nicht auf „Teufel komm raus“ auf Konfrontationskurs. Das hebt dich schon einmal angenehm von anderen Kommentatoren ab. Darübr hinaus bin ich zuwenig Marx-Experte, als dass ich mich zu deiner ursprünglichen Kritik sinnvoll äußern könnte.

    Problematisch finde ich nun allerdings, dass du 1. die Thematisierung von Diskriminierung ausschliesslich in einem grün-alternativen Millieu verortest und 2. dass Linksradikalismus für dich offenbar untrennbar mit dem Namen Marx vernäht ist.

    Beides halte ich für falsch und es drängt sich ein wenig der Verdacht auf, dass du „Nebenwidersprüche“ glaubst ignorieren zu können, weil du dich mit der großen krass radikalen marxschen Theorie beschäftigst. Vielleicht sind dir die Millieus in denen Diskriminierungskritik betrieben wird ja zu uncool (das schwingt bei alternativ-grün ja gerne mit).

    Abgesehen, davon, dass es meines Wissens durchaus Marx‘ Anliegen war „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“, gibt es meines Wissens nicht nur viele Gruppierungen, die sich sowohl mit Antisexismus, Antirassismus, etc. beschäftigen und sich dabei als linksradikal verstehen, allen voran die Antifa, sondern es gibt darüber hinaus auch solche, die sich dabei noch als dezidiert nicht-marxistisch verstehen (Anarchisten etwa).

    Diese ganzen Unterscheidungen finde ich jedoch wenig zielführend. Ich mag ein Ekletizist sein, aber ich picke mir gerne überall interessante Gedanken heraus, möglichst ohne mich von Scheuklappen verengen zu lassen.
    Daher finde ich auch solche Theorien besonders interessant, die z.B. Kapitalismuskritik mit Patriarchatskritik zusammendenken, wie das Wert-Abspaltungs-Theorem.

    • Tom

      Mir geht es nicht darum, bestimmte Politikansätze abzuwerten. Ich finde es ja nicht falsch, sich gegen Diskriminierung zu engagieren oder sich an „Nebenwidersprüchen“ abzuarbeiten. Mir geht es um Genauigkeit. Ich kritisiere Andreas nicht dafür, dass er sich sozialreformistisch engagiert, sondern dafür, dass er diesen Ansatz in einen linksradikalen Kontext stellt.
      Die gleiche Kritik kann ich auch an die meisten „Gruppierungen, die sich sowohl mit Antisexismus, Antirassismus, etc. beschäftigen und sich dabei als linksradikal verstehen“ richten.
      Es gibt ein Bedürfnis, sich radikaler zu gerieren, umso reformistischer die politische Haltung ist. Cool und Uncool sind Kategorien, in denen solche Aktivisten denken, nicht ich. Der Unterschied zwischen diesen „Linksradikalen“ und Mitgliedern der Grünen, besteht leider häufig nur darin, dass noch „Für den Kommunismus“ unters Flugblatt geklatscht wird.
      Es muss ja niemand linksradikal sein, auch nicht marxistisch, aber wer Marx sagt, soll auch Marx meinen und nicht Sozialdemokratie, nur weil ersterer cooler klingt.

      Radikal bedeutet an die Wurzel zu gehen. Möchte man die Axt an die Wurzel des Kapitalismus anlegen, so kommt man nicht an Marx vorbei. Radikalität von Nicht-Marxisten ist selten etwas anderes als Utopismus. Wo ich immer nur sagen kann: Ja, klingt toll, ist aber nicht allzu realistisch.

      Ich picke mir auch gerne Gedanken irgendwo raus, weshalb ich auch nichts gegen Leute habe, die meine Meinung nicht teilen. Ich werde nur leicht grantig, wenn es mehr radikaler Schein als Sein ist.

      PS. Das Wert-Abspaltungstheorem finde ich sehr gewollt und herbeikonstruiert, weshalb es mich nicht überzeugt, aber das ist ein anderes Thema.

  11. anonyme_Unterschich7

    @kleine Korrektur z. eigenen, vorherigen Kommentar
    hatte sozialreformerischer Gehalt geschrieben, verdammt. Das bedeutet damit natürlich keine Beschränkung darauf aber ich find soziale Reformen auch nicht schlimm 😀

    @Tom
    Du diese ganze Kritik trifft mich nicht, ich will nicht „radikal“ sein, geschweige denn „linksradikal“, ich mag Bratwurst und heile Klamotten. Und wenn es unbedingt ne Theorietradition sein soll, dann Bitte Donald Duck und Hartz IV Antrag – oder was in der Art – find so „Traditionen“ nämlich Mist. (zur Marxismus Vokabel hab ich eigentlich bereits meine Meinung geschrieben). Hab keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll, dass „wir“ deiner Meinung nach ungerechtfertigt „radikal“ tun. Das ist nämlich nicht mein Maßstab.

    @Andreas
    netter Textlink :)) (muss aber erst mal die Diskussion dort zu „Race“ lesen, die ist ja etwas länger ;D )

    @futuretwin Hey, wo bin icke auf Konfrontationskurs 😀 bin ja bisher außer Tom und Andreas und eben dir, die Einzige Person, die hier unter dem Text wat geschrieben hat ;D

    • Tom

      Bis auf kleinere Punkte würde ich dir zu deinem vorigen Kommentar Recht geben.

      Mein Problem ist weniger, dass hier eine Tradition verraten wird, dafür bin zu wenig Marxist, sondern dass eine Theorie, die genauso wie du auch nicht radikal sein will, sich dennoch so gibt.
      Wenn man sie „Unterschichtsdiskriminierung“ statt „Klassismus“ getauft hätte und sich nur dort auf Marx beziehen würde, wo es wirklich passt, dann hätte ich mit ihr kein Problem.

  12. futuretwin

    Nee, du nicht. Ich hatte mich auf andere Texte bezogen, wo Maskulisten und AfD-Fans rumtoben. 😉 Mit denen will ich aber hier niemanden annäherend vergleichen.

  13. anonyme_Unterschich7

    @andreas
    so noch mal ein paar Gedanken zu dem Ding mit „Herkunft“(Race), das ist jetzt nicht besonders ausgereift und bricht halt auch ab, weil ich das gerad nicht besser hinkriege und das dann doch ziemlich schnell ziemlich viel Text wird. (Hab mir auch mal einige Zitate aus dem verlinkten Text geschnappt.) Denke beides muss zusammgengedacht werden, wo wir uns vermutlich(?) einig sind. Dabei bin ich leider nicht bis zum Hamburg Beispiel gekommen (zu Marx steht schon was im vorherigen Text) ;D

    1. Ich fang mal „strukturalistisch“ an:

    Auftrag, über die Sozialisation der eigenen Kinder die Arbeitskraft zu reproduzieren.

    Ein solcher Auftrag kommt erst mal unmittelbar vom Staat als „ideeller Gesamtkapitalist“ der gleichzeitig auf Landesökonomie angewiesen ist. Weil für den Kinder, die ihre Arbeitskraft nicht verkaufen, keine Steuerzahler und keine Staatsdiener mehr sind sondern Kosten. Der Staat delegiert diese Aufgabe(d.h. Reproduktion seiner Bevölkerung) an die Familien. Insofern Zustimmung zu

    Kuczynski sieht diese Aufgabe hingegen stärker bei den Familien.

    Da entsprechende Reproduktion nicht klappen muss.

    Vermittlung durch den Staat in praktischen Einzelfällen.

    und letztlich auch Ober-Aufsicht, über die Erziehung in den Familien: Jugendamt etc.

    Dabei wäre es schlecht, wenn alle z.B. Professoren werden würden. Weil dann Wirtschaft eben nicht mehr funktioniert und damit dem Staat seine Einnahmequelle entzogen wird. Es werden also die wirtschaftlichen Bedarfe erstmal übersetzt.

    Von Seiten des Staates und der Aufrechterhaltung seiner Funktion geht es aber nicht nur um „Kapitalismus“ sondern auch darum zum jeweiligen Staatsverständnis entsprechende Untertanen zu schaffen. Auch das geht erst mal in Bildung und Erziehung ein.
    Auch müssen bestimmte soziale Spannungen ausgeglichen werden, weil wie Gerhard Schröder gesagt hat:
    „Eine ungleiche Gesellschaft, ist auch eine unfriedliche Gesellschaft.“
    Und ein Staat der allein auf Gewalt und nicht auch auf Zustimmung basiert, funktioniert als Herrschaft nicht.
    Grundsätzlich ist es für den Staat damit völlig egal, wie gebildet oder ungebildet seine Bevölkerung ist, wichtig ist hier nur das die Funktion erhalten wird.
    Es spielt also gerad keine Rolle ob das Akademikerkind Arbeiter wird oder das Arbeiterkind Akademiker. Sondern es muss halt insgesamt passen.

    Erziehung und Bildung/Ausbildung ist damit beides. Über den Staat vermittelt und Familiensache im Auftrag des Staates. Es läuft also nicht auf Ebene der Ökonomie ab, sondern der, der Politik.

    Durch eine zusätzliche Investition den Unterschied zwischen Akademikerkindern und Arbeiterkindern zu beseitigen oder die gleiche Zurichtung, wäre „unwirtschaftlich“. Auch sollen die ja unterschiedliche Rollen einnehmen.

    Das die unterschiedliche Mittel zur Verfügung haben ist damit aus dieser Sicht(!) kein Problem. Schließlich sollen auch gar nicht alle, die „höheren Berufe“ ergreifen.

    2.
    Da ich es nicht schaffe hier Klassen komplett zu betrachten, beschränke ich mich erstmal auf den Aspekt „Bildung“ im Rahmen von Klassenreproduktion bzw. „Race“. Einen richtigen Bildungsbegriff kriege ich allerdings hier im Kommentar nicht hin. Zunächst als Unterschied:

    Es wurde bereits gesagt, es geht nicht nur um wirtschaftliche Zurichtung sondern auch um politische. Dadurch das mit einer unterschiedlichen Verteilung Leute in Konkurrenz zueinander stehen, sind die in bestimmten Punkten gegeneinander gesetzt.
    Allerdings „Leben“ die auch unterschiedlich. D.h. es geht nicht ausschließlich um „reine Interessen“ sondern auch um bestimmte sozio-kulturelle Existenzweise.

    Bildung ist dabei mehr als Ausbildung, was sich z.B. in der Schule zeigt.
    „Goethe“ lesen, hat nichts mit der wirtschaftlichen Tauglichkeit zu tun. Es wird aber gleichfalls als „Leistung“ betrachtet. Das jemand der Goethe gelesen hat damit als „Intelligent“ gelten kann, wer ihn nicht gelesen hat als „unintelligent“, ungebildet, klingt komisch, wird aber so gemacht. ;D

    Mehr noch „Goethe lesen“ steht im Lehrplan. Wer Physik studieren will, muss Goethe lesen.

    D.h. es handelt sich hierbei nicht um Grundrechenarten die für späteres Wissen gebraucht werden. Auch geht es dabei nicht um Orientierung, in dem bei verschiedenen Dingen hineingeschnuppert wird. Es handelt sich vielmehr um verordnete „Persönlichkeitsbildung“.
    An dessen Ende eine Bescheinigung dieser „Leistung“ steht.
    Insofern würde ich dir(bei deinem einen anderen Text) widersprechen, dass es um soziale Herkunft und nicht um „Leistung“ gehen würde. D.h. aber nicht das es auch um soziale Herkunft geht.

    Das, was hier als „Leistung“ gilt, ist ja, erst mal unterschiedlich zugänglich. Es ist die Kultur und der Geschmack von oben, der wiedergegeben und verinnerlicht werden soll. Und der je nach sozialer Herkunft natürlich anders vom Umfeld bewertet wird. (Beispiel: Was ihr für Scheiße lernen müsst, wozu soll das gut sein?)

    Ähnliches findet sich auch in einigen Tests die „Begabung“ bzw. Befähigung messen:
    Ist die Oper blabla von Verdi Monteirgendwas oder Puccini? (z.B. bei Tests beim Arbeitsamt)

    Je höher die Bildung um so mehr kostet sie dabei. Und um so mehr, wird sie auch nicht mehr staatlich finanziert.

    Auch sind „Bildungskarrieren“ in der BRD im wesentlichen an einen bestimmten Ablauf gebunden. So ist z.B. der 2te Bildungsweg teuer und ab einem bestimmten Alter, gibt es natürlich auch keine Förderung mehr. Das schließt natürlich Leute von „höherer Bildung“ und den entsprechenden Berechtigungsscheinen aus..

    Bestimmte Privilegien aus dem Mittelalter? sind nicht einfach mit Kapitalismus erklärbar.
    So werden Studierende bei Steuern anders behandelt als Andere, was praktisch dazu führt, dass sie in der Konkurrenz um kleinere Jobs bevorzugt behandelt werden. Und nach und während des Studium denken, ein guter Hilfsjob findet sich doch immer ;D

    Das Interessante hier ist das damit Arbeiterkinder(und ein paar Andere) die für ihr Studium arbeiten müssen, mit Reichen Studis die sich ein „Taschengeld“ verdienen(darauf nicht angewiesen sind) und Leuten aus der Unterschicht konkurrieren.

    Ein Interesse an der Abschaffung dieses Privilegs auf dem Arbeitsmarkt, hat nur die Unterschicht. Denn der ist das egal ob Leute den „Sprung“ schaffen. Denen geht es um das eigene Leben und dazu tragen die Studierenden erst mal nicht nur nichts bei, sie machen auch die Konkurrenz härter und deren Bedingungen ungleicher.

    Insofern müsste imho klar zwischen Herkunft und Reproduktion der Herkunft und dem Wechsel der Stellung unterschieden werden. Der Race Begriff hat hier ja die Gefahr das er Leute zur selben Race zählt, die praktisch entgegengesetzt sind.

    Es findet jedoch bei Wechsel eine Veränderung der „Qualität“ statt. Bzw. der Klassenzusammensetzung.
    Auch der Arbeiterkind Studi, könnte Chef, Chefhandlanger oder Bundeskanzler werden 😉
    Und auch Akademikerkinder könnten absteigen.

    Irgendwie fehlen da Begriffe zur Differenzierung bzw. mir fallen gerad keine guten ein, vllt Nummern. Vielleicht -1 0 +1 Also „Race“ +1 (aufgestiegene Arbeiter etc.) oder „Race“ -1 (abgestiegene Akademiker) und „Race“ 0 (Position beibehalten), statt „Race“ ließe sich da auch die jeweilige Klasse einsetzen. Kapitalist 0 , Kapitalist -1(abgestiegener Kapitalist) Kapitalist +1(zum Kapitalisten aufgestiegen).

    Benutze persönlich immer lieber Class. Weil Race das Problem hat, letztlich bereits im Rassismusbereich belegt zu sein und du wenn du jemanden der wegen Hautfarbe und Class diskriminiert wird schnell Probleme bekommst, das darzustellen. Und Unterscheide Klasse(nur strukturell) und Class(soziales).

    … so stopp.. sollte mir vllt nen Blog zulegen, Kommentare sind zu lang ;D

  14. futuretwin

    @a_U: Muss mir das mal in Ruhe durchlesen. 😉

    @ Tom: Du bist jetzt eher indirekt auf meine Gegenbeispiele eingegangen (Antifa, Anarchismus). Was den Coolnessfaktor angeht, mag ich dich falsch eingeschätzt haben. 😉 Mein Eindruck ist der, dass gerade junge Leute häufig denken links = uncool und das hat viel mit Klischees zu tun. Das geht dann in die Richtung langhaarig, ungepflegt, hippiemäßig, etc. Auch a_U hat ja mit seinem Komentar zu Bratwurst und kaputten Hosen in diese Kerbe gehauen. Ganz falsch ist das freilich alles nicht.
    Ich halte aber die antideutsche Szene für ein Beispiel dafür, wie eine krasse Abgrenzung von „Klischeelinken“ in eine problematische Richtung kippen kann.

    Vielleicht haben wir einfach eine unterschiedliche Definition von „linksradikal“. Du scheinst dies, wie ich erneut aus deinem Kommentar ersehe, mit „marxistisch“ gleichzusetzen. Da gehe ich nicht konform. Natürlich kann man Anarchisten vorwerfen, dass sie die Ökonomie vernachlässigen, trotzdem würde ich sie als linksradikal ansehen. Ebenso Gender- oder Antira-Aktivisten. Du führst radix – die Wurzel an, es kommt aber darauf an, was als die „Wurzel allen Übels“ angesehen wird. Bei Marx ist es das Kapital, richtig. Aber bei Anarchismen ist es eher der Staat, bei Feminismen das Patriarchat, du siehst also, dass du mit der Gleichsetzung linksradikal = marxistisch schon eine Vorannahme triffst.

    Auf diesen Blog (nicht auf dieses Post!) bin ich gestossen, weil A. K. hier u. A. Ernst Bloch thematisiert und dessen Unterscheidung von Rechts- und Links-Aristotelismus. Damit beschäftige ich mich nun. Ich denke, dass sich Kapitalismus, Patriarchat und vielleicht generell Herrschaft auf eine bestimmte ideologische Verkehrung zurückführen lassen, ein Missverhältnis von Materie und Form. Das ist alles noch sehr unausgegoren, aber wenn du nach Wurzeln gehst, sind solche Gedanken „radikaler“ als Marx. 😉

    Die Wert-Abspaltung halte ich selbst für zu formelhaft, aber einen Schritt in die richtige Richtung.

    • Tom

      Du hast Recht, dass ich den Kapitalismus als ursächlich für das Gros der Unterdrückung ansehe, ist eine Vorannahme.
      Ich halte die Vorannahme, dass man nur den Staat abschaffen müsste und schon wären die Probleme gelöst für bestenfalls naiv.
      Genauso blamiert sich die Behauptung, wenn Frauen über gleichviel Macht wie Männer verfügen, dass sich dann etwas grundlegend ändert, doch permanent. Die Behauptung, die Abschaffung des Patriarchats wäre gleichbedeutend mit der Abschaffung von Unterdrückung an sich, wird ja auch seit den 70ern nicht mehr vertreten.

      Hingegen finde ich die Annahme, dass wenn man den Kapitalismus und damit das Konkurrenzverhältnis unter den Menschen überwindet, auch ein Großteil der Unterdrückung abstirbt, sehr plausibel.

  15. Andreas Kemper

    Hi, ich komme kaum hinterher, hier ausführlich zu antworten, da ich noch mit einem anderem Thema befasst bin, der „Alternative für Deutschland“. Ich denke, ich bin jetzt aber so weit, die beiden Themen miteinander zu verbinden. Die „Alternative für Deutschland“ formiert sich als der parlamentarische Arm der organisierten Familienunternehmer. Und diese sind explizit klassistisch. So intervenierten Die Familienunternehmer – ASU explizit dagegen, „Soziale Herkunft“ als Diskriminierungsmerkmal in die Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien aufnehmen zu lassen. Sie sind ein Beispiel für die Ungleichzeitigkeit im Kapitalismus. Sie haben ein feudal-ständisch-familialistisches Element, was sich als zusätzlicher Klassismus abbildet. http://andreaskemper.wordpress.com/2013/03/19/wer-steckt-hinter-der-alternative-fur-deutschland/

  16. anonyme_Untersch1cht

    @Tom
    „Unterschichtsdiskriminierung“ passt halt nicht, weil es sich das ja nicht nur auf Unterschicht bezieht.

    Was die Wurzel Geschichte angeht: Da lässt sich mit dem bärtigen Fuzzi feststellen oha „Privateigentum an Produktionsmitteln“ und Warenproduktion/Tausch = Wurzel, Axt wär dann ne Andere Produktionsweise. Die führt aber auch niemand ein von denen die „linksradikal“ rumrennen.
    Die machen nur eher mäßig erfolgreiche „Werbung“ und oder gegenseitige Selbstbestätigung. Das ist dann zwar nicht reformistisch, ändert aber auch nix. ;D

    Das es ohne Kapitalismus keine Konkurrenz geben würde, halte ich für nicht plausibel. Verschiedene Menschen wollen nämlich auch mal unterschiedliches, auch gegeneinander. Es kann zwar theoretisch die Notwendigkeit von Konkurrenz beseitigt werden aber nicht dessen Möglichkeit. Das bestimmte Dinge durch Ökonomie gestützt werden, keine Frage. Jedoch denke ich das Stützung teilweise auch umgekehrt verläuft. So kann z.B. Rassismus auch Kapitalismus stützen(z.B. Integration von Unmut).

    Klassismus wiederum macht ja imho eigentlich genau notwendige Konkurrenz zum Thema. Reduzierung von Konkurrenz-/Machtverhältnissen innerhalb von „Klasse“ hebt Kapitalismus nicht auf, aber These: a) macht es das wahrscheinlicher b) erhöht es die Lebensqualität.

    @futuretwin
    oO lol ich versteh absolut nicht, was du damit meinst, obwohl ich mir jetzt sogar den entsprechenden Artikel zum Aristotelismus-Zeug durchgelesen habe ;D also mit:

    auf eine bestimmte ideologische Verkehrung zurückführen lassen, ein Missverhältnis von Materie und Form.

  17. futuretwin

    @ A.K. Sorry, dass ich so vom Topic ablenke!

    @ Tom

    „Ich halte die Vorannahme, dass man nur den Staat abschaffen müsste und schon wären die Probleme gelöst für bestenfalls naiv.“

    Zunächst wirst du mit dem Vorwurf der Naivität sicherlich auch häufiger konfrontiert sein, wenn du die Abschaffung des Kapitalismus‘ anstrebst. 😉
    Die Abschaffung staatlicher Strukturen wäre eine derartig krasse Umwälzung, dass die Verwendung des Wortes „nur“ hier bestenfalls unpassend wenn nicht naiv erscheint.

    Ich schliesse mich a_Us Meinung an, dass mit der Zerschlagung des Kapitalismus vermutlich kein Ende der Konkurrenz erzielen lassen wird: die Konkurrenz ist historisch älter als der Kapitalismus. Das ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit dieser Zerschlagung.

    @ a_U
    In anderen Artikeln (muss man ein bisschen suchen) hat Andreas mehr zu diesem Thema geschrieben, hier zum Beispiel:
    http://andreaskemper2.wordpress.com/article/virtualitat-materialitat-8bgikaqot3ts-121/

    Meine Überlegungen, die ich zum Teil unabhängig von ihm angestellt hatte und ohne Bloch gelesen zu haben, unterscheiden sich ein wenig von seinen, aber die Stoßrichtung ist eine ähnliche:

    Der Mehrwert, den die Wertkritiker mit Marx ein „automatisches Subjekt“ nennen ist nur der jüngste Gegenpol zu der Materie. Es gab schon immer Bestrebungen, einem Geist, einem Gott u.ä. zu huldigen und über diese dann Herrschaft zu installieren. Ich nenne dies Form, Andreas nennt es Virtu.

    Interessant ist, dass gerade bei einem Links-Aristoteliker nämlich Giordano Bruno, sich die Idee des unendlichen Gottes zu wandeln beginnt in die Idee des unendlichen Werts!

    Siehe hier:
    http://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/28-die-natur-und-die-uhr

  18. anonyme_Untersch1cht

    @futuretwin
    thx, weiß jetzt grob(!) was gemeint ist ;D Allerdings muss ich mich noch mit der Unterscheidung anfreunden und wohl erst mal ein wenig mehr lesen 😉 Wenn ich das richtig sehe, wäre virtu als Form der Ordnung eine Realität, in der ein Bereich fehlt. Irgendwie bekomme ich das jetzt nicht zusammen. Also wenn ich dein Ding nehme mit Ausrichtung auf „etwas“/den Wert was auch immer. Und nehme z.B. das Machiavelli Beispiel. Dann ist das für mich erstmal ziemlich verschieden. Weil einmal ist es „Identifikation mit Aggressor“, das andere mal so etwas wie der „Glaube an Gott“ mit dem ne Andere Wahrnehmungsstrukturierung einhergeht. Letzterer könnte imho übrigens auch als Umgang mit fehlendem angesehen werden, weil dort „Tod“ fehlt. Bekomme das jetzt aber noch nicht ganz mit Klassen zusammen. Weil mir das irgendwie noch zu unkonkret ist. Also mir fehlen mehr praktische Beispiele um da überhaupt ne Vorstellung von dem Konzept zu entwickeln. Also Beispiel: Wenn ich Gedanengang nehme: Fabrikarbeit führt zu Traumatisierung, darauf dann Ausschluss eines Realitätsbereichs(Traumatisierung) und virtu als Weiterleben ohne Bereich, Strukturierung. Dann wär Traumatisierung imho eigentlich eher sowas wie das Gegenteil der Hoffnung( bei Bloch soweit ich da Ahnung habe :D), also das sich aus dem Kopf schlagen der Hoffnung in Form des Scheiterns. virtu dann auf „psychologisiert“ sowas wie Rettung des Selbstbildes trotz Scheiterns. Irgendwie kriege ich das Konzept nicht soweit klar dass ich damit überhaupt auf die Kategorie „Klasse“ losgehen könne. ;D

  19. futuretwin

    Ja, das geht viel zu weit vom ursprünglichen Thema weg. Auch ich brauche wohl mal einen Blog, auf dem ich das alles ausformuliere. 😉
    Mit Klassismus hat das wirklich nichts mehr zu tun.
    Ich habe auch nur geschrieben, weil mich geärgert hatte, dass Tom den Begriff „linksradikal“ auf Marxismus beschränken wollte. Und alles andere als linksliberal in ein alternativ-grünes Millieu einordnen, was so nicht aufgeht.

    Vielleicht schreibe ich da noch einmal ein bisschen mehr zu meiner „Formkritik“ aber dann unter den Sozialphilosophie-Beitrag, um hier nicht die ganze Zeit off Topic alles voll zu schreiben.
    Danke für dein Interesse!

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