Facebook, Unthink, … Tupperwarenparties

· Allgemein, Artikel (Netzpolitik)

Als ich noch klein war, da gab es noch nicht soviele Möglichkeiten für Unternehmen, ihre Waren zu verkaufen jenseits der Tante Emma Läden, die zudem nur 4-5mal die Woche geöffnet hatten und zwar bis maximal 18 Uhr. Es gab zuhause noch den Otto-Katalog und hin und wieder Tupperwarenparties. Zu den Tupperwarenparties kamen die Freundinnen meinter Mutter, die sich Tupperware, also Plastikbehälter für die Küche, und vergleichbar praktische Sachen, vorführen ließen und kauften. Ich fand das spießig, ähnlich spießig wie die Butterfahrten, wo überteuert Heizdecken an Rentner verscherbelt werden. Soziale Events werden dort initiiert, um Waren zu verkaufen.

Doch was ist der Unterschied zu den sehr viel cooleren Sozialen Netzwerken wie Facebook und Google+? Handelt es sich hier nicht auch um virtuelle Tupperwarenparties und Butterfahrten? Niemand kommt auf die Idee, einen Facebook-Account mit einem Sitzplatz im Butterfahrtsbus zu vergleichen. Aus der Sicht der Netzwerk-Betreiber ist da aber gar kein so großer Unterschied. Wir müssen hier unsere Auffassung von Spießigkeit überdenken und sollten uns nicht von Äußerlichkeiten täuschen lassen.

Facebook geht es darum, dass die Facebook-User die Waren kaufen, die von der Werbung auf Facebook angeboten wird. Dafür werden Daten gesammelt und Profile angelegt. Google ist da auch nicht viel besser. Dagegen regt sich Widerstand, wie das folgende Video zeigt:

Unthink

„Unthink“ möchte alles besser machen, sieht sich nicht nur als neues Soziales Netzwerk, sondern als eine Soziale Revolution im Social Media Bereich. Vier Jahre wurde das Projekt entwickelt und geheim gehalten. Jetzt kommt es mit einem Schlag heraus, passend zur Occupy-Bewegung. Neu an Unthink ist das Manifest, mit dem versprochen wird, dass die Daten einem selber gehören und nicht dem Betreiber. Neu sind die vier Bereiche, in denen man unabhängig posten kann: einer für soziale Beziehungen, einer für „Follower“, einer für „Livestyle“ und einer für die Karriere. Alles ist getrennt, beim Chef oder beim nächsten Vorstellungsgespräch sind die berüchtigten Partybilder also nicht zu sehen, sondern nur die karriereoptimierte Selbstrepräsentation, wie wir das von Xing und LinkedIn kennen.
So weit so gut, gäbe es nicht zusätzlich den Bereich, wo es doch wieder darum geht, zu kaufen. Das Finanzierungsprinzip bei Unthing sieht vor, dass die „Besitzer“ der Seite entweder 2 Dollar jährlich an Gebühr zahlen oder sich ihre Seite von einem Unternehmen der eigenen Wahl „sponsoren“ lassen. Das heißt, die Interessen werden nicht über komplizierte Berechnungen verdeckter Datensammlungen ermittelt, sondern man sagt frei heraus, von welchem Anbieter man sich gerne bequatschen lassen möchte. Also trotz aller Antispießigkeit sind wir doch wieder bei der Tupperwarenparty gelandet.
Sieht man hinter die Kulissen, so könnten bei Unthink weitere Interessen bestehen. Denn die Unthink-Corporation hat nicht nur eine Tochterfirma in der „New Okhla Industrial Development Authority“, der in den 1970er Jahren am Reißbrett geplanten Industriestadt NOIDA, Indien, in der die Software-Entwicklung stattfindet, sondern auch noch eine Tochterfirma in Irland, ein „International Delivery Center“. Wozu braucht ein Soziales Netzwerk eine Lieferfirma? Wegen der Tupperware. Der Präsident der Unthink Corporation, Panos Kontses, ist nicht etwa ein ausgebildeter Programmierer, sondern ein Verkehrsingenieur, der zuvor für die Transportplanung in verschiedenen Unternehmen zuständig war.
Finanziert wird laut Website von Unthink die Corporation durch die Douglasbay Capital Plc, einem Finanzunternehmen, welches seine Investionen in ein „Majority Investment“ und ein „Minority Investment“ teilt. Die eigentliche Investition wurde gerade abgeschlossen und das Logistik und „Warehouse“-Unternehmen TDG verkauft. Die geringere Geldsumme wurde für die Unthink-Corporation aufgebracht. Die Douglasbay Capital hält aufgrund der 2,5 Millionen investierten US-Dollar 21% am Unthink-Unternehmen. Ein Monat zuvor ist der Chief Financial Officer der DouglasBay Capital, Geoffrey Bicknell, von Großbritannien nach Tampa gewechselt, einem Ort in Florida, wo auch die Unthink Corporation ihren Sitz hat. Sein neuer Arbeitsplatz direkt neben der Unthink Corporation ist die Savtira Corporation. Bei der Savtira Corporation handelt es sich um eine „e-commerce platform for the marketing, selling and distribution of digital content and physical goods“. Dass Bicknell gleichzeitig noch Non-executive Director bei der DouglasBay bleibt, könnte sich als praktisch erweisen, da E-Commerce und zentralisierte Social Media so gut zusammenpassen wie Heizdecken und Butterfahrten.

Kompatible Dezentralität – Die Zivilgesellschaft ist gefordert

Die Soziale Revolution, die Unthink verspricht, ist also eine im Verhältnis zwischen den Unternehmen und den Konsument_innen. Eigentlich mehr eine Revolution für die Unternehmen als für letztere, da Unthink verspricht, den direkten und „freiwilligen“ Kontakt herzustellen. Oder übersehe ich hier das Potential der Macht der Konsument_innen? Auch der letzte der vier „Streams“, in denen man unabhängig voneinander posten kann, ich nenne es mal das „Karrierefenster“, ist für Unternehmen interessant. An der Uni Münster wird gerade geforscht, wie Soziale Netzwerke von Unternhemen genutzt werden können, um die Arbeitsleistung ihrer Mitarbeiter_innen zu verbessern. Bei vielen Jobs ist inzwischen die Voraussetzung, dass man ein Handy hat, um kurzfristig erreichbar zu sein. Ähnliches wird demächst auch für Soziale Netzwerke gelten. Und da bietet es sich für beide Seiten an, dass die berufliche Sparte im Sozialen Netzwerk von der privaten getrennt ist.

Unthinks Versprechungen, fair mit den Daten umzugehen, müssen nicht falsch sein. Dennoch sollte man lieber gleich die richtigen Strukturen schaffen. Die Alternative zu Facebook ist nicht ein besserer zentraler Anbieter, sondern die Entwicklung einer Open Source Software, die es potentiell jede_m ermöglicht, ein eigenes Soziales Netzwerk auf dem eigenen Server zu betreiben. Oder, etwas zeitnäher formuliert, ein Programm, dass es ermöglicht, dass Zehntausende von miteinander kompatible Soziale Netzwerke entstehen. Diese Open-Source Software ist bereits da und sie heißt Diaspora*. Leider verfügen die Diaspora*-Entwickler nicht über 2,5 Millionen Dollar an Investionen, sie hatten noch nicht einmal ein Zehntel dieses Betrages zur Verfügung. In New York haben vier Studenten das Programm entwickelt. In Deutschland wird Diaspora* hauptsächlich von drei 17jährigen vorangetrieben, die Schwierigkeiten haben, den dreistelligen Betrag für die Serverkosten monatlich zusammenzubringen, was einerseits zeigt, dass mit sehr wenigen Ressourcen ein soziales Soziales Netzwerk zu betreiben ist und was andererseits ein Licht darauf wirft, dass über die Datenkrake Facebook viel geschimpft wird, dass aber kaum eine Einzlperson oder gar Institution bereit ist, eine echte Alternative zu unterstützen. Das Land Schleswig Holstein bspw. hat eine Datenwarnung für Facebook herausgebracht, betreibt aber selber eine Gruppe dort. Hier ist also die Zivilgesellschaft, NGOs, Verlage, Hochschulen, Kommunen, Parteien etc gefragt. Diese stehen in der Verantwortung, nichtkommerzielle dezentrale und miteinander kompatible Soziale Netzwerke auf Open Source Basis einzurichten.

Wer möchte, kann hier einen Aufruf an die Hochschulen unterschreiben, kompatible Netzwerke einzurichten: Aufruf an die Hochschulen: Schafft kompatible, dezentrale Soziale Netzwerke

Wir sehen uns bei Diaspora*,

Andreas Kemper


Flattr this

6 Kommentare

Comments RSS
  1. Nebelhorn

    Interessant, was sehe ich denn da unter dem Blog?
    Einen Facebookbutton.
    Auch Blogger stehen in der Verantwortung und sollten keine dezentralen Netzwerke unterstützen, finde ich.
    Aber nichts desto trotz super Artikel und super recherchiert.

  2. andreaskemper

    Hi Nebelhorn,
    ich möchte meinen Facebook-Account auch erst dann aufgeben, wenn Diaspora die „Kritische Masse“ erreicht hat. Ich weiß, dass das eine schwierige Position ist. Aber ich bemühe mich darum, dass in meinem Umfeld Diaspora-Netzwerke entstehen. Das ist vielleicht wichtiger, als sich einfach nur bei Facebook abzumelden.
    Danke für die Anerkennung!
    Liebe Grüße,
    Andreas

  3. Heiko

    Hallo Andreas,
    ich möchte Dich an dieser Stelle als jemand, der seinen Facebook-Account gelöscht hat, auf das heise-Projekt der durch den User einschaltbaren Social-Buttons hinweisen.
    So, wie mir die Buttons hier erscheinen, werde ich getrackt, ohne etwas dagegen tun zu können. Des weiteren, wie lautet Dein Diaspora-Account? Hab selbst noch keinen, :-), will aber, wenn alles nach Plan läuft, ab Herbst nächten Jahres eine eigene Instatnz installieren.

    Gruß
    Heiko

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Entdecke mehr von Andreas Kemper

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen

GDPR Cookie Consent mit Real Cookie Banner