Rechtsextremismus in der AfD? Stellungnahme zur Anhörung im Hessischen Landtag

· Allgemein

Den folgenden Text hatte ich während einer Anhörung zum Thema Rechtsextremismus im Hessischen Landtag am 07.09.2016 als Stellungnahme vorgelegt und inhaltlich wiedergegeben:

Rechtsextremismus in der AfD?

Zur ungeklärten Geschichte des hessischen Geschichtslehrers Björn Höcke als zentrale Integrationsfigur einer nationalistischen Bewegung

Ein Argument gegen das Verbot rechtsextremer Parteien lautet, die rechtsextremen Bestrebungen gingen dann in den ‚Untergrund‘ und seien weniger erkennbar. Dieses Argument ließe sich auch umdrehen: Mit dem Entstehen einer neuen rechten Partei werden rechtsextreme Bestrebungen kenntlich, die zuvor nur untergründig existierten. Dies soll am Fall des AfD-Landesfraktionsvorsitzenden in Thüringen und hessischen Lehrers Björn Höcke exemplifiziert werden.

Als Björn Höcke 2013 in die AfD eintrat, verband er dies mit der Legende, dass ein tiefer „Leidensdruck“ ihn dazu bewegt habe (Kubitschek 2014; Höcke 2015 a: ab Minute 58:05; Höcke 2014 b), womit er suggerierte, zuvor nicht politisch aktiv gewesen zu sein. Tatsächlich war Höcke vor allem auch in Hessen politisch aktiv, nur nicht unter seinem Klarnamen. So teilte der Herausgeber der neurechten Wochenzeitung Dieter Stein mit, dass Höcke ihm bereits 2007 sagte, dass er nur unter Pseudonym schreiben wolle, weil er Lehrer sei (Vogel/Niesmann 2016: 44). Tatsächlich finden sich unter dem Namen Björn Höcke zwischen 2006 und 2013 nur zwei Leserbriefe (Höcke 2006; Höcke 2008). Hingegen ist belegt, dass er an mehreren sogenannten „patriotischen“ Treffen aktiv teilgenommen hat (vgl. Vogel/Niesmann 2016; Kemper 2016: 25-30).

Höcke sieht die AfD als „Fundamenalopposition“, als „Bewegungspartei“ (Höcke 2015 d: ab 1:55), bzw. als „fundamentaloppositionelle Bewegungspartei“ (Noll 2016), und fungiert zugleich als eine zentrale Person beim Aufbau einer nationalen Bewegung. Seine Aufrufe zu entsprechenden Demonstrationen richten sich daher nicht nur an Parteimitglieder, sondern an alle „Gutwilligen“, wobei explizit auf Pegida verwiesen wird, aber auch auf den Front National als Verbündeten in Frankreich (ebd.). Organisiert wird diese „Bewegung“ daher nicht nur in Thüringen („Erfurter Demonstrationen“) sondern u.a. mit dem „Herkules-Kreis“ (Majik 2016) auch in Hessen. Höcke geht davon aus, dass „aufpotenzierende Krisendynamiken“ (Höcke 2015 c; vgl. Kemper 2016b) einen Systemwechsel herbeiführen, der es erlaube, die „degenerierte“ (Höcke 2014 c: ab Minute 67:44) „entartete Finanzwirtschaft“ (Höcke 2015 b) mit ihren „Dekadenzproblemen“ (ebd.) durch eine „organische Marktwirschaft“ (Höcke 2014 a) zu ersetzen. Dies klingt nicht nur faschistisch sondern beinhaltet tatsächlich die Kernmerkmale einer faschistischen Ideologie im Sinne Roger Griffins (vgl. Kemper 2016; Griffin 1993). Nach Griffin ist Faschismus durch einen Ultranationalismus gekennzeichnet, der eine grundsätzliche Erneuerung (Palingenese) des als dekadent gekennzeichneten Systems anstrebt (vgl. Griffin 2004; Griffin 2005).

Diese Begrifflichkeiten „aufpotenzierende Krisendynamik“ und „organische Marktwirtschaft“ stehen nicht nur für eine faschistische Ideologie, sondern verweisen als Wortneuschöpfungen unmittelbar auf neonazistische Schriften. Sucht man im Internet nach diesen Begriffen, so finden sich diese zuvor nur bei einer Person, die zwischen 2011 und 2012 Texte für verschiedene Magazine des bekannten Neonazi und NPD-Kader Thorsten Heise verfasste (Ladig 2011; Ladig 2012a; Ladig 2012b). Diese Person mit dem Pseudonym „Landolf Ladig“ stellte 2011 die These auf, dass die beiden Weltkriege von fremden Mächten ausgingen, die neidisch auf den „Fleiß“ und die „Formbestimmtheit“ der Deutschen seien (Ladig 2011:6). Beim 2. Weltkrieg käme noch hinzu, dass sich im Nationalsozialismus staatlicherseits die erste Antiglobalisierungsbewegung entwickelt habe (ebd.). Diese sei so erfolgreich gewesen, dass die „fremden Mächte“ einen Krieg gegen Deutschland führten um zu verhindern, dass sich das NS-Wirtschaftsmodell ausweite (ebd.). „Aufpotenzierende Krisendynamiken“ (ebd.:7) würden jedoch dazu führen, dass demnächst eine revolutionäre Situation entstünde. Die „identitäre Systemopposition“ (ebd.:9), in der die „Glut“ (ebd.:6) der NS-Antiglobalisierungsbewegung noch vorhanden sei, müssten dann ihren Führungsanspruch (ebd.:9) durchsetzen, um die „organische Marktwirtschaft“ (Ladig 2012b) durchzusetzen. Dieser Artikel aus dem Jahr 2011 basiert u.a. auf einen Leserbrief von Björn Höcke aus dem Jahr 2008 (Höcke 2008), mehrere Sätze aus dem Leserbrief tauchen original auf, ohne als Zitate gekennzeichnet zu sein (Ladig 2011:6). Gewährsmann für den überragenden „Fleiß“ und die „Formbestimmheit“ der Deutschen ist der Engländer Peter Watson. Die Person, die 2011 unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ schrieb, empfahl das „opus magnum ‚Genius der Deutschen’“ (ebd.) und drei Jahre später empfahl Höcke mit den selben Worten das „opus magnum ‚Genius der Deutschen’“ (Höcke 2015 b: ab Minute 0:15), welches aber in Wirklichkeit „Der deutsche Genius“ (Watson 2010) heißt. „Ladig“ und Höcke setzen sich politisch ein für „populationsökologische“ „Postwachstumsökonomie“ (vgl. Kemper 2016). Den wenigen Texten bzw. Reden, die sie verfassten, ist zudem eine Vielzahl ungewöhnlicher Begriffe gemein wie „Entelechie“, „Homöostase“, „Perturbation“, „Entropie“, „Vernutzung“ (ebd.).

Wir können also mit Sicherheit davon ausgehen, dass es einen Zusammenhang bzw. eine ideologische Zusammenarbeit zwischen Björn Höcke und der Person, die 2011/ 2012 unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ schrieb, gibt. Plausibler als die These einer Zusammenarbeit zwischen „Ladig“ und Höcke ist die These der Identität von „Ladig“ und Höcke, denn diese vermag die im Folgenden aufgelisteten „Überzufälligkeiten“ zu erklären.

Björn Höcke wurde bereits 2006 in seiner Funktion als Lehrer gebeten, sich bei öffentlichen Äußerungen zu mäßigen (Büscher 2015). Er kündigte entsprechend an, nur noch unter Pseudonym zu schreiben (Vogel/Niesmann 2016: 44). In einem der drei Artikel von „Ladig“ wird das Wohnhaus von Höcke beschrieben (Ladig 2012b). Höcke und der Herausgeber der „Ladig“-Texte, Thorsten Heise, haben bereits ihre Bekanntschaft zugegeben, diese beruhe angeblich nur darauf, dass sie Kinder in der selben Schule haben (Thüringer Allgemeine 2014). Eine weitere „Überzufälligkeit“: Der erste Bestandteil des Pseudonyms „Landolf Ladig“ hat eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Vornamen des ältesten Sohnes von Björn Höcke. Es gibt nicht nur keine „Ladig“-Texte mehr, seit Höcke 2013 offiziell in die Politik ging, diese Person scheint komplett verschwunden zu sein, wenn man davon ausgehen würde, dass Höcke nicht „Ladig“ sei. Nachdem die ersten Verbindungen zwischen „Ladig“ und Höcke bekannt gemacht wurden, forderte der alte Bundesvorstand unter Bernd Lucke Björn Höcke auf, mich anzuzeigen und eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, nicht für NPD-Magazine geschrieben zu haben (Weiland 2015). Beides verweigerte Björn Höcke (ebd.), obwohl er sich sonst nicht zimperlich zeigt (Prozess gegen ehemaligen Parteikollegen, gegen die taz, etc.). Er erhielt dabei mediale Unterstützung von der Tageszeitung „Die Welt“, deren Chef-Berichterstatter über die AfD, Günther Lachmann, das Verhalten des Bundesvorstandes statt der Verweigerung Höckes skandalisierte (Lachmann 2015). Lachmann ist nach seinem Rauswurf aus der „Welt“ wegen „groben Verstoßes gegen journalistischer Grundsätze“ (Aust 2016), er habe sich der AfD „angedient“ (ebd.), nun für „strategische Kommunikation“ tätig in der AfD-Landesfraktion in Thüringen. Höcke erklärte mit der Anstellung Lachmanns „die Zeit der Rechtfertigung für beendet!“ (Höcke 2016), die „Fundamentaloppostion“ gegen die „Altparteien“ gelte nun auch für die „Altmedien“ (ebd.).

Eine Aufklärung in der Causa „Landolf Ladig“ ist vom hessischen Geschichtslehrer Höcke auf journalistischer Ebene nicht mehr erwartbar.

Es lässt sich festhalten, dass mit der AfD eine nationale Bewegung aufgebaut wird, deren zentrale Integrationsfigur Björn Höcke ist. Höckes Statements beinhalten die zentralen Elemente einer faschistischen Ideologie und fügen sich begrifflich in eine neonazistische Ideologieproduktion, die 2011/2012 unter Pseudonym veröffentlicht wurde und einen revolutionären Systemwechsel zugunsten der Etablierung einer NS-Wirtschaftsordnung auf rassenbiologischer Grundlage propagiert.

Literatur

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