Konrad Adams Behindertenfeindlichkeit

Der Finanzminister Wolfgang Schäuble kritisierte am Wochenende die AfD. In einer aktuellen Pressemitteilung der AfD unter dem Titel „AfD: Konrad Adam wirbt um Mitleid mit Wolfgang Schäuble“ heißt es nun:

„Wolfgang Schäubles Anwürfe gegen die AfD beantwortet Konrad Adam, Sprecher der Partei, mit einem Appell um Nachsicht. Adam erinnert an den hohen, sehr persönlichen Preis, den Schäuble vor langer Zeit für seinen politischen Einsatz zahlen musste. […] Schäubles Schicksal macht den verächtlichen Tonfall verständlich, mit dem er sich zu politischen Tagesfragen äußert und selbst engste Mitarbeiter öffentlich herunterputzt. Sie berechtigt ihn aber nicht zu abfälligen Bemerkungen über das Innenleben einer Partei, die er nicht kennt, aus guten Gründen aber fürchtet. […] Statt einer Antwort verdient er Mitleid, und das, so Adam, wollen wir ihm gönnen.“ (die ganze Pressemitteilung)

Konrad Adam spielt zweifelos darauf an, dass Wolfgang Schäuble im Rollstuhl sitzt. Seine Äußerung ist behindertenfeindlich.

Bereits 2006 machte Konrad Adam eine Rechnung auf, die behindertenfeindliche Ressentiments wecken konnte. Im Artikel „Warum soll ich für sie bezahlen?“ schrieb er:

„38 Millionen Erwerbstätigen stehen rund 20 Millionen Rentner und Pensionäre, 8 Millionen Behinderte, 6 oder 7 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Studenten gegenüber: Leute, die es als ihr gottgewolltes Recht betrachten, von dem zu leben, was andere für sie aufbringen müssen. […] Dann wird die Rentner- und Empfängermentalität die Politik bestimmen und Forderungen erheben, an denen die Machthaber nur bei Strafe des Machtverlusts vorbeikommen. Am Ende wird es allen schlechter gehen: allen, also nicht nur denen, die den maßlos gewordenen Hunger nach sozial genannter Gerechtigkeit stillen sollen, sondern auch den vielen anderen, die diesen Hunger entwickelt haben.“ (Warum soll ich für sie bezahlen?)

Im selben Jahr verteidigte er den Artikel „Entzieht den Nettostaatsempfängern das Wahlrecht“ von André Lichtschlag. Lichtschlag hatte die Idee von Friedrich August von Hayeck aufgegriffen, allen Menschen das Wahlrecht zu entziehen, die mehr Geld vom Staat erhalten, als sie einzahlen. In seiner Replik „Wer soll wählen?“ geht Adam auf den Artikel von Lichtschlag ein: „Neulich hat ein Gastautor auf diesen Seiten den Vorschlag gemacht, den von ihm sogenannten Nettostaatsprofiteuren das Wahlrecht zu entziehen.“ Adam verteidigt Lichtschlags Vorschlag: „die Anregung, den Inaktiven und Versorgungsempfängern das Wahlrecht abzuerkennen“ klinge „provokativer, als sie tatsächlich ist.“ Adam blickt in die Geschichte zurück und weist darauf hin, dass damals nur die Besitzenden wählen durften, weil Besitzende im Gegensatz zu Armen wüssten, was Verantwortung sei:

„Die Fähigkeit, sich selbst und den Seinen den Lebensunterhalt zu verdienen, galt in der Theorie der europäischen Verfassungsbewegung als eine selbstverständliche Voraussetzung für die Gewährung des Wahlrechts. Nur der Besitz schien eine Garantie dafür zu bieten, dass man vom Wahlrecht verantwortlich Gebrauch machte.“

Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts habe hingegen zu einer Lähmung geführt:

„Erst später, mit dem Aufkommen der industriellen Revolution und seiner hässlichsten Folge, der Massenarbeitslosigkeit, ist die Fähigkeit, aus eigenem Vermögen für sich und die Seinen zu sorgen, als Voraussetzung für das Wahlrecht entfallen. Ob das ein Fortschritt war, kann man mit Blick auf die Schwierigkeiten, die der deutschen Politik aus ihrer Unfähigkeit erwachsen sind, sich aus der Fixierung auf unproduktive Haushaltstitel wie Rente, Pflege, Schuldendienst und Arbeitslosigkeit zu befreien, mit einigem Recht bezweifeln. Das Übergewicht der Passiven lähmt auf die Dauer auch die Aktiven und zerstört den Willen zur Zukunft, indem es die Kräfte des Landes zur Finanzierung von Vergangenheiten einspannt und verbraucht.“ (Wer soll wählen?)

Er verweist ausdrücklich darauf, dass das allgemeine Wahlrecht dazu geführt habe, dass es nun auch vermeintlich „unproduktive Haushaltstitel“ wie die Pflege wichtig erscheinen ließen. In einem Wahlrecht, welches nur von Menschen ab einer bestimmten Steuerklasse wahrgenommen werden könnte, würde sicherlich weniger Wert auf die Pflege von „unproduktiven Menschen“ gelegt werden. Eine glaubhafte Entschuldigung für seine Texte von 2006 steht noch aus.

24 Kommentare

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  1. heldenverbund

    Ein Mensch ist nicht besser, nur weil er „produktiver“, „gesünder“, oder wirtschaftlicher erfolgreicher ist.

    Nebenbei erwähnt: ch persönlich kann Konrad Adam nicht ernst nehmen.

    • Andreas Kemper

      Naja, Adam ist einer der Gründer und Vorstandsmitglieder der Afd, die momentan bei 10% liegt. Da sollte man ihn schon erst nehmen.

      • heldenverbund

        Ich meinte damit, dass ich seine Aussagen nicht ernst nehme. Ernst nehmen ist vielleicht falsch ausgedrückt.

        Ich nehme sie schon insoweit ernst, dass ich keine Partei wähle, bei der Adam (oder Lucke und Storch) eine hohe Position haben.

      • Andreas Kemper

        Ja. Das war auch nicht als Kritik gemeint.

  2. heldenverbund

    Kein Problem, habe ich auch nicht aufgefasst. „Nicht ernst nehmen“ ist einfach sprachlich schlecht gewählt. Denn wenn man etwas „nicht ernst nimmt“, neigt man dazu, die Wirkung dessen zu unterschätzen. Die AFD ist zumindest momentan kritisch zu beobachten und in diesem Sinne Ernst zu nehmen. Es ist ja nicht zu bestreiten, dass die Partei – von der ich nichts halte – sehr viel Zuspruch erhält. Zumindest für eine so neue Partei.

  3. Frank

    Behindertenfeindlichkeit gehört zur Grundausstattung rechter Ideologien (die Menschen nach Produktivität/wirtschaftlichem Nutzen einteilen). Da solche Standpunkte gesellschaftlich geächtet sind, brechen sie sich im öffentlichen Diskurs nur selten Bahn.

    Adams Äußerungen sind dafür ein Beispiel, aber auch die Beleidigungen eines Menschen mit Down-Syndrom durch Thomas Hartung (ehemalige Vize-Vorsitzender der AfD Sachsen). Nachdem das breit in der Presse diskutiert wurde musste der zurücktreten.

    Auf den AfD-Facebook-Seiten finden sich speziell zu Wolfgang Schäuble, der als Bundesfinanzminister und Kopf hinter der Euro-Rettungspolitik häufig Erwähnung findet, eigentlich immer Kommentare, die sich über seine Körperbehinderung lustig machen.

      • Andreas Kemper

        Ja, wieder keine Distanzierung, sondern Verleumdungsvorwürfe. Frau Heeremann in der Talkshow ist übrigens die Mutter von Sylvester Heeremann, dem Chef der Legionäre Christi in Europa und zeitweise hat er diesen rechtskatholischen Verein weltweit geleitet.

      • heldenverbund

        Ich halte hier Adams Ansichten zum Grundgesetz für beachtenswerter (nicht positiv gemeint).
        Ab 5:00

    • heldenverbund

      Auch „lustig“: Herr Kemper hatte auf dem AFD-freundlichen Kanal einen Beitrag gepostet, mit einem Link zu Adams Artikel. Also ohne Beleidigung oder ähnliches. Dieser Youtube-Kommentar ist auf wundersame Weise verschwunden.

      • Andreas Kemper

        Das kann an Youtube liegen. Ich kann den Text noch lesen, aber vielleicht habe auch nur ich einen Zugriff auf den Kommentar.

      • heldenverbund

        stimmt, man kann es wieder sehen. 😉

  4. Gerd Plorin

    Sehr geehrter Kemper, entweder beherrschen Sie die Grundzüge der deutschen Sprache nicht oder Sie stellen dass von Adam Gesagte bewusst falsch dar; mit letzterem befänden Sie sich mit den deutschen Systemmedien in bester Gesellschaft. Aus der Pressemitteileilung, die zu verlinken Sie sich immerhin getraut haben, geht hervor, dass das eingeforderte Mitleid nicht auf dem Umstand der Körperbehinderung beruht, sondern auf den zahlreichen Abwatschungen und Zurücksetzungen, die Herr Schäuble hunzunehmen hatte wie auch auf dessen persönlichem Fehlverhalten.

    • Andreas Kemper

      Sehr geehrter Plorin, Konrad Adam war zeit seines Lebens Journalist. Er ist sich der Bedeutung und Interpretationsmöglichkeiten seiner Texte bewusst. Auch wenn er nicht explizit das Attentat und auf Schäuble und seine daraus resultiere Behinderung anspricht, so weiß Adam ganz genau, dass sein Text genau so gelesen werden wird. Er benennt die Behinderung von Schäuble nicht explizit, damit solche Leute wie sie, geehrter Plorin, sich empören können: „Das hat Adam doch gar nicht gesagt!!!“

      • Gerd Plorin

        Sehr geehrter Herr Kemper, erst bei Lesen Ihrer Antwort fiel mir auf, dass ich in der Anrede meines vorhergehenden Beitrags das „Herr“ weggelassen hatte. Es handelte sich dabei um ein Versehen, war keinesfalls beabsichtigt und mag der Eile geschuldet gewesen sein, mit der ich meinen Kommentar angesichts meiner begrenzten Restlebenszeit verfasst hatte. Ich bitte also insofern um Vergebung.

        Ihre Antwort überzeugt nicht. Adam hat nicht gesagt und auch nicht gemeint, was Sie ihm unterschieben wollen („zweifellos“; so?). Im Gegenteil: Adam war noch gnädig: So hat er nicht einmal thematisiert, wie die nun immer heftigeren Einschläge als Folgen des Eurodesasters die Psyche Schäubles traktieren werden. Denn selbst Schäuble dürfte inzwischen erkannt haben, dass das Leben der Fehlkonstruktion „Euro“ nur auf Kosten des Vermögens auch der Naivlinge verlängert werden kann, die die Blockparteien selbst im September 2013 noch gewählt haben. Er weiß auch, dass die AfD weiter zulegen wird (wenn sie sich – die einzige Hoffnung für Schäuble – nicht selbst zerlegen sollte), und dies auf Kosten von ihm und seinesgleichen.

      • Andreas Kemper

        Noch einmal, Herr Plorin: Konrad Adam ist Fachmann. Er ist Journalist. Wenn er die Standards einer PM nicht einhält, z.B. die sechs W-Fragen „Wer, Wo, Wann, Was, Wie, Warum“, sondern diffus nur vom „hohen, sehr persönlichen Preis, den Schäuble vor langer Zeit für seinen politischen Einsatz zahlen musste“, dann ist das nicht Inkompetenz. Der „hohe, sehr persönliche Preis“ wird natürlich mit Schäubles Behinderung in Verbindung gebracht, wenn nicht explizit ein weniger bekannter „persönlicher Preis“ genannt wird.

  5. Nazienkel

    Als Mensch widert dieser Fatzke mich einfach nur an, als Behinderter halte ich ihn für gemeingefährlich, kann ich solche Sprüche doch nur als Angriff auf meine und die Existenz anderer verstehen. Da kann ich nur sagen: ‚Krüppel aller Schichten vereinigt Euch‘ gegen solch behindertenfeindliche Auswürfe.

    Adam bedient Ressentiments und fördert unsolidarisches Denken (und ist hierbei nah der Volksverhetzung), wie der Rest der AfD. Leider ist diese Partei aber nun da – und die Gefahr besteht, dass solche Sprüche salonfähig(er) werden, rücken doch schon einige CDU-Vertreter -und natürlich nicht nur die- aus Abwehrinstinnkt weiter nach rechts.

    • Andreas Kemper

      Bislang sind hauptsächlich nur die besonders konservativen CDUlerInnen aus der Deckung gegangen, die im Berliner Kreis organisiert sind. Aber es besteht durchaus die Gefahr, dass die CDU weiter nach rechts rückt.

  6. Nazienkel

    Das stimmt wohl – eine Gefährdung geht bestimmt von denen aus, die ihre Partei als zu weit nach links gerückt sehen, woraus ihrer Meinung nach die Probleme resultieren sollen.
    (Also die Gründe, welche auch Lucke etc. für die Gründung angeben. Dass es um den richtigen Zeitpunkt für einen erfolgreichen Rechtsruck-Egokurs ging, geschenkt.)

    Ich wohne in einem Dreiländereck und konnte dadürch „regionale“ Unterschiede in der Beschilderung zu Wahlkämpfen ausmachen: In Sachsen und Thüringen war kein bis wenig Unterschied zu der Thematik der NPD/Rep gegeben, auch im Layout lediglich Unterschiede durch die Grundfarbe. In Bayern war zu bemerken, dass es wohl schwer war, den ohnehin stets ressentimentgeladenen CSU-wahlkampf zu überbieten – und dann gibt es ja auch noch die Bayern- bzw. Frankenpartei.

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