Familitarismus

Was haltet ihr von der Kennzeichnung „familitär“ für die Ideologie der neuen rechten Partei Alternative für Deutschland und dem Netzwerk Zivile Koalition e.V.?

„Familitär“ ist gemeint als Zusammenziehung von „familialistisch-libertär“. „Libertär“ meint hier Entbindung des Staates von sozialen Aufgaben: Also massive weitere Steuersenkungen für die Reichen, weitere „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes, Ausbau des Niedriglohnsektors, weitere „Einschneidungen im sozialen Netz“, weitere Selbstvorsorge im Gesundheits- und Rentensystem. Familialistisch meint: heterosexistische konservative Geschlechter- und Familienpolitik, weitgehende Überführung der Bildungsverantwortung vom Staat in die Familie, demografische Kopplung von Familienpolitik und nationaler Bevölkerungspolitik. Familialistisch + libertär = familitär.

Ausgangspunkt dieser Ideologie ist die Perspektive von Familienunternehmern, die ihren Reichtum generationenübergreifend in der Familie sichern wollen. Sie widersprechen der bürgerlichen Idee der Meritokratie, also der Leistungsbezogenheit, bzw. beziehen Leistung nicht auf die Leistung des Einzelnen, sondern auf die Leistung der Familie. Es ist dann bereits eine Leistung, in der „richtigen“ (wohlhabend-deutschen) Familie hineingeboren zu sein. Hier kommt dann Sarrazin mit seiner Intelligenz-Vererbungs-Ideologie ins Spiel oder die Clubtheorie, die den „Wert des Kindes“ an der „Investionsbereitschaft“ der Eltern misst.

Das wegen „-militär“ eine Assoziierung des Begriffs mit Gewalt stattfindet, ist durchaus beabsichtigt. Eine familialistische Ausrichtung der Bildungspolitik empfinde ich als Gewalt, da bewusst die herkunftsbezogenen Benachteiligungen verstärkt werden sollen. Und ein weiterer Sozialabbau ist natürlich auch Gewalt.

Also familitär, Familitarismus, familitärisch, familitaristisch.

72 Kommentare

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  1. W-Day

    Familitär hört sich eher nach bewaffnetem Werkschutz an. „Libertär“ verbinde ich mit Anarchismus, nicht mit Neoliberalismus.

    • Andreas Kemper

      Ja. Leider gibt es nicht nur den Anarachismus, sondern auch die Hayek-Fraktionen, die für sich den Begriff „Libertarian“ reklamieren. Diese GEZ-Demos zum Beispiel gingen von der wirtschafts-libertären Partei „Partei der Vernunft“ aus. Die fordern Abschaffung der Steuern usw.

      • Liberaler

        Werter Herr Kemper,

        auch Libertäre in der Tradition von Hayek stehen eben GENAU NICHT für das, was man gemeinhin als „neoliberal“ bezeichnet. Neoliberalen ist der Staat so lange Recht, wie er ihnen via Vetternwirtschaft und Korruption, z.B. für Rüstung oder größenwahnsinnige Prestigeprojekte à la S21 das Geld in die Taschen steckt und es per Steuererhöhung bei den Normalverdoenern oder per Sozialreform bei den Armen holt.
        Libertäre wollen hingegen wirklich weniger Staat, und zwar auch und ganz keinen „Socialism for the Rich“.
        Dass Sie diesen Unterschied offenbar noch nicht begriffen haben ist imho der Grund dafür, dass Sie der Zuspruch, den dir AfD aus unterschiedlichsten politischen Richtungen erhält, Sie offenbar etwas verwirrt.

      • Andreas Kemper

        Habe ich denn „neoliberal“ geschrieben? Ich habe nicht so ganz verstanden, was sie meinen: Ist die Ausrichtung der AfD nicht libertär oder sind Forderungen nach Steuersenkungen nicht libertär? Dass Lucke den Hamburger Appell mitinitiiert hat, und dass dieser mit einen massiven Sozialabbau gefordert hat, nachdem bereits die Agenda 2010 eingeführt wurde, darüber sind wir uns einig?

      • Liberaler

        Ich bitte die offenbaren Fehler im obigen Post zu übersehen. Am Smartphone sollte man keine längeren Texte tippen.

      • Liberaler

        Neoliberal ist für mich „Socialism for the rich“ und das ist 180 Grad anders als Libertär. Darauf wollte ich nur hinweisen. Deshalb würde ich das ALG II auch eher nicht als Libertär nezeichnen, da es in meinen Augen primär eine gigantische staatliche Gängelungs- und Drangsalierungsmaschine ist. Mit dem Hamburger Appell habe ich mich bisher noch nicht tiefergehend beschäftigt, aber es ist auch nicht meine Spezialität, nach Leichen in Kellern zu suchen.
        Wenn Sie nicht wissen, worauf ich hinauswill, dann muss ich Ihnen entgegnen, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Somit sind wir gewissermaßen quitt.
        Nur so viel: Wofür halten Sie Herrn Lucke jetzt genau? Libertärer, Steigbügelhalter der Familienunternehmer, Steigbügelhalter des Großkapitals? Staatskapitalist? Rechtspopulist?

      • Andreas Kemper

        „Steigbügelhalter der Familienunternehmer“, wie man sie in der Stiftung Familienunternehmer findet, kommt dem schon ziemlich nah. Wobei wir hier nicht allein von Herrn Lucke, sondern von der Partei „Alternative für Deutschland“ sprechen.

      • Liberaler

        Nun, ich bin Freiberufler, aber wenn ich mir wieder einen festen Job suchen müsste, wären Familienunternehmen für mich sicher nicht die schlechteste Wahl. Meist besseres Arbeitsklima, faire Bezahlung, Interesse an Langfristigkeit, hort der technischen Innovation im Mittelstand. Familienunternehmen sind eine win-win-win-Situation für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Staat. Gerade in Deutschland.
        Wie Sie das alles ausblenden können, weil deren Vorstellungen zur Kindererziehung sich nicht mit Ihrer Ideologie deckt, entzieht sich leider meinen kognitiven Fähigkeiten.

      • Andreas Kemper

        Sie meinen, die Arbeitsbedingungen bspw. bei Reinhold Würth seien vorbildhaft?

      • Liberaler

        Danke für das Beispiel Würth! Er ist der Hauptgrund dafür, dass dieses ansonsten EXTREM strukturschwache Niemandsland (ich kenne die Gegend) eine der geringsten Arbeitslosenquoten in Baden-Württemberg und somit auch im bundesweiten Vergleich hat. Und glauben Sie mir – das sind wahrlich nicht alles 1€-Jobber. Sie würden sich wahrscheinlich wundern, wie ein durchschnittliches Einfamilienhaus in Künzelsau aussieht. Würth mag ein im persönlichen Umgang höchst unangenehmer Patriarch sein (ich vermute, hierauf spielen Sie an), aber den Wohlstand, den er in die Region gebracht hat, wollen Sie hoffentlich nicht bestreiten.

      • Andreas Kemper

        Ich bezweifel generell, dass Unternehmer „Wohlstand bringen“. Der Wohlstand wird von Arbeiter_innen im Produktions- und Reproduktionsbereich erbracht.
        Es geht nicht darum, dass Würth ein „unangenehmer Patriarch“ sei, sondern dass es bei Würth keinen Betriebsrat gibt.

      • Liberaler

        „Ich bezweifel generell, dass Unternehmer ‚Wohlstand bringen‘. Der Wohlstand wird von Arbeiter_innen im Produktions- und Reproduktionsbereich erbracht.“
        Großartig. Das kann man – denke ich – so stehen lassen. Gegen eine derart einbetonierte Ideologie hilft kein wie auch immer geartetes rationalen Argument.
        In diesem Sinne: Frohe Ostern!

      • Andreas Kemper

        Was heißt hier „einbetonierte Ideologie“?
        Hat Reinhold Würth alle „seine“ Schrauben selber hergestellt?
        Besteht die Ideologie nicht vielmehr darin, dass Unternehmer_innen die Produkte schaffen, dass sie die „Arbeitgeber_innen“ seien und die Arbeiter_innen nur die „Arbeitnehmer_innen“? Aber ich verstehe, dass Sie an dieser Stelle die Diskussion verlassen.

  2. W-Day

    Ja, im rechtslibertären Spektrum gibt es einige, von linkslibertärer und marxistischer Seite aus zumindest, fragwürdige TheoretikerInnen. Ayn Rand und Ludwig von Mises gehören neben Hayek auch dazu. Offen gestanden verstehe ich nicht, wie man gleichzeitig libertär und rechts sein kann. 😉

  3. basti

    Wenn im Gegenzug dafuer andere Gesetze fallen, die mich in meiner Freiheit behindern wie z.B. Schulzwang, GEZ usw kann ich damit leben. Aber es muss da auf beiden Seiten liberalisiert werden damit ein faires Gleichgewicht herrscht, nicht nur da wo es der Wirtschaft nutzt.

    Ich dachte bisher eher an die Piraten aber die sind nicht mehr waehlbar. AFD hoert sich gut an, so wwie bisher geht es jedenfalls nicht mehr weiter mit dem Euro und der EU.

  4. Martin Lauber

    Ungeachtet der Tatsache, dass regionale Familienunternehmen transnationalen Großkonzernen so einiges voraushaben, sehe ich wenig Anhaltspunkte dafür, dass die AfD eine Klientelpartei sein könnte. Die von Ihnen beschriebenen konkreten Maßnahmen finde ich ebenfalls nicht im Parteiprogramm. Wie belegen Sie zum Beispiel den Vorwurf des „Heterosexismus“? „Nationale Bevölkerungspolitik“? „Massive Steuersenkungen“? Umstellung des Gesundheits- und Rentensystems auf Eigenverantwortlichkeit?

    Das mögen teils libertäre Standpunkte sein, aber bei der AfD kann ich sie nicht finden. Bitte erleuchten oder erheitern Sie mich.

    • Andreas Kemper

      Die Partei „Alternative für Deutschland“ wird erst nach dem Gründungsparteitag ein deutliches Programm erhalten. Daher sind natürlich alle bisherigen Äußerungen zur Partei Mutmaßungen. Diese können allerdings einigermaßen fundiert sein. Und das sind sie, wenn man die offiziellen Verlautbarungen der Facebookseiten (WA2013 und AFD) mit dem Programmentwurf im Wiki abgleicht. Allein schon im Wiki-Programmentwurf werden Sie die oben nachgefragten Belege finden, ergänzt werden diese durch die Facebook-Verlautbarungen („Homo-Ehe“, demografische Fragen, Steuermodell nach Kirchhoff, mehr Eigenverantwortung im Gesundheitssystem, Verrechnung der „Lebensleistung“ auf die Rente).

      • Martin Lauber

        Vielen Dank für Ihre Antwort. Ich fürchte, da ist wohl viel Interpretationssache. Da steht auch, dass die Rentenhöhe garantiert werden muss, was jetzt definitiv nicht der Fall ist und zu Altersarmut führen wird. Da steht, dass auch Asylbewerber arbeiten dürfen sollen. Nebenverdienste (Aufsichtsratsmandate, etc.) verbieten, damit die Politiker ihren Job machen und nicht von Konzern- und Bankinteressen geleitet werden. Die Forderung, dass Banken, Hedgefonds und private Grossinvestoren anständig zur Entschuldung der Pleitestaaten herangezogen werden.. klingt für mich eigentlich nach Forderungen, die auch von einer klassisch linken Partei kommen könnten und denen ich voll zustimme.

        Und, allen anderen Lebensentwürfen zum Trotz, Kinder braucht es nun mal, wenn eine Gesellschaft fortbestehen will und die Renten der Nicht-Pensionäre zum Lebensunterhalt reichen sollen. Das kann man steuerlich schon etwas subventionieren. Zur „Homo-Ehe“ kann ich aber, auch auf Facebook, gar nichts finden.

        Warten wir es ab, wo sich die Partei am Ende einpendelt. Sicherlich wird sie nicht sozialistisch werden, aber einen neoliberalen oder gar rechtspopulistischen Eindruck macht sie mir wirklich nicht.

      • Andreas Kemper

        Renten für wen und in welcher Höhe und ab welchen Alter?
        Asylbewerber sollen auch arbeiten dürfen – weil der Niedriglohnsektor weiter ausgebaut werden soll?
        Zur Homo-Ehe finden Sie beispielsweise auf der Facebook-Seite der WA2013 einen Eintrag und viele Kommentare. Die Kommentare werden übrigens gezielt zensiert, missliebige Kommentare verschwinden sehr schnell, was wahrscheinlich auch den Umkehrschluss zu lässt.

      • Andreas Kemper

        Ergänzend sei noch nachgetragen, dass vor wenigen Stunden die AfD auf ihrer Facebook-Seite ein längeres Statement von Wolfgang Hübner unkommentiert übernommen hat. Wolfgang Hübner ist ein Rechtsaußen der Freien Wähler. Es kam zuletzt zu einem Konflikt mit der Parteiführung der Freien Wähler, weil Hübner behauptete, die NSU-Morde seien „von verschiedenen Einwanderer-Lobbyisten in unverschämter Weise genutzt“ worden, um vom Staat zusätzliche Zuwendungen fordern zu können.
        Ich war mir bislang nicht sicher, ob die AfD es wagen wird, Hübner in die Partei aufzunehmen. Meine Prognose wäre gewesen: Sie würden es gerne, aber sie wollen ungerne als rechtspopulistisch gesehen werden, daher: Nein. Wenn sie aber jetzt sogar seine Erklärung unkommentiert abdrucken, dann gehe ich davon aus, dass in Kürze, spätestens kurz nach dem Gründungsparteitag Hübner und weitere Mitglieder der FW-Frankfurt a.M. zur AfD übertreten und mit Kusshand genommen werden.

      • Andreas Kemper

        Jetzt eine weitere Antwort. Ich habe gerade erst die „Rede“ von Hübner gelesen. Dort finden Sie genau den Bezug zur Homo-Ehe, der vorher etwas impliziter auf der Facebook-Seite von WA2013 gepostet wurde. Die breite gerade enthusiastische Zustimmung fast ohne kritische Anmerkungen auf der aktuellen AfP-Facebookseite, die den Beitrag von Hübner abdruckte, zeigt, wohin die Reise geht. Die Rede ist faschistoid.

  5. futuretwin

    Ich finde die Bezeichnung „familitär“ gut! Man kann die AfD vielleicht am ehesten mit der Tea-Party-Bewegung vergleichen, der Vergleich hinkt jedoch etwas. Eine genaue Entsprechung zur TPB gibt es in Europa nicht und politische Einordnungen wie Jacksonianismus (der Begriff bezieht sich auf Andrew Jackson, einen US-Präsidenten aus dem 17. Jhdt.) greifen nicht so richtig.
    Bei TPB und AfD kann man moralkonservative und wirtschaftsliberale Momente erkennen. Die TPB konzentriert sich auf die Wirtschaft, die Mehrheit der Anhänger dürfte auch Abtreibungsverbote etc. unterstützen, um die Kräft jedoch nicht zu zersplittern, werden diese Themen allerdings gemieden.
    Deine Vermutung, Andreas, hätte ich auch unterstützt, dass die AfD sich von Themen wie Homoehe etc. fernhält, um möglichst viele Euro-Gegner zu bündeln. Vielleicht weiss die AfD selbst noch nicht so genau, wo ihre Unterstützer stehen, ob sie besser damit fährt, sich nach rechtsaußen stärker abzugrenzen oder nicht. Das Fehlen von Kommentaren zu Hübners Rede könnte dieser Richtungssuche geschuldet sein. Die AfD-Fans freuen sich so sehr über Zulauf, dass sie solche Themen am liebsten unter den Tisch fallen lassen. Ironischerweise preisen Sie dies noch als besonders demokratisch an, während Menschen wie Du als (linke) Hetzer diffamiert werden, die undemokratisch seien, weil sie sofort alles zerpflücken. Das konnte hier auf der Seite schon mehrfach beobachtet werden und zeugt von einem naiven Politikverständnis.
    Die weitgehend fehlenden kritischen Kommentare zu Hübners Rede müssen also nicht heißen, dass der Mann aufgestellt wird. Vielleicht wäre das sogar gut, weil dann den Naiven etwas klarer wird, wo die Reise hingeht. Es könnte auch sein, dass noch hektisch angetestet wird, welches Profil am meisten Wähler bringt.

    • Andreas Kemper

      Wobei der enthusiastische Kommentar der AfD Jugend zu Hübner schon krass ist.

      • Martin Lauber

        Würde den Kommentar nicht krass nennen sondern eher etwas naiv – aber vielleicht sind da ja tatsächlich recht junge Leute am Werke, nicht so wie bei der CDU mit diesem schwer erträglichen Mitdreißiger namens Mißfelder.

        Ich kenne Hübner und seinen Background nicht, seinen Text beurteile ich aber als das, was man gemeinhin „rechtskonservativ“ nennt und in potentiellem Widerspruch zu den liberalen Strömungen der AfD und deren Sichtweise auf Europa steht, natürlich auch in Hinblick auf eine gesellschaftliche Öffnung. Wer sensibilisiert ist, dem fällt selbstverständlich sofort auf, dass er von „Deutschland“, „Volk“, „Nation“ spricht – aber das alleine finde ich aber noch lange nicht faschistoid oder was meinen Sie? Ganz eindeutig bekennt sich der Mann zur Demokratie und zum Sozialstaat. Natürlich muss die AfD hier sehr vorsichtig sein und etwaige Schnittmengen zur undemokratischen Rechten vermeiden. Meiner Meinung nach klappt das bisher aber auch relativ gut.

        „Renten für wen und in welcher Höhe und ab welchen Alter?“ – Sicher nicht ab 50 und hoffentlich nicht ab über 65. Auf 65 zurückzufahren bedingt aber eine Reform des Rentensystems, sonst klappt’s rechnerisch aufgrund der Demographie nicht. Reiche sind im Übrigen nicht auf Renten angewiesen, die bekommen entweder Pensionen oder haben Kapitalerträge (die bekanntlich viel niedriger besteuert werden als Arbeit).

        „Asylbewerber sollen auch arbeiten dürfen – weil der Niedriglohnsektor weiter ausgebaut werden soll?“ Kein Mensch, der gesamtgesellschaftliche Harmonie im Blick hat, wünscht sich einen grossen Niedriglohnsektor. Das sind Partikularinteressen. So weit ich weiss, spenden diese Protagonisten aber fleissig an die FDP und CDU, nicht an die Alternative. Die AfD hat womöglich das Zeug dazu, zwar eine liberal-konservative Politik zu betreiben, sich aber neoliberalen (in der aktuellen Wortbedeutung) Tendenzen zu verschliessen. Ich sehe restaurative Tendenzen zu Ordoliberalismus und einem sanfterem, rheinischen Kapitalismus. Damit es kein angelsächsisches unten/oben mit viel Platz dazwischen gibt, sondern eine nivellierte Mittelstandsgesellschaft (Schelsky) mit weniger Auswüchsen nach unten und oben. Eucken und Müller-Armack eben, statt Milton Friedman.

        Dies bedingt natürlich eine Schwächung der Bedeutung des Kapitalmarkts zugunsten Kreditfinanzierter Ökonomie – aber das ist eine ganz andere Diskussion und geht in Richtung Systemfrage.

        Alles in allem glaube ich, dass die Alternative für Deutschland versuchen wird, möglichst viele innere Strömungen konfliktarm vertreten zu können. Da gibt es dann natürlich, wie bei allen anderen Parteien auch, einen linken und einen rechten Flügel, Fundis und Realos. Der gemeinsame Nenner: Weg mit gescheiterten politischen Prestigeprojekten, weg mit dieser krankhaften EU-Exegese hinsichtlich Demokratie, weg mit Politikern, die nicht dem Wohl der Gesellschaft sondern nur ihren eigenen Machtinteressen verpflichtet sind.

        Für mich klingt das zwar nicht unbedingt links, dafür aber ganz vernünftig.

      • Andreas Kemper

        Hübner stand schon vor Jahren in der Kritik, als er mit Neonazis zusammen gearbeitet hat. Später hat er dann für die Freien Wähler Frankfurt Sarrazin hochgehalten. Seine NSU-Thesen stehen in dieser Tradition. Wenn man die Vergangenheit Hübners kennt, bleiben nicht viele Leseweisen seines aktuellen Textes.

        Lucke hatte bereits 2005 im Hamburger Appell weitere Einschnitte im sozialen Netz gefordert. Im AfP-Wiki ist die Forderung enthalten, den Arbeitsmarkt weiter zu liberalisieren, damit mehr Arbeitslose arbeiten können – das heißt übersetzt: Ausbau des Niedriglohnsektors. Dazu würde ja auch passen, dass das Kindergeld abgeschafft und ersetzt werden soll durch eine Geburtsprämie für gut ausgebildete Mütter.

        Die letzte Parteienspende, die für Aufsehen gesorgt hatte, wurde Mövenpick-Affäre genannt, sie kam aus dem Hause von Finck. Es ging dabei aber nur um einen Betrag knapp unter zwei Millionen Euro für die FDP und CSU zusammen. Von Finck hatte bereits in den 1990er Jahren den AfP-Vorläufer Bund Freier Bürger mit über 6 Millionen DM finanziert und später eine Kampagne des BürgerKonvents mit 6 Millionen Euro. Der BürgerKonvent gehört zum ideologischen Umfeld der AfP. Also die Sympathien von Milliardären, die gerne mal Millionen für politische Interventionen spenden, sind vorhanden.

        Ich denke, dass die AfP rechtskonservativen Positionen aufnehmen wird, die durch Merkel nicht mehr in der CDU vertreten sind und wirtschaftslibertäre Positionen des Liberalen Aufbruchs der FDP. Beides wäre im Sinne finanzkräftiger Familienunternehmen.

      • Martin Lauber

        Ich denke, es ist einfach noch zu früh für Prognosen. Die Partei gründet sich am 14. April, das Programm wird demokratisch beschlossen und der Vorstand gewählt. Erst dann werden wir einen Überblick bekommen, welcher politischen Tendenz die Alternative für Deutschland folgen wird. Ich hoffe sehr, dass die Partei nicht von destruktiven, spinnerten oder gar rechtsradikalen Kräften infiltriert oder instrumentalisiert wird. Dann wäre nämlich ganz schnell Schluß.

      • Andreas Kemper

        Wir werden sehen, die Tendenz geht eindeutig nach rechts. Gestern wurde Hübner verlinkt, heute Bettina Röhl.

  6. spin

    ich bin unsicher, ob „familitär“ sinnvoll sein kann, weil ich den „militär“-teil im begriff nicht sehe (außer, dass das meist ziemliche knaller sind).

    aber @W-Day:
    „Offen gestanden verstehe ich nicht, wie man gleichzeitig libertär und rechts sein kann.“
    das bekommen weite teile der tea-party ja auch gut hin. logisch ist, dass die illusion, marktradikale lösungen seien für alle gut, in eine radikalisierung der klassenverhältnisse führt. übrig bleibt ein „survival of the fittest“, was sich ja traditionell in vielen rechten ideologien wiederfindet.
    dass etwa das „libertäre“ sprachrohr „eigentümlich frei“ (hartz 4 als „sozialismus“) den sarrazin-rassismus ebenso beklatscht wie jedes noch so dumme antifeministische ressentiment (etwa eines arne hoffmann), dass man an der npd deren „sozialismus“(!!) kritisiert und sonst eher nichts, ist kein zufall, man hat nicht nur autoren mit der neuen rechten (etwa der „jungen freiheit“) gemeinsam, sondern auch „anti-pc“ und antimarxismus und alle möglichen anti-linken ressentiments.

    arbeitsthese: jede politik und ideologie, die wirtschaftliche, soziale und politische ungleichheiten verstärkt, ist rechts – unbesehen der selbstsicht ihrer träger.

    • Martin Lauber

      Laut ihrer Arbeitsthese wäre die NSDAP dann links gewesen, denn Ungleichheiten wurden in den von Ihnen genannten Aspekten reduziert oder gar aufgehoben. Goebbels behauptete ja auch, dass seine Partei links wäre und, wie schon im Namen steht, sozialistisch. Echte Arbeiterpartei eben. 🙂 Ihre These ist somit zu verwerfen.

      Meiner Meinung nach ist nicht so leicht an Sachfragen festzumachen, was nun rechts und was links ist, da gibt es bisweilen bemerkenswerte Überschneidungen. So sind sich Rechts und Links einig, dass mehr Staat besser ist als weniger davon.

      Klare Diskriminatoren sind:

      – Rassistische Tendenzen sind eindeutig rechts
      – Links ist internationalistisch, rechts ist nationalistisch
      – Links (wie auch liberal) ist gesellschaftliche Öffnung, rechts deren Ablehnung

      Ansonsten ist es eher eine Frage des gesellschaftlichen Milieus und der Eigendefinition. Die einseitige Einteilung der Welt in rechts und links ist etwas naiv. Es gibt mindestens drei politische Dimensionen.

      Die Tea Party besteht aus zwei Strömungen, eine ist libertär (Ron Paul), die andere ist rechtskonservativ (Sarah Palin). Die Schnittmenge ist: „Weniger Staat, weniger Grosskapitalismus“, ansonsten bestehen durchaus Differenzen. Die Forderung nach weniger Staat ist aber nicht rechts, sondern eben libertär und bis zu einem gewissen Punkt auch liberal.

      • Andreas Kemper

        Dass die NSDAP Ungleichheiten abgebaut habe, ist ein Mythos. Das dreigliedrige Schulsystem wurde verschärft, der Begriff „Bildungsunfähgikeit“ wurde in die Schulgesetzgebung aufgenommen, die Zahl von studierenden Arbeiterkinder sank absolut und relativ. Dass sie sich „sozialistisch“ genannt haben, ist Ideologie bzw. Diskurspiraterie, die „Alternative für Deutschland“ nennt sich ja auch „Alternative“ obwohl dieser Begriff zu einem linken Spektrum gehört.

        Dass die Tea Party weniger Großkapitalismus fordert, wäre mir neu. Die Bewegung verknüpft wirtschaftslibertäre mit rechtskonservative Positionen, das nennt sich „paläolibertär“ oder einfacher: „rechtslibertär“. Die „eigentümlich frei“ hier in Deutschland ist genau so drauf. Lichtschlag forderte schon vor Jahren ein Zusammengehen mit den Rechtskonservativen (man könnte sie auch unfreundlicher bezeichnen) von der Sezession. Das wurde von denen abgelehnt, weil die „eigentümlich frei“ zu unsozial war.

        Links und rechts kommt von der Sitzverteilung der Französischen Nationalversammlung. Links bedeutet für soziale Gleichheit, rechts für soziale Ungleichheit. Die Wirtschaftslibertären und ihre Forderung nach weniger Staat ist rechts, weil sie soziale Maßnahmen abschaffen wollen, die Gleichheit herstellt.

      • Martin Lauber

        Nun ja, die benachteiligteren Schichten wurden durch die NSDAP durchaus in ihr faschistisches Konstrukt einer Gesellschaft integriert und entsprechend instrumentalisiert. Am Ende waren eben (fast) alle in der HJ oder beim BdM, später Arbeitsdienst, SS, etc. und somit status- und einkommensgleich. Ähnliche Strukturen finden sich auch im Kommunismus, da ist rechts wie links. Als „rechts“ galten in den 20er und 30er Jahren monarchistische Reaktionäre, die NSDAP galt als sehr unfein.

        Spätestens ab ’39 konnte auch aus dem Bürgertum quasi niemand mehr studieren, wenn es sich nicht um Sprösslinge der Parteielite handelte. Auch das war in der SU, DDR, China ähnlich. Rechts wie Links ersetzt eine Elite die andere. Gegenelite und Feindbild ist bei den Linken das Grosskapital, bei den Rechten das Grosskapital jüdischer Prägung. Im NS-, wie auch in allen kommunistischen/sozialistischen Regimen wurde die Differenz zwischen Staat und Bürger aufgelöst (eine Faschismusdefinition!) und alles wurde Staat. Wenn die NSDAP also rechts war, was wohl kaum jemand bezweifelt, kann der Wunsch nach weniger Staat folglich nicht rechts sein – ungeachtet dessen, wie das damals in Frankreich war oder ist. Oder aber, die Begriffe Links und Rechts taugen nichts – was ich in meinem vorherigen Beitrag darstellen wollte. 🙂

        Die Teaparty wendete sich zum Beispiel gezielt gegen die „Bailouts“ grosser Konzerne durch Steuergelder, sei es Chrysler und GM oder eben die Immobilienkonzerne und Banken. Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten sieht noch jede „Grasswurzelbewegung“ als Unding an – nur etablierte Parteien, deren führende Mitglieder auch Aufsichtsrats- oder Beratermandate entsprechender Institutionen besetzen und somit einem Interessenskonflikt unterliegen oder von Lobbyisten gleich ganz gekauft werden, sehen das naturgemäss etwas anders. Hätte Schröder je gegen Gazprom agiert?

        Auch zwischen der Alternative für Deutschland und dem Grosskapital sehe ich quasi keine Verknüpfungen und die Ablehnung der Sozialisierung von Verlusten ist fundamental.

      • Andreas Kemper

        Das stimmt nicht, dass alle status- und einkommensgleich waren. Das dreigliedrige Schulsystem ist nicht etwa abgeschafft worden, sondern die Ungleichheiten wurden noch verschärft. Es trat ein gleicher Effekt ein wie in der DDR nur sehr viel schneller. Im NS-System gab es kurzzeitig eine Aufweichung der sozialen Klassendifferenzierung, dann aber wurde das System noch selektiver, auch was die Differenzierung nach sozialer Herkunft betrifft. Die Anzahl der Arbeiterkinder unter den Studierenden betrug 1938 nur 2 Prozent. Nach dem Ende des NS-Regimes forderten die Allierten daher die Abschaffung des Dreigliedrigen Schulsystems. Aufgrund der Begabungsideologie, die im NS-Regime massiv ausgebaut wurde, lehnten aber die westlichen deutschen Länder die Forderung der Allierten ab.

        In der DDR war das anders, hier führten verschiedene Maßnahmen dazu, dass erstmals in der Geschichte genau so viele Arbeiterkinder studierten, wie es relativ ihrer Anzahl an der Gesamtbevölkerung entsprach. Als aber nach dem Sputnik-Schock soziale Maßnahmen gegenüber dem Partei-Aparat immer unwichtiger wurden, wurden Arbeiterkinder immer weiter zurückgedrängt. Also ein ähnlicher Effekt wie im NS-Regime. Die Relevanz der Partei führte dazu, dass Mittelschichtskinder bevorzugt wurden. Gegen Ende der DDR betrug der Anteil der Arbeiterkinder unter den Studierenden nur noch 12 Prozent.

        Was verstehen Sie unter „Großkapital“? Gehören die Familienunternehmen, die beispielsweise durch die „Stiftung Familienunternehmen“ vertreten werden, nicht zum Großkapital? Sind Milliardäre wie August von Finck oder Reinhold Würth Mittelständler? Oder meinen Sie, dass es zwischen AfD und Stiftung Familienunternehmen keine Gemeinsamkeiten gäbe?

      • Martin Lauber

        Nun gut, Diskriminierung nach sozialer Herkunft oder nicht – tritt etwas in den Hintergrund, wenn man sich die weiteren diskriminierten Gruppierungen ansieht. Was aber einfach nicht wegzureden ist: faschistische Ideologien fordern schon per Definition eine Allmacht des Staates. Das ist eine wichtige Gemeinsamkeit mit linker Ideologie, wenn man die anarchistische Strömung einmal ausnimmt. Und wenn faschistisch=rechts, dann rechts≠wenig Staat. Mit „rechts“ verbinde ich nicht nur Obrigkeitshörigkeit, sondern auch den Ruf nach Staat und Polizei, die verbietet und verhaut, was nicht genehm ist.

        Mit Begriffen wie libertär oder liberal hat das wenig zu tun – beides symbolisiert persönliche Freiheit, die links wie rechts nicht gerne gesehen wird, wenn es um gewisse Fragestellungen geht. Politik muss man sich wie ein dreidimensionales Koordinatensystem vorstellen, Links und Rechts ist bestenfalls eine Dimension, wenn überhaupt. Wie gesagt – untaugliche, höchst unpräzise Begrifflichkeiten sind das. Sollte man abschaffen. Eher: Kollektivismus vs. Individualismus, Gesellschaftliche Öffnung vs. Schliessung, Hohe Machtdistanz vs. Geringe Machtdistanz.

        Finck und Würth sind vielleicht nicht Aushängeschilder von Familienunternehmern, dennoch ist der Unterschied zum “Großkapital”, zu transnationalen börsenkotierten Konzernen und Banken, signifikant für den Arbeitnehmer und Normalbürger.

        Familienunternehmen sind empirisch belegbar wesentlich stabiler, was ethische Standards und nachhaltiges Wirtschaften anbelangt. Man denkt langfristiger, als nur von einem Börsenquartal ins Nächste und legt einen Schwerpunkt auf den Fortbestand des Unternehmens statt auf Renditeoptimierung bis zur 5. Nachkommastelle.

        Familienunternehmen weisen zudem gerne eine gewisse regionale Verankerung auf, was das Risiko einer Auslagerung z.B. von Produktion oder bestimmten Geschäftsprozessen ans andere Ende der Welt reduziert.

        Wenn ein Familienunternehmen Mist baut, steht der Unternehmer dafür mit seinem Namen gerade wie Claus Hipp und bürgt i.d.R. mit seinem gesamten Vermögen. Bei Großkonzernen wird schlimmstenfalls der CEO gefeuert, wenn kein kleinerer Sündenbock verfügbar ist, und bekommt ein paar Millionen Abfindung zum Dank.

        Das alles sind Unterschiede, die Ihren Begriff Familitarismus eigentlich in ein recht positives Licht Rücken könnten, wenn Sie den Militarismus nicht einamalgamiert hätten. Was für mich allerdings auch kaum nachvollziehbar ist und nur einen höchst spekulativen, abstrakten Bezug zur Alternative für Deutschland halten kann. Deshalb ist Ihr Begriff untauglich. Ich habe offensichtlich viele hundert Worte gebraucht, um das zu erläutern, aber es steht nun fest.

      • Andreas Kemper

        Ich würde „rechts“ nicht mit Staatsorientierung gleichsetzen, sondern mit einem Weltbild, welches von der gruppenbezogenen Ungleichheit der Menschen ausgeht. Daher verstehen sich Wirtschaftlibertäre mit staatsorientierten Konservativen sehr viel besser als mit sozialen Anarchist_innen. Natürlich sind links und rechts keine wirklich brauchbaren Begriffe.

        Freiheit ist ohne materielle Möglichkeit nicht denkbar. Freiheit setzt Gleichheit voraus, sonst würde die Freiheit der einen auf der Unfreihheit der anderen beruhen, daher wäre es nicht sinnvoll über Freiheit zu reden, sondern über formale Freiheit und über materiale Freiheit. Formale Freiheit ist keine wirkliche Freiheit.

        Zu den „ethischen Standards“ von Familienunternehmen schweigen wir lieber, da wir in Deutschland leben und viele Familienunternehmen eine Vergangenheit haben, an die sie nicht gerne erinnert werden. Das sollte nicht moralisch abgehandelt werden, sondern es stellt sich gesellschaftsanalysich die Frage, warum die Familienunternehmen die NSDAP unterstützt haben und ob die Ursachen dafür, die damals gewirkt haben, auch heute noch existieren.

        Zum Einamalgieren des Militiärs im Begriff des Familitären möchte ich an die aktuellen gewalttätigen Vorgehensweisen in Russland, Frankreich, weitere Staaten im Osten, die Tea Party Bewegung und den Vormarsch der Scharia in Staaten mit einem starken Islam erinnern oder an den neuen Papst, für den die Homo-Ehe Teufelszeug ist. Hier in Deutschland haben wir nur ein paar Tausend-Kreuze-Märsche – aber es wurde vor kurzem das Elterngeld eingeführt, stillschweigend und ohne Proteste. Die Durchsetzung von familialistischen Ideen ist sehr gewalttätig.

      • Martin Lauber

        Sprechen wir von Gleicheit im Sinne von fehlender Diskriminierung, Chancengleichheit, Gleichheit vor dem Gesetz oder davon, dass am Ende alle gleich sein müssen? Das hätte etwas kollektivistisch-totalitäres..

        Moment, was hat die AfD jetzt mit Ländern im Osten, Russland etc. zu tun? Viel zu abstrakt, zu weit her geholt für den Moment. Neologismen sind dann erfolgreich, wenn sie Kompliziertes in einem neuen Wort zusammenfassen, nicht andersrum..

        Die libertäre Bewegung um Ron Paul ist übrigens nahezu antimilitaristisch und isolationistisch.

      • Andreas Kemper

        Wir sprechen natürlich von materieller Gleichheit, also dem Fehlen von gruppenbezogenen Diskriminierungen und Zuschreibungen und dem Fehlen der Legitimationsversuche dieser Diskriminierungen durch entsprechende Ungleichheitsideologien.

        Die AfD hat meines Erachtens eine Nähe zu Vaclav Klaus. Wie sich Libertarismus und Diskriminierung vereinbaren lässt, zeigt sich bei ihm wie beim Hübner-Text http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/4811030.stm

      • Martin Lauber

        Noch kurz ein Nachtrag zu den NSDAP-Unterstützern bei den Familienunternehmern.. wie würden Sie Ihren Beruf benennen? Ich bin sicher, davon gab es tausende NSDAP-Unterstützer. Das Problem liegt darin, dass die grosse Mehrheit der Individuen und quasi alle Organisationen („gleichgeschaltet“) mehr oder weniger grosse NSDAP-Unterstützer waren. So lässt sich fast jede beliebige Gruppe herauspicken und in einen derartigen Zusammenhang bringen. Aber ich mache das ja auch gerne: Schon Hitler war Vegetarier!

        Materielle Gleichheit: Schönes Konzept, funktioniert auch auf der Enterprise. Hier ersetzt der militärische Rang die Statusdistinktion, aber fürs Materielle gibts Replikatoren. Bei nahezu unendlich verfügbarem Materiellen, würde Gleichheit sicher gut funktionieren.

        In unserer Welt, jedoch, müssen materielle Güter durch Arbeitskraft hergestellt werden. Wer aber setzt sein ganzes Geschick, seinen Fleiss, Innovationskraft oder gar Kapital dafür ein, wenn sich das auf seine „Belohnung“ überhaupt nicht auswirkt und er am Ende genau das gleiche bekommt, wie sein fauler Kollege am Nachbartisch? Ein „Held der Arbeit“ werden zu können, reicht da erfahrungsgemäss nicht. Wie wollen Sie Leistung incentivieren? Ohne Incentive macht die grosse Masse nicht mehr, als gerade nötig, wenn Fortkommen nicht angedacht ist.

        Dies bewirkt letztlich, dass am Ende alle das gleiche haben (Parteibonzen ausgenommen) – davon aber nicht viel. Erst wenn es der Bevölkerung mehrheitlich (!) dreckig ginge und Artikel, die fürs tägliche Leben zwingend gebraucht werden, nicht mehr zu bekommen / zu bezahlen sind, erst dann hätte ein solches System einen Nutzen für die Gesellschaft. Ansonsten geht es ihnen nachher nicht besser als vorher. Und daran scheitern solche Ideologien dann.

        Ich habe im Übrigen beschlossen, mich per sofort bei der Alternative für Deutschland zu engagieren, da die Schnittmenge zu meinen eigenen Überzeugungen einfach zu gross ist, um widerstehen zu können. Diese sind im Übrigen nicht nationalistisch, sexistisch, libertaristisch und schon gar nicht familitaristisch oder was man sonst noch so lesen mag.

      • Andreas Kemper

        Es gibt zwei wichtige Unterschied zwischen „normal Berufstätigen“ und reichen Kapitalisten: Jemand, der einer Arbeit nachgeht, wo er oder sie gerade mal genug zu essen hat und die Miete zahlen kann, hat absolut nicht die gleiche Verantwortung wie ein reicher Unternehmer, der der NSDAP hunderttausende von Reichsmark spendete und später von Zwangsarbeit und Arisierungen profitierte; und jemand, der oder die kaum Ressourcen hat, konnte nicht so einfach Deutschland verlassen, wie ein reicher Unternehmer, der sich im Ausland mit seinem Geld einfach niederlassen konnte. Daran war nicht zuletzt eine Politik der „geordneten Einwanderung“ schuld, die ja auch von der AfD gefordert wird: Mittellose sollen bitte zuhause bleiben, Reiche werden sofort eingebügert. Die Familienunternehmer wollten die NSDAP, sonst hätten sie gegen die NSDAP mit ihrem Einfluss und Geld gekämpft, statt großzügig für sie zu spenden. Sie wollten die NSDAP aufgrund der besonderen Struktur der Ungleichzeitigkeit in Deutschland, der Vermischung von feudalen Elementen mit der bürgerlichen Gesellschaft.

        Zur materiellen Gleichheit: Der Kapitalismus schafft Mangel und Hunger, mit seinen Landnahmen und Einhegungen okkupiert und zerstört er lebenswichtige Ressourcen. Und er produziert immer größere materielle Ungleichheit. Haben sie schon mal als Leiharbeiter gearbeitet?

        Es ist bedauerlich, dass sie der Alternative für Deutschland beitreten werden, obwohl diese noch vor wenigen Tagen den faschistoiden Text von Wolfgang Hübner abgefeiert hat.

      • Martin Lauber

        Wie fast alle anderen Institutionen auch, waren die Unternehmer ein Fähnchen im Wind. Wenn sie es nicht gewesen wären, hätte es eben ein paar Staatsbetriebe mehr gegeben und im nächsten Konzentrationslager wären neue Pritschen aufgestellt worden. Ich glaube nicht, dass im Nationalsozialismus politische Wahlfreiheit bestand. Kaum jemand war unantastbar.

        Im Gegenzug haben viele Unternehmer Juden oder anderen Opfern geholfen und diese versteckt oder gar ausser Landes gebracht. Wie meistens: schwarz und weiss gibt es auch hier nicht.

        Ich habe zumindest schon mal einige Wochen fast ohne Lohn auf einer Baustelle als Handlanger schuften dürfen und Sie? Der Kapitalismus schafft Mangel und Hunger und grosses Ungleichgewicht, wenn die Politik ihren Aufgaben nicht gerecht wird. Ein Beispiel: Die milliardenschweren EU-Agrarsubventionen zerstören nach dem gewaltsamem Öffnen der Märkte in Afrika jegliche lokale Bemühungen, eine eigene Landwirtschaft aufzubauen. In Ghana kauft man das billige Huhn aus der deutschen Legebatterie, falls Sie schon mal dort waren. Das ist aber nicht Kapitalismus und widerspricht den Vorstellungen einer ordoliberalen Wirtschaftsordnung komplett. Das ist knallharte Industriepolitik und das Wahren von Eigeninteressen.

        Der Staat hat klare Spielregeln aufzustellen und auch durchzusetzen. Mono-/Oligopole darf es, als erstes Beispiel, nicht geben. Banken hätten niemals so dominierend und gross werden dürfen, dass sie das gesamte System gefährden können. Eine klare Spielregel muss auch sein, dass unternehmerisches Risiko bestehen bleibt – das heisst, dass ein Unternehmen grundsätzlich pleite geht, wenn Murks gemacht wurde, statt mit Steuergeldern gerettet zu werden. Eine weitere Regel ist, nicht durch gewaltige Subventionen oder Einflussnahmen den Markt so zu verzerren, dass eigentlich funktionierende Dinge (wie eine afrikanische Landwirdschaft) zu Gunsten ineffizienter Lösungen künstlich am Leben gehalten werden.

        Das nennt man ordoliberal, lesen Sie Eucken dazu. Die Politik hat versagt und sich kaufen lassen, nicht der Kapitalismus an sich ist es, der Schaden anrichtet. Es ist das Primat der Wirtschaft über die Politik! Was mich allerdings nicht wundert, wenn ich mir die ökonomische Kompetenz der ganzen Lehrer und Verwaltungsjuristen im Bundestag so ansehe. Der Kapitalismus braucht saubere und transparente Regeln, die Auswüchse vermeiden, bevor sie entstehen.

        Eine ordoliberale Wirtschaftspolitik, ergänzt durch eine vernünftige Sozialpolitik rheinisch-kapitalistischer Prägung, einem offenen Gesellschaftsbild, eine politische und währungspolitische Struktur für die Europa, die tatsächlich auch funktionieren kann – das alles bekomme ich bei den Blockparteien nicht. Dazu braucht es eine Alternative.

        Ob jetzt irgendein Facebook-Moderator der Alternative die anbiedernde Rede irgendeines Funktionärs einer eher unwichtigen Partei verlinkt hat und dass dort nicht nur Ablehnung zu lesen war und es bestimmt auch AfD-Sympathisanten und -Mitglieder bei den Befürwortern gab und Sie diese Rede fälschlicherweise für faschistoid, statt für rechtskonservativ halten, ficht mich nicht an.

      • Andreas Kemper

        Gut, sie haben also einige Wochen fast ohne Lohn auf dem Bau gearbeitet. Wahrscheinlich als Student, um sich einen Urlaub leisten zu können. Nun stellen Sie sich vor, sie hätten Kinder und seien auf einen der Jobs im Niedriglohnsektor angewiesen. Wie würde es Ihnen dann gehen? Wie würden Sie den Kapitalismus dann sehen?

        Die AfD fordert den Ausbau des Niedriglohnsektors. Bernd Lucke fordert bereits seit fast einem Jahrzehnt, dass es weitere Einschnitte im sozialen Netz geben soll. Die Löhne dürften nicht erhöht werden.

        Lesen Sie bitte den Hamburger Appell von Bernd Lucke:

          „Die unangenehme Wahrheit besteht deshalb darin, dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage nur durch niedrigere Entlohnung der ohnehin schon Geringverdienenden, also durch eine verstärkte Lohnspreizung, möglich sein wird. Eine Abfederung dieser Entwicklung ist durch verlängerte Arbeitszeiten, verminderten Urlaubsanspruch oder höhere Leistungsbereitschaft möglich.“

        Schauen Sie sich Bündnis Bürgerwille an, die auf Sinns Bogenberger Erklärung basiert, wo wiederum davor gewarnt wird, in Deutschland die Löhne anzuheben:

          „Die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde hatte ja schon im letzten Jahr gefordert, dass Deutschland seine Löhne erhöhen möge, um so seine Wettbewerbsfähigkeit zugunsten seiner Wettbewerber zu verschlechtern. […] Wir lehnen diese Überlegungen ab. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Staates, in die Preis und Lohnstrukturen der Marktwirtschaft einzugreifen […] Die EU sollte den bedrängten Ländern bei der Überwindung ihrer Wettbewerbsprobleme helfen und ihnen Perspektiven für eine wirtschaftliche Gesundung eröffnen. Dazu gehören Hilfen für den Aufbau einer Steuerverwaltung und eines funktionierenden Rechtssystems genauso wie Maßnahmen, die die jeweiligen Regierungen dabei unterstützen, Staatsvermögen zu privatisieren und Reformen zur Erhöhung der Lohn- und Preisflexibilität durchzusetzen.“

        Lesen Sie bitte den Programmentwurf des AfD-Wikis:

          „Zur Integration von gering Qualifizierten in den Arbeitsmarkt fordert die WA-Partei eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes und die Subventionierung der Weiterbildung niedrig Qualifizierter nach Erhalt eines Arbeitsplatzes.“

        Wie sie das als Ordoliberalismus bezeichnen können, verstehe ich nicht. Eine noch weitere „Liberalisierung des Arbeitsmarktes“ heißt eben nicht „vernünftige Sozialpolitik rheinisch-kapitalistischer Prägung“, sondern das heißt: weiterer Ausbau des Niedriglohnsektors.

        Zu Hübners faschistoides Pamphlet: Haben Sie den Text wirklich zur Kenntnis genommen?

      • Martin Lauber

        Hübners Text haben wir doch schon oben besprochen. Ich komme zum Schluss, dass er eindeutig nicht als faschistoid bezeichnet werden kann. Natürlich teile ich einige seiner Auslassungen zu bestimmten Themen nicht, habe aber kein Problem damit, ihn sprechen zu lassen. Er bewegt sich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und anderslautende Meinungen sind wichtig für einen demokratischen Entscheidungsfindungsprozess.

        Ich war tatsächlich Student, was bedeutet, dass Tarifverträge für mich natürlich nicht gegolten haben. Mein Verdienst war ein besseres Taschengeld, einen Urlaub hätte ich damit bestenfalls auf dem Balkon mit einem Kasten Bier bestreiten können. Glücklicherweise war ich auf das Einkommen aber auch nicht angewiesen. Ich wollte damals Architekt werden, benötigte dafür aber die Unterschrift einer Baufirma auf einem Praktikumsbeleg. Für diese Unterschrift durfte ich dann nach Gutdünken ausgebeutet werden. Danach noch ein ähnlich gelagertes Pflichtpraktikum bei einem Architekturbüro und schwupps! hatte ich die Branche satt. Aber sind nun wirklich schon einige Jährchen her.

        Natürlich würde es mir nicht gefallen, auf einen solchen Job angewiesen zu sein. Aber was würde ich tun? Ich würde erstmal versuchen, fehlende Kenntnisse nachzuholen und eine Ausbildung zu bekommen, z.B. Maurer, um dann über die Stationen Polier und Bauleiter, über den dritten Bildungsweg doch noch Architekt zu werden. Ein schwerer Weg, wenn man eine Familie zu versorgen hat, es gibt aber genügend Leute, die ihn schon erfolgreich gegangen sind.

        Dann würde ich versuchen, meinen Kindern von Anfang an bessere Bildung zu ermöglichen, als sie mir zu Teil wurde. So lange in einem System vertikale soziale Mobilität nach oben und unten besteht, die Schichten noch wirklich permeabel sind, bezeichne ich es als gerecht. Das ist derzeit leider nicht mehr der Fall, wie es vielleicht in der Nachkriegszeit in Deutschland gewesen sein mag: Nazibonzen wurden langsam (bekanntermassen nicht sofort!) durch eine andere Elite ersetzt. Heute haben wir in der Westlichen Welt relativ zementierte Eliten, die sich auf höchster Ebene selbst replizieren und ihresgleichen schon am Gang erkennt (vgl. Bourdieu).

        Was sich aber auch wieder ändern wird, wenn mal alle geschnallt haben, dass sie eigentlich keine Chance haben – dazu Mosca, Pareto, Michels. Während das Prekariat es wohl begriffen hat, denkt die kleiner werdende Mittelschicht derzeit noch, sie habe Chancen auf mehr; was freilich etwas lächerlich ist, wie noch schmerzhaft bemerkt werden wird. Tja, und dann gibt’s Krawall und die derzeitige Elite wird durch eine neue ersetzt. Diese zementiert sich dann wieder nach und nach und dann geht’s von vorne los. History repeats itself – und das ist ein Hauptgrund dafür.

        Zur Alternative. Wenn Geringqualifizierte in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen, dann geht das tatsächlich nur über den Niedriglohnsektor in Verbindung mit anständiger, berufsbezogener Weiterbildung, um diesem Sektor möglichst schnell wieder entfliehen zu können. Andere realistische Wege dem Teufelskreis zu entrinnen sehe ich nicht und in der Theorie ist diese Aussage vollkommen korrekt. Nur hapert es an der Umsetzung, für die Lucke allerdings nur wenig kann.

        Die Realität sieht folgendermaßen aus: Karl A. bezieht ALGII und hat somit eine unsägliche Gängelung durch anmaßende Sachbearbeiter_Innen hinter sich. Diesmal zwingt ihn einer dieser Sachbearbeiter, wieder mal einen Schrottjob für wenig Geld anzunehmen, weil für was anderes die Qualifikation (nicht mehr?) reicht und „wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen“ (2. Thess 3,10). Da geht er dann nachvollziehbar unmotiviert hin und muss zu schlechten Arbeitsbedingungen malochen. Das Amt bezahlt eine Schulung im.. Bleistiftspitzen, um die Chancen auf einen Bürojob zu erhöhen. Darauf hat er dann kein Bock, hätte ich auch nicht, und lässt sich krankschreiben. Später dann von vorn.

        Irgendwann bemerkt ein Linker das Schicksal von Karl A. und findet, dass Leute, die mehr Glück hatten als er, ihm ein besseres Leben finanzieren sollten und will umverteilen, von „oben“ (was am Ende doch immer die Mittelschicht ist), nach unten, zu Karl A.

        So. Und Sympthombekämpfung hat noch niemandem geholfen, auch nicht Karl A. Was sind denn die tatsächlichen Gründe für sein Schicksal?

        – Die geringe Qualifikation. Entweder er hatte keine Chance auf Bildung oder keinen Bock drauf. Ersteres darf nicht vorkommen, das ist auch lösbar. Letzteres ist Eigenverantwortung und muss zunächst selbst ausgelöffelt werden. Gruss auch an die Eltern.
        Später dann subventionierte Weiterqualifikation on-the-job, wie es in der von Ihnen zitierten Textpassage eben auch gefordert wird. Abschluss nachholen. Ausbildung. Ein Schritt nach dem anderen. Ernsthafte Befähigung für qualifizierte Berufe. Kein Volkshochschul-Computerkurs. Dieser Weg muss allen offen stehen, egal wie alt, egal woher, egal.
        Wenn kein Bock drauf: Eigenverantwortung. Suppe auslöffeln. Ich zahl‘ dir dein Leben nicht, mein Freund, mir machen andere Dinge auch mehr Spaß als Arbeit.

        – Die Löhne sind mittlerweile so niedrig, dass man damit keinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Das ist natürlich so, weil es viel mehr Jobssucher auf unqualifiziertem Level gibt, als es entsprechende Jobs gibt. Mindestlohn? Dann wird halt in eine neue Maschine investiert oder die Jobs ins Ausland verlagert, wo es keine Mindestlöhne gibt. Lösung: durch sinnvolle Industriepolitik sicherstellen, dass sich Unternehmen personalintensiver Industrien in Deutschland (zurück-)ansiedeln, damit es nicht nur einen antizipierten Fachkräftemangel, sondern einen tatsächlichen Mangel an allen Kräften gibt. Nur dann kommen die Löhne ins Gleichgewicht.

        – Ein weiterer Grund für niedrigen Löhne ist die relative Schwäche der Währung. Der Nettorealverdienst ist leicht rückläufig und derzeit auf dem Stand von 1986. Die Leute können sich immer weniger leisten (obere 10.000 freilich ausgenommen).
        Es macht mir nichts aus, nur 1 DM (!) in der Stunde zu verdienen, wenn ich mir dafür in Italien einen Lastwagen bestellen kann. Voll mit Ferraris. Voll mit Pizzas. Voll mit Sternenstaub. Lösung: Durch Austritt aus dem Euro einen Nachfrageboom zur Kompensation des Exportschocks auslösen. Plötzlich sind Niedriglöhne gar nicht mehr so niedrig. Plötzlich kann man wieder was davon kaufen.

        Plötzlich braucht man aufgrund der hohen Nachfrage Produktion wieder vor Ort! Oh, wo krieg ich nur die Leute her! Gleich mal Karl A. einstellen. Dem kann man auch sicher noch was beibringen. Aber zu einem anständigen Gehalt, sonst arbeitet er morgen wo anders!

        Das ist nämlich der Trick. Exportindustrie heisst heute immer öfter, dass das Management hier sitzt (wo die Kinder zur Schule gehen, die Frau will nicht weg und die Freunde, blabla) – die Produktion aber hauptsächlich beim Kunden. Also wenig Arbeitsplätze hier, viele im Ausland. Spart man nämlich Logistik- und Lohnkosten. Der Kunde sitzt aufgrund der in Relation zur Wirtschaftsleistung viel zu geringen Kaufkraft allerdings nicht in Deutschland. Hier geht die Nachfrage zurück, in Indien, China, Brasilien, Türkei etc. wächst sie. Hin mit den Fabriken.

        Erhöht sich nun die Binnennachfrage, dann ändert sich das. Der deutsche Markt wird grösser, Produktion siedelt sich an, um ihn bedienen zu können. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Und so wird das Präkariat wieder in die Mittelstandsgesellschaft zurückbefördert, wo es hingehört.

        So. Das ist zwar etwas vereinfacht dargestellt, da der Text aber schon lang genug ist und ich heute noch Mehrwert für die Aktionäre erzeugen muss, belasse ich es dabei.

        Was ist also nötig, um den Niedriglohnsektor irgendwann den Spinnweben preiszugeben? Erstmal ein Wirtschaftsminister, der nicht Arzt gelernt hat und Politiker, die ihr Lehramtsstudium nicht für die Spitze humanistischer Bildung halten. Weg mit der Kaste inkompetenter Berufspolitiker.

        Wo gibt es nun Leute, die sich richtig auskennen mit Volkswirtschaft und solchen komplizierten Sachen?

        Aha. Ich hoffe, Sie machen Ihr Kreuzchen bei der Alternative für Deutschland, Herr Kemper!

      • Andreas Kemper

        Der Niedriglohnsektor wurde geschaffen mit Unterstützung von solchen Wirtschaftsprofessoren wie Bernd Lucke. Gleichzeitig fällt ihm zur Bildungspolitik nur ein, dass sich die Familien verstärkt selber um die Bildung kümmern sollen. Eine Kritik am dreigliedrigen hochselektiven Schulsystem findet sich dort nicht. Im Gegenteil, es wird begrüßt. Ich weiß ehrlich nicht, was sie da herum reden.

    • W-Day

      @spin. Ja, Du hast recht. Sowieso auch in der Definition von rechts, hätte ich ähnlich geschrieben. Mir (in bewusster naiver Haltung) ist nur schleierhaft, wie man seine eigene (vermeintliche) Freiheit nicht abhängig macht von der Freiheit aller. Ein rechter Libertärer beruft sich offenbar auf individuelle Freiheit (s.a. Stirners Superegoismus mit den faschistoiden Tendenzen) und nicht auf die Befreiung aller Menschen von Herrschaft, sondern nur auf Befreiung (Besitzender) von staatlicher Reglementierung.

    • Martin Lauber

      Das finde ich nicht schlimm, bestimmt haben Sie andere Stärken als Geisteswissenschaft und Ökonomie.

      „Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt. Ich rate allen, die sich damit beschäftigen, sich mit den Gegebenheiten auseinander zu setzen, und nicht nur mit den Berichten über die Gegebenheiten. Deutschland neigt dazu, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, obwohl es das Falscheste ist, was man eigentlich tun kann. Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt.“

      Gerhard Schröder, Sozialist. 2005 am Weltwirtschaftsforum in Davos, ausgerechnet.

      Bestimmt hat ihn der Professor aus Heidelberg übertölpelt und ihm seine Meinung aufgezwungen. Bestimmt war es ein anderer Professor, der diese Idee dann so schlampig umgesetzt hat, dass der Niedriglohnsektor heute nichts als eine berufliche Endstation zur Beschönigung der Arbeitslosenstatistik ist.

      • Andreas Kemper

        Mir ist bewusst, dass die Sozialdemokraten den Niedriglohnsektor aufgebaut haben.

        Aber ist Ihnen bewusst, dass Lucke danach weitere soziale Einschnitte forderte? Sie sind noch immer nicht auf den Hamburger Appell eingegangen. Soll das der „Ordoliberalismus“ sein, von dem sie schwärmen?

      • Martin Lauber

        Sind Sie sich auch bewusst, dass sofort im nächsten Abschnitt die Forderung des Hamburger Appells nach einem niedrigen Lohnniveau durch eine Forderung nach Lohnzuschüssen wieder relativiert wird?

        „4. Eine Kompensation der Geringverdienenden durch den Sozialstaat ist in gewissem Umfang
        möglich. Aber dafür muss die Sozialpolitik von Lohnersatzleistungen zu Lohnzuschüssen
        wechseln. Das deutsche System der Lohnersatzleistungen von der Sozialhilfe über das
        Arbeitslosengeld bis zur subventionierten Frührente erzeugt Lohnansprüche, die der Markt
        nicht mehr befriedigen kann. Gegen die Kräfte der Globalisierung kann der Sozialstaat nur
        verteidigt werden, wenn er nicht mehr als Konkurrent der privaten Wirtschaft auf dem
        Arbeitsmarkt, sondern als Partner agiert. Das System der aktivierenden Sozialhilfe zeigt einen
        praktikablen Weg.“

        Zu bedenken ist hier, dass 2005 die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im unerbittlichen globalen Kampf im Fokus stand. Heute ist Wettbewerbsfähigkeit gegeben, nur kommen die Erträge nicht bei den Leuten an.

        Ihr Mittel, dies zu ändern, könnten massive Lohnerhöhungen per Dekret sein – dadurch wäre die Wettbewerbsfähigkeit aber gleich wieder im Eimer. Eine bessere Lösung wären anständige Lohnzuschüsse, wie von Lucke oben gefordert – oder auch Steuererleichterungen, die ganz unten beginnen – habe noch nie verstanden, warum man z.B. mit 15.000 EUR Jahreseinkommen schon dick Steuern bezahlen muss – stattdessen stellt man lieber Billiardenbürgschaften für Länder bereit, die in dieser Währung niemals zahlungsfähig sein werden und pumpt Abermilliarden von Steuergeld in die Banken.

        Nur, weil man aus politischen Gründen an diesem Euro festhalten will, der nicht nur die Südländer ruiniert, sondern auch den deutschen Wohlstand vernichtet und für wirklich sinnvollere Dinge verwendet hätte werden können.

      • Andreas Kemper

        Sie reiten sich da immer mehr rein. Was heißt denn bitte schön: „Aber dafür muss die Sozialpolitik von Lohnersatzleistungen zu Lohnzuschüssen
        wechseln.“? Das heißt: Abschaffung von Arbeitslosengeld. Nehmen wir den Satz vorher dazu: „Die unangenehme Wahrheit besteht deshalb darin, dass
        eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage nur durch niedrigere Entlohnung der ohnehin schon Geringverdienenden, also durch eine verstärkte Lohnspreizung, möglich sein wird.“

        Zusammengefasst heißt das: Die Löhne der Geringverdienenden werden noch weiter gesenkt. Das Arbeitslosengeld wird abgeschafft, dafür erhalten die Geringverdienenden Lohnzuschüsse. Also: Geringverdienende erhalten weniger Lohn, das wird dadurch ausgeglichen, dass das Arbeitslosengeld abgeschafft wird.

        Mit einem Professorengehalt lässt sich die Kürzung der Löhne der Geringverdienenden mit solchen Lösungen begründen: „Eine Abfederung dieser Entwicklung ist durch verlängerte Arbeitszeiten, verminderten Urlaubsanspruch oder höhere Leistungsbereitschaft möglich.“

        Danke, Herr Lucke!

        Die Bogenberger Erklärung, die Herr Lucke unterstützt, ist nicht von 2005 wie der Hamburger Appell, sondern von Ende 2011. Auch hier wird vor Lohnerhöhungen gewarnt. Glauben Sie wirklich, dass für Menschen mit einer Wirtschaftslogik, wie sie Lucke repräsentiert, irgendwann der richtige Zeitpunkt für Lohnerhöhungen ist?

        Sie kennen die Entwicklung der Ungleichheit in Deutschland? Dennoch fordert die AfP Steuererleichterungen für die Reichen, nicht etwas für Geringverdienende. Sie propagieren das Kirchhoff-Modell.

      • Martin Lauber

        Niemand kann Löhne künstlich senken oder erhöhen, ohne dabei erhebliche und potentiell schädliche Verzerrungen des Arbeitsmarktes in Kauf zu nehmen oder den Standort zu schwächen und damit letztlich allen Beteiligten zu schaden. Davor warnt Lucke zurecht.

        Jeder, wirklich jeder bekommt Arbeit, wenn er will – nur vielleicht bei einem viel zu niedrigen Gehalt. Deshalb muss das natürlich bezuschusst werden. Am Ende hätte der Arbeitnehmer sein Gehalt – plus das Arbeitslosengeld, das jetzt eben Lohnzuschuss heisst, on top.

        Selbstverständlich darf der Lohnzuschuss nicht wesentlich geringer ausfallen, als das Arbeitslosengeld. Bestimmt sind nicht alle dieser Meinung, aber deshalb beteilige ich mich ja, beobachte nicht nur.

        Unter dem Strich hätte der Geringverdiener mehr und der Staat hätte trotzdem gespart – in dem der Lohnzuschuss nämlich vom Arbeitgeber antragslos mit dem regulären Lohn direkt ausbezahlt wird. Diese ganze entwürdigende ALG-Administration kann man dann getrost abschaffen.

        Wo liegt das Problem? Ich glaube, Sie reiten sich da immer mehr rein. Ordoliberalismus und rheinischer Kapitalismus haben sich schon immer gut vertragen. 🙂

      • Andreas Kemper

        Nur um diese Argumentation richtig zu verstehen, wiederhole ich sie nochmal:

        Das Arbeitslosengeld wird abgeschafft. Alle müssen arbeiten, egal zu welchem Lohn. Wer nicht arbeitet, bekommt gar nichts. Sind die Löhne so niedrig, dass man davon nicht gut leben kann, zahlt der Staat genügend Geld als Lohnzuschuss, um würdevoll davon leben zu können.

        Na gut. Dann meldet sich jeder als Unternehmer an, zahlt sich einen Lohn aus, der auch null Euro betragen kann, aus und erhält vom Staat den Lohnzuschuss zum würdevollen Leben. Das nennt sich dann Bedingungsloses Grundeinkommen.

        Oder verschweigen Sie da etwas in ihrem Szenario?

      • Martin Lauber

        Genau so verstehe ich die Idee.

        Ich würde ja auch gerne ein würdevolles Einkommen haben ganz ohne Arbeit, da aber viele so denken, geht diese Rechnung wohl leider nicht auf. Die Unternehmen müssten sich sofort dorthin verlagern, wo noch Leute arbeiten wollen.

        Natürlich muss es Mechanismen gegen groben Missbrauch geben, wie den von Ihnen genannten Fall. Allgemein aber wird für 0 Euro Lohn (+Zuschuss) niemand arbeiten müssen, denn es entsteht ein Markt und die Arbeitskraft, auch von Geringqualifizierten, wird wieder etwas wert.

        Das ist ja der grundsätzliche Vorteil dieser Idee, ich dachte, das sei klar. Auch bei einem Gehalt von nur 4 EUR pro Stunde sind das im Monat 640 EUR plus Lohnzuschuss. Klingt für mich besser als ALGII.

      • Andreas Kemper

        Augenblick…

        Erst sprachen Sie davon, dass es keine Lohnregulierung geben soll, jetzt sprechen sie von einem begrenzten Lohnzuschuss bzw. von einem Mindestgehalt von 4 Euro.

        Das ist unlogisch. Einigen wir uns doch einfach darauf: Alle erhalten einen Zuschuss zu ihrer Arbeit, der ein würdevolles Leben ermöglicht. Egal wie gut die Arbeit bezahlt wird.

      • Martin Lauber

        4 EUR war nur ein Beispiel.

      • Andreas Kemper

        Schon klar. Aber darum gehts nicht. Es geht um den Widerspruch: erst soll es keine Eingriffe in die Lohnpolitik geben und dann doch.

      • Martin Lauber

        Da stehe ich jetzt auf dem Schlauch – von was für Eingriffen sprechen Sie?

      • Andreas Kemper

        Sie propagieren doch folgendes Modell entsprechend dem Hamburger Appell von Bernd Lucke:

        Das Arbeitslosengeld wird abgeschafft. Die Löhne sollen ruhig weiter reduziert werden. Was an einem würdevollen Leben fehlt, bekommen die Arbeiter und Arbeiterinnen dann durch einen Lohnzuschuss.

        Also warum soll sich dann nicht jede_r als Unternehmer_in deklarieren und für sich arbeiten und das fehlende Geld für ein würdevolles Leben vom Staat erhalten?

      • Martin Lauber

        Ah, jetzt verstehe ich, was sie meinen. In der Tat, das hätte dann den Effekt eines bedingungslosen Grundeinkommens.

        Wenn man aber kein solches Grundeinkomman haben will, müsste man in Gesetzestext wohl Vorkehrungen treffen, das zu verhindern. Zum Beispiel Selbstständige oder Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft davon ausnehmen.

        Aber das sind jetzt wirklich Detailfragen, über die zu diskutieren es sich (noch) nicht lohnt..

      • Andreas Kemper

        Warum sollte man Unternehmen für deren Profite mit Lohnzuschüssen fördern, nicht aber Arbeiter_innen, die sich selbstständig machen?

      • Martin Lauber

        Wie kommen Sie denn darauf, dass Unternehmen mit Lohnzuschüssen gefördert werden sollen? Treiben Sie Schabernack mit mir? Diese gehen doch an die Arbeitnehmer!

        Arbeitnehmer, die sich selbständig machen, sind keine mehr. Ihr Schicksal liegt dann in ihren eigenen Händen, sie tragen das unternehmerische Risiko, streichen aber auch den Gewinn selbst ein.

      • Andreas Kemper

        Die Arbeit – also das Äquivalent von Lohn mitsamt Mehrwert – geht von den Arbeiter_innen an die Unternehmen. Die Unternehmen bezahlen aber noch nicht mal die Reproduktionskosten der Arbeit, sondern lassen den Staat zahlen.

        Warum soll das dann nicht für alle gelten? Warum sollen dann nicht Arbeiter_innen sagen können: Guter Trick. Mach ich auch. Ich gründe ein Unternehmen und arbeite dort – wenn ich meine Arbeit bezahlen kann, ists gut, wenn nicht, zahlt mir der Staat meinen Lohn für ein würdevolles Leben.

      • Martin Lauber

        Nun ja, ganz ohne Mehrwert würde ein Unternehmen natürlich niemanden einstellen. Wenn aber das Ziel ist, alle Leute in Lohn und Brot zu bekommen, müssen diese Leute im Lohn so weit runter, bis im Unternehmen durch ihre Arbeitskraft Mehrwert erzeugt werden kann. Das ist so.

        Allerdings kann ein Unternehmen bei angenommener Vollbeschäftigung keine Löhne drücken, auch nicht mit der Begründung, dass es ja noch einen Lohnzuschuss gäbe. Denn dann bekommen sie schlicht niemanden.

        Ich glaube, dass der wesentliche Profiteur dieses Systems tatsächlich der niedrigqualifizierte Arbeitnehmer wäre. Wenn es Unternehmen auch hilft – um so besser.

      • Andreas Kemper

        Warum sollen Unternehmen sich den Mehrwert einstecken dürfen, der von den Arbeitenden geschaffen wird?

        Und warum sollte man nicht den Arbeitslosen erlauben, ihre eigenen Unternehmer zu sein und ihnen wie den anderen Unternehmen auch den Lohnzuschuss zubilligen, der ihnen erlaubt, ein würdevolles Leben zu führen?

  7. futuretwin

    Vollbeschäftigung ist ein WEIT utopischeres Szenario als noch die anarchichsten und blauäugigsten Sozialismen.
    Aus diesem Grunde bin ich für ein Grundeinkommen. Ob dies bedingungslos sein muss, würde ich dahingestellt lassen.

    • Andreas Kemper

      Sehe ich ähnlich. Eine „Vollbeschäftigung“ ist natürlich möglich, wenn man den Arbeitenden nichts mehr zahlt. Da stellt sich dann aber die Frage nach dem Sinn der Arbeit und der Würde des Menschen. Die sogenannte „unsichtbare Hand“ Adam Smiths und das Recht auf ein würdevolles Leben vereinen zu wollen, ist jedenfalls Utopie. Und da die Würde des Menschen unantastbar sein soll, sollten wir keine weiteren marktradikalen Experimente, wie Lucke sie einfordert, zulassen. Es gab im 20. Jahrhundert Phasen der Vollbeschäftigung: Zur Kriegsvorbereitung in der Nazizeit und in der Phase des Wiederaufbaus nach dem Krieg.

    • Martin Lauber

      Vollbeschäftigung ist keine Utopie, sondern schlicht und einfach eine Frage des bezahlten Lohns und der Lohnnebenkosten. Gibt es ein Sozialsystem, kann es natürlich aufgrund des Konkurrenzverhältnisses keine Vollbeschäftigung geben, wenn es staatliche Mindestlöhne gibt, erst recht nicht. Sehr marktradikal ist das eigentlich nicht, sondern eher logisch.

      In der Tat ist die Frage eher, ob man eine solche Vollbeschäftigung will. Wann ist eine minimalbezahlte Tätigkeit mit der Würde des Menschen vereinbar? Da der Begriff Würde ein relativer ist und grossen Schwankungen unterliegt, ist das nicht leicht zu sagen, auch nicht, wenn man einen Lohnzuschuss zugrunde legt. Relevant ist die Tätigkeit an sich.

      Ist es würdevoll, gegen kleines Geld die Strasse zu kehren? Ist es würdevoll, den stadtnahen Wald täglich von Müll zu befreien? Den Rasen von Frau Kunze zu mähen und das Klo des feisten Herrn Müller zu putzen? Wo ist die Grenze? Ist es würdevoller, gar nicht zu arbeiten und sich stattdessen vom Amt drangsalieren zu lassen?

      Das sind sehr individuelle Fragen. Die Antworten darauf bestimmen in Kombination mit staatlichen Regularien die Arbeitslosenquote. Arbeit an sich ist immer da: Warum hat heute eigentlich niemand mehr Hausangestellte, alle Leute so fleissig geworden?

      • Andreas Kemper

        Relevant ist eben nicht die Tätigkeit an sich. Die Tätigkeit ist Mittel zum Zweck. Relevant ist ein würdevolles Leben. Wenn die materiellen Ressourcen für ein würdevolles Leben gegeben sind, dann können die Menschen einer Arbeit nachgehen und dann lösen sich Fragen nach einer würdevollen Arbeit von selbst.

        Eine Marktwirtschaft ist doch erst dann frei, wenn Menschen aus materiellen Gründen nicht gezwungen sind, zu arbeiten. Erst dann können sie frei entscheiden, welche Arbeit sie machen wollen. Erst dann treten sich in einem bürgerlichen Sinn Handelspartner_innen gegenüber.

    • Martin Lauber

      Vollbeschäftigung bedeutet ja auch, dass man sich aussuchen kann, wo man arbeitet – somit wäre eine Verhandlung auf Augenhöhe schon gegeben. Wenn Sie Engels gelesen haben, dann ist der Wegfall eines „kapitalistischen Ersatzheeres“ (damals Frauen, heute Arbeitssuchende und ausl. Arbeitskräfte), um Löhne drücken zu können, keine schöne Sache für den „Kapitalisten“.

      Ihnen geht es aber eher weniger um die tatsächliche Augenhöhe der Verhandlungspartner (die derzeit auch bei qualifizierten Berufen nicht mehr gegeben ist), sondern um die Frage, ob jemand überhaupt arbeiten soll, wenn er nicht will. Dies ziehlt wiederum in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen.

      Ausser der Frage nach Finanzierbarkeit stellt sich auch die ethische Frage. Protestantismus und Kommunismus sagen, dass Arbeit Pflicht ist. Ich bin mir da zwar nicht so sicher, die Bevölkerungsmehrheit sich im Moment aber schon. Deshalb wird das Grundeinkommen teils sehr emotional abgelehnt. Am Ende werden solche Fragen demokratisch entschieden.

      • Andreas Kemper

        Kommunismus sagt bestimmt nicht, dass Arbeit Pflicht sei.

        Das Problem ist doch heute, dass sich nicht mehr definieren lässt, was Arbeit ist. Hier empfehle ich Hardt und Negris Buch „Empire“. Arbeit lässt sich heute noch weniger messen als je zuvor. Informelle Arbeit wird immer wichtiger und dabei geht es dann um Kreativität, die sich jeder Taylorisierung entzieht. Wenn etwas bezahlt ist, ist es Arbeit? Gut, dann machen wir alle Arbeitslosen per Definition zu Unternehmern, die können sich dann selber einstellen und bezahlen ihre Tätigkeiten dann mit einem Lohnzuschuss bis zu 1000 Euro monatlich. Wir hätten dann eine Vollbeschäftigung. Wo ist der Unterschied zur Bezuschussung der Niedriglohnarbeit?

        Das Problem ist doch heute auch, dass Billionen Euro vererbt werden. Ist Erben Arbeit? Was ist mit Steuerhinterziehung? Ist Steuerhinterziehung Arbeit? Und umgekehrt: Pflegearbeit und Erziehung ist oftmals unbezahlt. Was ist mit Beziehungsarbeit?

        Also das ganze Arbeitsmodell haut heute nicht mehr hin. Es gab immer schon den Grundwiderspruch, dass die Arbeit auf gesellschaftliche Teilung beruht, während das Produkt der gesellschaftlichen Arbeit privatisiert wird. Dieser Widerspruch zeigt sich zunehmend in den Arbeits-Absurditäten unserer Gesellschaft.

      • Martin Lauber

        Glauben Sie wirklich, dass ich so etwas behaupten würde, wenn ich keine soliden Quellen hätte? Falls ja, muss ich Sie leider enttäuschen – lesen Sie es es nach im Kommunistischen Manifest (MEW, S. 481). Falls das nicht reicht: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ – Trotzki (1920): Terrorismus und Kommunismus – Anti-Kautski, Nachdruck Olle und Wolter, Berlin, S. 111. Selbstverständlich können Sie sich auch Paragraph 18, Abs. 2 der damaligen Verfassung der SU ansehen.

        Für einen breiteren arbeitssoziologischen Diskurs fehlt mir heute leider die Zeit.

      • Andreas Kemper

        Es ist das „Manifest der kommunistischen Partei“, nicht das „Kommunistische Manifest“. Es geht im Punkt 8 um den Übergang zum Kommunismus, nicht um den Kommunismus. Zum Kommunismus sagt Marx sehr wenig. Und seine Schriften vor 1848 hat er nach der Niederlage der Revolution mit neuen wichtigen Studien ergänzt. Der Schwiegersohn von Karl Marx veröffentlichte das „Lob der Faulheit“.

        Auch Trotzki und Stalin repräsentieren nicht den Kommunismus. Ebenso wenig wie Sozialdemokraten von Bebel bis Müntefering oder Schröder, der sich gegen den Schwiegersohn von Marx stellte mit seinen Ausspruch, es gebe kein Recht auf Faulheit. Das alles hat nichts mit Kommunismus zu tun, sondern mit dem Weg zum Kommunismus und der ist sehr umstritten. Hardt und Negri haben mit „Empire“ ein neues „Manifest“ vorgelegt und sie sind Kommunisten und sprechen von „sozialem Lohn“ im Übergang zum Kommunismus.

      • Martin Lauber

        Geben Sie wenigstens zu, dass das Manifest der Kommunistischen Partei im Alltagsgebrauch als Kommunistisches Manifest bezeichnet wird? Ich will hier ja keine Dissertation schreiben, die dann wegen dieses Zitierfehlers aberkannt wird. Aber man lernt nie aus, Marx, Trotzki, Stalin waren also gar keine „echten“ Kommunisten.

        Die Sozialdemokraten stehen natürlich in protestantischer Tradition, von denen habe ich ja nicht gesprochen. Ich nehme „Empire“ mal auf meine Liste, utopistische Werke sind oft guter Lesestoff. Die Geschichte allerdings hat gezeigt, dass der Weg zum Kommunismus eher über Umerziehungslager und Massenmord führt.

      • Andreas Kemper

        Marx hat wenig über den Kommunismus gesagt, er hat auf gar keinen Fall gesagt, dass zum Kommunismus der Arbeitszwang gehört. Trotzki und Stalin würden sich gegenseitig absprechen, Kommunisten zu sein.

        „Empire“ ist kein „utopistisches“ Werk. Es freut mich, dass Sie sich damit auseinander setzen möchten. Allerdings setzt das Buch weitere Lektüre voraus.

        Die Geschichte kann gar nicht gezeigt haben, dass der Weg zum Kommunismus über Umerziehungslager und Massenmord führt, weil der Kommunismus noch nirgendwo verwirklicht wurde. Das Gegenteil scheint eher der Fall der zu sein: Weil die Umerziehungslager und Massenmorde nicht zum Kommunismus führten, spricht dies gegen diesen Weg.

      • Martin Lauber

        ..wenn Sie jetzt schreiben, dass nicht die Dissertation, sondern der Titel aberkannt wird..

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